Tom Kummer neuer Roman
Der Tod fließt immer gen Norden
Nächtliche Autofahrten, verfaulende Länder, ein Vater und sein Sohn: Tom Kummer verrichtet mit „Von schlechten Eltern“ einmal mehr Trauerarbeit.
Tom ist jetzt also Nachtchauffeur. Zuerst in seinem Mercedes S 560, später in einem S 600 mit extralangem Radstand, ein Diplomatenfahrzeug, womöglich mit gefälschtem Kennzeichen. Er fährt die wirtschaftliche und politische Elite Afrikas durch die Schweiz. Ein Foto von seiner verstorbenen Frau Nina und den Söhnen Vince und Frank klebt am Armaturenbrett. Bern, Zürich, Interlaken, einmal auch der Liechtensteiner Hauptort Vaduz: Es sind meist Reisen durch die Nacht, die er unternimmt. Er schluckt Pillen, um wach zu bleiben, schwarze, rote, blaue. Manche seiner Kunden sprechen nicht, einige kommen ihm nah.
Der libysche Oberst Khaled Muhammad Kaiba lässt sich von Tom in die Berge fahren, der begleitet ihn bis zu jener Plattform, von der sonst die Basejumper in die Tiefe stürzen. Dann ist da eine amerikanische Journalistin. Sie schreibt für den „New Yorker“ und hat bei Tom und seinen Kollegen, fast alle sind Afrikaner, eine Gemeinsamkeit herausgefunden. Und da ist Doktor Azikiwe, der Mann mit dem Bohrer. „Ich hatte fünf Söhne in Nigeria. Drei sind gestorben. Alle vom Ebola-Fieber weggerafft. Jene Söhne die überlebt haben, hatten ein besonderes Merkmal auf dem Schädel. Die Fontanelle war nicht zugewachsen“, erzählt er, um anschließend einen Vorschlag zu machen: „Alles, was Sie in der Welt in Trauer versetzt, wird sich auflösen.“
Während Tom fährt, liegt sein Sohn Vince im Berner Bett und schläft. Sein älterer Bruder Frank lebt nach wie vor in Kalifornien. Ebenfalls nach wie vor ein fundamentaler Teil seines Lebens: Nina, seine verstorbene Frau. Tom fährt nicht nur einen Wagen, er fährt auch einen Film. Er sieht sie. Sie spricht zu ihm. Und wenn sie nicht zu ihm spricht, tauchen Erinnerungen auf. Ihr Tod, und wie die Bestatter die Leiche aus der Wohnung tragen. Die Geburt der Kinder. Und: „Die erste gemeinsame Wohnung in Westberlin. Ich bin fünfundzwanzig, sie ist einundzwanzig. Wir kennen uns erst drei Jahre. Irgendwann steht sie auf, wischt die Fensterscheiben in der Küche sauber und blickt hinaus auf die S-Bahn-Station Yorckstraße.“
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/tom-k...n/25666512.html
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