Meine Vita (Dieser Beitrag ist wirklich elend lang und mein alter ego ein Schwafelkopp - wenn ich mich nicht täusche, hatte ich Ausschnitte vom unten an Stehenden schon woanders verwendet)
All das habe ich gelebt. Das ist mir nicht passiert, ich habe es selbst gemacht. Ich bin, was ich lebe! Und ich lebe, was ich bin…
Aber: Au Backe! Statt mein Schicksal brav in dem Rahmen zu erfüllen, der mir qua Geburtsrecht zustand, rannte ich voller Begeisterung in sämtliche Sackgassen, stolperte in jedes erreichbare Fettnäpfchen, rutschte knapp an einer kriminellen Karriere vorbei und hätte fast einer von den Jungs sein können, die nur von einer Spritze Heroin bis zur nächsten leben. Vermutlich wäre ich dann auch nicht so alt geworden.
Erwachsen werden kam schockweise in Schüben, wie eine Krankheit. Ein Schrecken vor dem nächsten und danach. Die Seele war nur noch am Klagen und Wischen, doch irgendwann blieben dennoch Schlieren zurück, wie braune Streifen in einer zu lange getragenen Unterhose. Die Traumata standen förmlich Schlange. Ideale stolperten und stürzen. Hinter den Kulissen meiner Vorstellung von dem, wie es zu sein hat fletschte die Wirklichkeit ihre Zähne und knabberte an meiner Naivität.
Heute, mit 65 Jahren blicke ich zurück, nein, nicht im Zorn, sondern eher belustigt. Manchmal schäme ich mich auch, wenn die Erinnerung an Momente kommt, in denen ich mich besonders dämlich/egoistisch/verantwortungslos erwies.
Die Musen haben mich gerettet. Trickreich. Mir Erfüllung und Sinn vorgegaukelt. Mit Musik meine Seele gekitzelt. Mit Büchern Samen gestreut, die Knospen größerer Gedanken zum Öffnen ermutigt. Hemmungslos auch ihren Sex eingesetzt, denn das Betrachten der Olympia von Édouard Manet in unserer umfangreichen Bibliothek mit seinen Kunstdruckfolianten löste in mir schon den verständnisvollen Wunsch aus, selber auf legitime Weise eine umfangreiche Nacktheit bei den Damen herzustellen…
Die klassischen Musen haben sich natürlich weiter entwickelt. Klio, ist bei mir zuständig für geschriebene Satire. Melpomene, fürs Klampfen und Kneipenklavier. Terpsichore steht nackig Model, Thalia hat’s mit grundlosem Kichern, Euterpe ist zuständig fürs Erfinden von Geschichten (zum Beispiel dieser), Erato, kriecht mir manchmal unter die Decke für Musenkuss bis ... äh ... Musenfick. Urania, ist ungeheuer und ansteckend neugierig. Polyhymnia denkt zu viel und Kaliope ist meine private Muse des Jodelns, – sie sehen aber alle Neune noch immer recht lecker aus.
'Schreib doch mal etwas über Muße und Faulheit', flüstert Euterpe.
Weise Männer behaupten, das Leben sei Selbstzweck, ohne Ziel und weiteren Sinn. Oder Illusionen. Das nämlich wäre das Ziel und der Sinn: Das ziel- und sinnlose Leben! Überwinden der Illusionen, was sich ja irgendwie auch verdammt gut anhört: „Hey, überwinde mal deine Illusionen, du!“ Die Anderen meinen, der Tod sei das Ziel, der Sinn. Manche glauben an die Liebe, bis sie erkennen, dass sie Sex mit Liebe verwechselten. Und die meisten glauben, was in den Nachrichten kommt sei wichtig.
Eine weitere Fraktion glaubt an einen Sinn, den jeder selber definieren müsse. Dagegen allerdings haben die Priester etwas und verweisen auf einen Gott, den man nicht in Frage stellen dürfe, indem man sich irgendeinen unheiligen Sinn zusammen spinne. Das wäre Blasphemie.
Ich nenne mich Target Fin; den wahren Namen werde ich an dieser Stelle nicht erwähnen, und stamme aus einer alten, wohlhabenden Familie, die bedeutende Wissenschaftler und Politiker hervorbrachte. Doch mein Schicksal, von dem ich hier berichten will, lassen mich in Armut, fern vom Stammsitz meiner Ahnen, wie ein geächtetes, von allen geleugnetes Wechselbalg, meine genealogischen Wurzeln verbergen.
Ist es auch nur ein Name und mag dieser selbst gewählt sein, hat er mir dennoch sibyllisch einen güldenen Ariadnefaden in den Minotaurusirrgarten des Seins gewirkt. Der Rückweg als Endzweck: Ich selber bin das Ziel! Ohne Verfälschung, ohne Ablenkung, ohne Bindungen, nur den realen Bedürfnissen gehorchend.
Ich spüre den fragenden Blick meiner Vorfahren. Seid beruhigt. Ich beweise euch: Mein Leben ist nicht sinnlos. Ich habe ein Ziel, ein hehreres, eine Berufung. Ich habe ‚Iki Gai’, wie der Japaner sagen würde: ‚Einen Grund, morgens aufzustehen’. Ich stelle die Ehre wieder her!
All mein Denken und Handeln ist diesem edlen Bemühen nur Diener, sklavisch treu ergeben. Ich atme, esse, schlafe ausschließlich für mein Begehren.
Es sind mitnichten Liebe, Schön- oder Wahrheit, Reichtum und Macht, oder gar Gott, welche meiner ehrenwerten Neigung Ziel sein könnten. Ich strebe nach Höherem, nach einer Ewigkeit jenseits unserer Gebundenheit an die Materie. Jenseits unserer Vorstellungskraft, in der Leere von grenzenloser Nichtigkeit. Kein Ruhm lockt mich, kein Horizont saugt an mir. Keine Heldentat soll mich unsterblich machen. Kommende Generationen mögen meinen Namen nicht voller Ehrfurcht nennen; mir sei kein Denkmal, kein Fußabdruck im Staub der Geschichte…
Andere mögen an ihren Zielen scheitern, oder ihre Träume verwirklichen, es berührt mich nicht. Sie werden nie gewiss, welch Blendwerk sie lockte und in den Bann schlug.
Mir hingegen ist es nicht gegeben, ihr Narrengold für Wichtig zu erachten. Mein Schicksal ist ein Anderes. Sollen sich törichte Leute in den Irr- und Wirrungen des Seins verlieren, mich treibt ein stärkerer, mir edelster Sporn. Selbst die Poesie, so lieblich sie auch Seelen berühren, und uns für eine kleine Weile in Übermenschen, in Engelswesen, zu ändern vermag, meistert es nicht, diesen Hunger nach Erfüllung meines Schicksals zu stillen.
Oh, Großes erschaffen Menschensohn und –tochter in der Kunst. In Malerei, Tanz, Bildhauerei, Theater, Schrift und Musik. Es ist nicht mein Wunsch dieser Größe anteilig zu sein. Wahrlich, Brillantes vollbringen Menschensohn und –tochter in der Wissenschaft und Technik, in Philosophie und dem Auftrag, sich die ‚Erde untertan’ zu machen, in Politik und Wirtschaft. Doch ich? Ich grase gelassen vor allen Windmühlen.
Denn meine Obsession ist nicht von dieser Welt. Sie entzieht sich der Quantifizierung, wird nicht über Leistung bestimmt, im Gegenteil! Keine Substanzen aus Materie, keine Ideale beschmutzen sie, nichts definiert ihren Wert außer ihrer Makellosigkeit. Sie ist entstofflicht und rein. Sie benötigt keinen Marmor, keine Leinwand, Bühne oder andere irdische Zutaten. Keine Elemente der wahrnehmbaren Welt bekleckern ihre strahlend klare Schönheit. Sie braucht keine Kirchen, Paläste, Inspirationen, Museen, Werkzeuge. Keine Zuschauer, Kundschaft, Training, Mitwirkende. Keine Regeln, Rituale, Lehrer, kluge Bücher, Werbung auf dem Trikot oder Vernissagen.
Meine Ehre lautet: Faulheit! Keinen Ehrgeiz zu entwickeln ist mein Ehrgeiz. Schauet nur, ihr Vorgeborenen, wie ich das Geschenk des Lebens durch Vermeidung großer Taten adele.
Ich spreche nicht nur von der Faulheit des Körpers, sondern auch von der Faulheit des Geistes, sich mit belanglosen Dingen zu beschäftigen.
Ich weiß, wofür ich lebe. Alles ist gut. Oder etwa nicht? Das wiederum wäre mir dennoch gut genug.
Es gibt jede Menge verächtliche Worte für einen Finder der Muße, für einen Meister der Ehrgeizlosigkeit: Penner, Gammler, Faulenzer, Nichtsnutz, Schnarchsack. Er ist in den Augen der Verblendeten nur ein verantwortungsloses, gänzlich dissoziales Etwas, unzuverlässig, ungehorsam, charakter- und überhaupt völlig wertlos. Ein gesellschaftliches Monstrum.
Ganz allgemein: Die Optimierung der Faulheit wird kein bisschen gewürdigt, da Ah‘tens faule Menschen als Konsumenten total uninteressant sind, man Beh‘tens faule Menschen nur geringfügig ausbeuten kann, und ihnen Ceh‘tens Waffen in die Hand zu drücken auch absolut sinnlos wäre. Eher springt ein überzeugt fauler Mensch über tausend Berge, als dass er sich anstrengen würde. Er muss keine Ethik oder Moral bemühen um gut zu sein, sondern begnügt sich mit der Faulheit, um nicht Böses anzustellen.
Der wahre Wert wird ständig übersehen. Die anderen hasten vorbei, sind fleißig, erschaffen Königreiche und Kunst. Sie geben sich halt Mühe. Doch nie werden sie mit meiner Hingabe und Leidenschaft an das Phlegma und für die autistische Apathie ihre chimäresken Sehnsüchte leben: Die ultimative Faulheit! Die lethargische Optimierung der Bequemlichkeit mit Hilfe konzentrierter Gedankenlosigkeit. Die Aufregung der langen Weile. Keine Meditationstechniken nötig. Ein Sofa reicht aus und schon folge ich meinem Leitstern: Wie ich mit geringstem Einsatz die größtmöglichsten Resultate erziele…
Als Kind schon hatte ich herausgefunden, wie nervtötend anstrengend es ist, alle Notwendigkeiten zu erledigen, die sich ergeben, wenn man alle Notwendigkeiten erledigen will. Doch ich vergaß, verdrängte, ließ mich von den anderen und ihren Argumenten halbherzig überzeugen. Dabei wusste ich genau: Die Notwendigkeiten heischen ständig nach Beachtung und sind nie zufrieden gestellt. Der angeblichen Pflicht wird nie ausreichend Genüge getan.
Und wofür? Für Eigenheim, Urlaub und Auto? Ein Auto spart weniger Zeit, Geld und Energie, als kein Auto. (Abgesehen davon fragt man sich unwillkürlich: Warum denn, um Gottes Willen, ausgerechnet an der Zeit sparen, als sei sie tatsächliches Vermögen?) Letztendlich braucht man das Auto nur, um zur Arbeit zu fahren um Geld zu verdienen, um sich ein Auto leisten zu können, um von A nach B zu gelangen, wobei man vielen Autos begegnet, die ihre Insassen von B nach A befördern. So ist es mit fast allem Besitz: Er besitzt uns. All diese Sachen, die man angeblich benötigt, um es sich angenehm zu gestalten, machen das Leben in ihrer schier endlosen Masse nur komplizierter, erfordern mehr Kümmern und Energie, als sie wirklich einsparen. Wir gehen Symbiosen mit Dingen ein. Mit Küchengeräten, Putzmitteln, Wecker, Telefon und Internet, mit Ritualen und parasitären Forderungen derer, die aufgeregt ihre Schäflein rein holen.
Wir verwechseln Innen und Außen. Wir haben die Faulheit zu einer verachtenswerten Todsünde gemacht. Wir haben der Freiheit Zügel und Scheuklappen von Pflicht und Disziplin angeschirrt. Wir funktionieren! Das unterscheidet uns nicht besonders von Amöben.
Wie sehr verlor ich mich als Heranwachsender in der Vordergründigkeit, im Handeln nach Maximen, im Gedenken an Größe beanspruchende selbstverliebte Gedanken großer Denker. Wie vielen falschen Führern musste ich folgen, bis ich in mir den richtigen entdeckte. Er war nur zu faul gewesen, sich bei mir zu melden. Ich musste ihn schon selber finden.
In welch abgedrehter Welt lebt denn Target? (Fragen sich die anderen)
Mit Faulheit sprenge ich meine Grenzen als erdgebundenes Weltenkind und überwinde alle Illusionen. Ich bin zu faul, mich dauerhaft irgendwelchen Täuschungen hinzugeben, geschweige denn, dafür auch noch anzustrengen. Faulheit ist die Voraussetzung, den Sinn des Lebens zu erfahren: Faulheit ist der Sinn des Lebens. Faulheit sei gebenedeiet unter den Tugenden.
Faulheit schont sogar die Umwelt. Faule Menschen schmeißen auch nicht mit Steinen nach Katzen und schubsen keine alten Frauen aus der Warteschlange. Faule Menschen sind zu faul um nachtragend zu sein. Sie intrigieren nicht, sie wollen nicht gewinnen. Sie wollen nur nicht übermäßig oft verlieren.
Wenn es nicht zu anstrengend wäre, würde ich eine Sekte gründen. Die ‚Bruder- und Schwesternschaft der heiligen Faulpelzer’. Alle meine Anhänger wären zur Inaktivität verpflichtet, selbst der Besuch meines Tempels wäre schon eine Sünde wider dem Geist der Faulheit. Sie müssten sich den Pfad der Pfade schon entlang tragen lassen, um als Novize anerkannt zu werden.
Meine Vorfahren wären stolz auf mich. Vielleicht sind sie es sogar. Und so trage ich mein Schicksal mit Stolz wie eine Krone: Ich selber bin der letzte Zweck meiner Existenz:
Born to be far out.
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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