Die Linde
Steht in der weißen Landschaft die Linde
Trunken vor Herbstglück und Abschied und schenkt
Tausend goldene Herzen dem Winde,
Der sie in tausend Liebkosungen tränkt.
Aber der Wind will als Liebster nicht taugen,
Bald schon gedenkt er der Trauten nicht mehr.
Ist er nur einmal ihr ganz aus den Augen,
Wirbelt er achtlos die Herzen umher!
Liegen die Herzen zertreten im Staube:
Nun hat die Linde sich völlig vertan,
Nun steht sie bloß und den Stürmen zum Raube!
Niemand sieht es der Frierenden an,
Wie sie einst reich war und was sie verschwendet,
Niemand ermisst ihr unendliches Weh!
Nur der Winter, der alles endet,
Deckt sie erbarmend mit ihrem Schnee.
Wird sie sich künftighin weise beschränken,
Wenn ihr der Frühling erneuert das Kleid?
Wieder im Herbst wird sie Herzen verschenken,
Immer und immer zu schenken bereit!
Alfred Margul-Sperber
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