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RE: Ein ganz lamges Märchen über Liebe.

#1 von Karl Ludwig , 17.02.2016 18:02

Liest sowieso keiner hier.

Der Antiheld

Manchmal ist eine Raumzeitkurve um mehr als 360 Grad abgeknickt. Das fällt, bis auf einem kleinen Schwindelgefühl, normalerweise niemandem groß auf. Nur die Realität rafft es öfters einfach nicht, schießt darüber hinaus und blickt anschließend völlig verdutzt um sich. Wirkungen ohne Ursachen passieren ihr nun, auslösende Kräfte sind nicht erkennbar. Ereignisse erscheinen wie aus dem Nichts, was der Wahrheit ziemlich nahe kommt, und verschwinden anschließend wieder.

Es scheint gar kein System gegeben. Wirre Elmsfeuer von Möglichkeiten flackern auf und durchdringen stroboskopartig die chaotisch wabernden Nebelschlieren der Antideterministik.

Dort, weit hinter den Grenzen der Kausalität, sind die Geschichten zu Hause. Auch diese. Geschichten ohne Sinn und Verstand, hervorgerufen allein durch einen, jedem Ding innewohnenden Drang zur Existenz. Dort, im Zusammenhanglosen haben Geschichten Substanz, sind wahrhaftig und geschehen tatsächlich, wenn man den Definitionsrahmen für 'wahrhaftig, Substanz und tatsächlich' etwas unschärfer fasst. (Heisenbergs Ahnungslosigkeitssyndrom!) Diese Geschichten kopulieren mit der verständlicher Weise leicht verwirrten Realität, - ihre gemeinsamen Kinder findet man dann vorzugsweise in Büchern wieder.

Streng nach Darwin setzt sich dann letztendlich immer diejenige Geschichte durch, welche am stärksten ist und das muss nicht unbedingt 'welche am nettesten ist' bedeuten. Manchmal handelt sie von Kindern, welche alte Frauen in den Backofen schubsen, manchmal von blaubärtigen Sultans, die der hübschen Erzählerin den Kopf abschlagen. Da picken Tauben Augen aus, werden Fersen und Zehen abgehackt...

Der Held dieser Geschichte jedenfalls befindet sich plötzlich dort. Gerade noch hatte er, gekleidet wie ein Vampir, in einem düsteren Zimmer düstere Gedichte mit eigenem Blut geschrieben, obwohl er doch überzeugter Vegetarier ist, und auf einmal macht es 'Wuuuhtsch' und er steht mitten im WerWeissWo und die Uhr zeigt AllesZuSpät an.

Noch nie zuvor wurde ein Held geboren, der so feige war, wie dieser Held. Seine Feigheit wurde nur noch von seiner Ungeschicktheit übertroffen. Beim Nase bohren hatte er sich schwer verletzt, daher das Blut, mit dem er gerade Schreckliches verbrochen hatte:

In den Hals den Zahn einschlagen,
mich an deinem Blut zu laben.
Ach, wie gut
das doch tut.

Sein Name? Unwichtig.

Das rief immer großes Gelächter hervor, wenn er sich irgendwo vorstellte: Gestatten, mein Name ist Unwichtig. Total Unwichtig. Er selber gab ja zu, dass sich: 'Gestatten, mein Name ist Bond. (kleine Pause) James Bond' viel besser anhört.

Totu, wie er deswegen meistens gerufen wurde, bückt sich und betastet den Boden. Irgendwas beunruhigt ihn. Nun, wenn die eigene Uhr an einem geheimnisvollen Ort AllesZuSpät anzeigt, darf man ruhig etwas unruhig bleiben. Die Dielen sehen aus und fühlen sich an wie Holz, gleichzeitig aber wirken sie wie aufgemalt. Nur Oberfläche in rein geometrischem Kontext.

Außer einem Tisch, der aus jeder Perspektive verstörend zweidimensional aussieht und einem Sessel mit gleicher optischer Eigenart, ist das Zimmer völlig leer. Eine Fototapete von vielen Büchern in Regalen bedeckt eine der vier Wände, die anderen sind mit blinden Fenstern und einer Tür versehen. Totu zieht ein aufgemaltes Buch aus dem Regal, klappt es auf und liest:

(...) und dann gürtet der Held seine Lenden, nimmt ein Schwert und rettete die Prinzessin (...)

Totu stellt das Buch behutsam zurück. Als überzeugter Feigling liest er viel lieber etwas über schnelleres Davon Rennen. Früher einmal hatte er mit Hilfe eines Ambosses versucht, jede Gefahr weit hinter sich zu lassen. Wenn diese nämlich drohte, schmiss er den Amboss einfach weg und war dann sehr viel schneller, während sich die Gefahr ihre Zähne am Eisen ausbiss.

Dumm ist nur, wenn man sich den Amboss ständig auf die eigenen Füße fallen lässt. Mit Plattfüssen schwimmt man vielleicht wesentlich schneller, aber an Land watschelt man dann wie eine Ente und ergibt eine zu leichte Beute für jede Art von Unbill.

Hinter ihm ertönt ein Sausen und er dreht sich schnell genug um, um ein prächtiges Schwert zu erkennen, welches von oben kommend mit einem aufmunternden Klopfen und der Spitze im Pseudoboden vibrierend stecken bleibt. Der Griff ist mit Edelsteinen besetzt und die Klinge gleißt förmlich. Man erkennt sofort: Das ist ein Schwert, wie es Helden gebührt.

Die Ereignisse treffen offensichtlich Anstalten, sich zu ereignen.

Als er sich vorsichtig heranschleicht fällt ihm auf, dass der Griff nicht aufhört zu zittern. Vor Aufregung? Nimm mich, scheint er zu sagen. Nimm mich in deine mutige Hand und rotte das Übel aus...

Ein neuerliches Geräusch veranlasst Totu abermals herumzuwirbeln. Ein Harnisch, frisch poliert und mit eindrucksvoller Brustmuskulatur versehen, steht plötzlich, plopp, vor der Fototapete. Daneben ein Kettenhemd und ein Schild. Aus den Augenwinkeln nimmt er an der Materialisierung von Strumpfhose, Stulpstiefeln und Helm teil.

Durch die Tür hört er nun eine verzweifelte Frauenstimme um Hilfe rufen. Etwas faucht und scheint ziemlich groß zu sein, als es am Zimmer vorbei stampft.

Wenn man einen doofen Namen hat, heißt das noch lange nicht, dass man auch doof ist: "Oh nein! Nicht ich!"

"Doch, doch. Du!"

Im Sessel knäult sich ein Schemen. Es stellt sich als: 'Roter Faden' vor, scheint sich aber noch in der Entwicklung zu befinden.

"Nun zieh dich schon um."

"Nein, nein. Das muss eine Verwechselung sein. Ich rette keine Prinzessinnen. Hat der Drachen einen Flammenwerfer? Oh, dumme Frage. Natürlich hat er. Hat die Rüstung ein Futter aus Asbest? Oh, nein. Natürlich nicht."

"Die würde auch kaum etwas nützen. Es handelt sich übrigens um keinen Drachen, sondern um einen Lindwurm. Kann man leicht auseinander halten. Drachen verspeisen ihre Nahrung a la Tatar, Lindwürmer bevorzugen Medium. Der Nahrung selber ist diese feine Unterscheidung allerdings nicht besonders wichtig. Das Schwert gehört bis zum Anschlag hinein gesteckt und die Prinzessin befreit. Ihr Vater schenkt dir dann vermutlich das halbe Königreich und so weiter..."

"Nein! Ich trau mich nicht. Macht bestimmt keinen Spaß und tut garantiert weh. Außerdem möchte ich nun wieder zurück, besten Dank aber auch. Sind für so etwas nicht weißgekleidete Prinzen auf edlen Rossen zuständig? Wo ist hier der Ausgang?" Totu öffnet vorsichtig die Tür einen Spalt breit und linst hinaus. Haushoch, metallisch grüne Schuppen, züngelnde Feuerfedern im Maul, Muttermal an der Ferse, Rucksack und beeindruckende Klauen. Ganz klar: Ein Lindwurm. Rucksack? Und nun breitet der Lindwurm auch noch eine karierte Decke aus, holt Teller und Besteck hervor. Das Knäul zupft an einem seiner Enden. Das akustische Ambiente wird durch steigerndes Gekreische von Seiten der Prinzessin bestimmt. An einen Felsen gekettet sieht sie mit basedowschen Augen den Vorbereitungen für ein Picknick zu.

Der Lindwurm holt ein Sektglas und eine Flasche hervor.

Totu sucht nach dem Amboss, greift aber daneben und hebt statt dessen versehentlich ein Schwert auf.

Der Lindwurm klappt einen Grillspieß auf Länge.

Die Prinzessin jammert in Mezzosopran.

Der Lindwurm stellt einen Gewürzständer auf.

Totu registriert mit Verzögerung ein Schwert in seiner Hand. Sofort will er es wieder loswerden aber es weigert sich beharrlich, angemessen aus den Fingern zu gleiten. Erschrocken verliert das Gleichgewicht und stürzt kopfüber in den Helm.

Der Lindwurm bindet sich eine Serviette um...

Totu erhebt sich leicht benommen, knallt die Tür zu, leider von außen, will davon laufen, stolpert natürlich sofort erneut und dreht sich zwei Mal im Kreise. Das Visier klappt herunter und blind wie ein Maulwurf stürmt er in die falsche Richtung auf den verblüfften Lindwurm zu.

Die folgenden Ereignisse lassen sich besser in Zeitlupe schildern: T o t u - s t o l p e r t - e r n e u t - , - d a s - S c h w e r t - l ö s t - s i c h - a u s - s e i n e r - H a n d - u n d - d u r c h b o h r t - d a s - U n t i e r .

Dröhnende Stille. Oder: Sound off und Standbild on, wie ein Regisseur sagen würde.

Nach einer Weile setzt wieder Bewegung ein. Das Schweigen verstummt und man hört nun das Klirren von Ketten, die gerade hastig gelöst werden. Und Kuss? Und Schluss? Nix da! Kein Kuss, sondern Ohrfeigen: "Weißt du Idiot überhaupt, wie schwer es ist, die Qualifikation als Drachenfutter zu halten? Die edelsten Prinzen standen Schlange um mich davor zu bewahren. Nur wollte keiner vorher mit dem Ungeheuer kämpfen. Und dann kommt so eine Witzfigur wie du daher um in letzter Sekunde..."

Das Knäul aus rotem Faden macht sich bemerkbar: "Und nun rate ich dir dringendst, sofort den Rest der Rüstung anzuziehen, ich bin sicher, die Mutter von diesem beklagenswerten Lindwurm hier kommt gleich vorbei, um sich zu beschweren."

"Die Mutter ist vermutlich noch größer?" Totu reibt sich nachdenklich das schmerzende Gesicht. Den Lohn eines Drachen- bzw. Lindwurmtöters sollte doch traditionell aus einem halben Königreich bestehen und oder so. Er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit dem roten Handlungsfadenknäul mal eine Meinung zu sagen, die es aber in sich haben würde. Staunend betrachtet er den massiven Berg aus Schuppen, Klauen und Zähnen. Das Schwert steckt bis zum Anschlag drin, wirkt recht selbstgefällig und gibt leise schmatzende Geräusche von sich. Schaudernd wendet sich ein zufälliger Held aus Ungeschick ab.

"Aber natürlich ist die Mutter noch größer. Sogar viel größer! Schon wieder eine meiner überflüssigen Fragen an das Universum. (Und nie gibt das Universum eine Antwort, sondern grinst sich bloß einen, wie bei einem geheimen Witz) Nun, ich schlage vor, wir verschwinden jetzt ganz schnell von diesem Ort und suchen uns einen netteren."

"Nix da!" Die Prinzessin zieht entschlossen das Schwert aus dem Ungetüm. "Die Mutter soll nur kommen. Weißt du überhaupt, was die mir angetan hat? Von hinten niedergeschlagen und dann für ihren Sohn zum Georgstag als Leckerli am Ziel der Schnitzeljagd angekettet. Nun kommt sie von vorne, ich habe ein Schwert und bin ziemlich sauer. Hah! Prinzen, die das Hinterher schon vorher erledigen wollen, dann aber beim eigendlichen Dazwischen kneifen, in schwarze Umhänge gehüllte Trampel, - setz endlich den blöden Helm ab -, Picknickdecke, Gewürze ..." Die Prinzessin beugt sich vor und liest. "Maggi? Der Sausack hatte echt vor, mich mit Maggi zu würzen?"

Der Boden bebt. Etwas Ungeheuerliches bahnt sich seinen Weg, kommt näher und schiebt jede Menge Unheil, wie in einem Einkaufswagen, vor sich her. Der Himmel verbirgt sein Gesicht und die Prinzessin packt das Schwert fester.

Was nun passiert kann nicht geschildert werden, auch nicht in Zeitlupe, da Totu seine Lider schützend vor die Augen klappt.

Anhören allerdings tut es sich so:

StampfStampfStampfBrüllBrüllFauchZackAuAuAuKnirschKnirschZackAuAuAuKreischAuAuAuHackHackArghhhhhh.

Als er die Augen wieder öffnet sieht er jede Menge Blut, Gekröse und Hautfetzen. An solchen kleinen Details erkennt man, dass es sich um ein Märchen handeln muss. Der Handlungsfaden fängt sich einen scharfen Blick ein, fuselt ein wenig verlegen herum und rollt sich ein Stück weit weiter auf.

Traditionen haben es sowieso schwer an Orten, wo die Kausalität nichts zu melden hat. Deswegen badet hier auch keiner im Lindwurmblut.

Endlich kommt Totu dazu, die Prinzessin genauer zu betrachten. Der gestillte Zorn steht ihr gut, das zerrissene Gewand auch und sie mittelgroß, wunderhübsch und schwer atmend vor ihm. Strahlend triumphierend braune Augen, siegesgewisse Stupsnase, Gewinnermund. Lindwurm tötende mutige Mädchen sind seltene Antithesen und Totu reicht ihr gentil seinen Umhang, aber zu spät. Es ist eh schon um ihn geschehen.

Sein ganzes bisheriges Leben lang war er vor dem Leben auf der Flucht gewesen, hatte allen Gefahren einen umgedrehten Zoom von seinem Rücken gezeigt und jegliche Aufregung vermieden. Probleme mit Frauen kannte er nur aus der Literatur und das genügte ihm. Wenn ihm jemand gestern noch gesagt hätte, dass er zum eigenen Schaden mehr Jungfrau wäre als es die Prinzessin für nötig hält, hätte er dazu bloß schreckliche Hymnen über Hymen von sich gegeben:

Ein Vampir, um halb vier, voller Gier, hatte ihr, wie ein Tier, nach viel Bier, ihre Zier ... äh ... Irgend sowas hier ...

Und nun kommt ihm die Liebe doch direkt von vorne entgegen? Boxt ihn in den Bauch. Zielt auf seine Libidodrüse und kündet von den Wundern der Natur? Da sind Schwert schwingende Heldinnen, die sich mit entschlossenem Gesichtsausdruck auf eine erboste Lindwurmmutter stürzen gar nichts gegen. Auf so was ist er noch weniger vorbereitet.

Nichts kann einen auf so etwas vorbereiten!

"Äh ... Name ... äh?" stammeln seine Lippen, er selber würde sich natürlich niemals trauen, so ein intimes Thema anzuschneiden.

Die Prinzessin verdreht die Augen. Dann bückt sie sich und nestelt an einer Schlinge im Handlungsfaden herum. "Mal sehen, was für ein Schwachsinn jetzt noch passiert. Gib mir mal das Schwert, ich glaube der Name lautet Balmung. Hier scheint ein gordischer Knoten vor zu liegen. Ich heiße natürlich Georgina und heute ist mein Namenstag. Deswegen wollte mich der Drache, äh, Lindwurm doch fressen. Und du?"

"Bond. James Bond." Der Mund ist schneller, als seinem Besitzer lieb. "Ach, egal. Total egal." hören seine Ohren noch, dann werden sie rot.

Die Prinzessin zieht eine Braue hoch. Sowas kommt immer gut, wenn Skepsis angedeutet werden soll. "James und Georgina? Hm. Hört sich nicht nur bescheuert an ..." Sie trifft Anstalten, dem gordischen Knoten exemplarisch etwas Einschneidendes ultimativ klar zu machen.

"Nicht!" Das Knäul weicht einem ernst gemeinten Schwerthieb unerwartet geschickt aus, entfernt sich schnell rollend und wickelt dabei seinen roten Faden ab. "Folgt mir unauffällig." Und tatsächlich, eine schwarz gelockte Heldin mit magischem Schwert in zerrissenem Hemdchen unter einem schauerlichen Cape, nebst hagerem Feigling mit Menjou Bärtchen im Frack, fallen niemandem auf, als sie sich in Bewegung setzen.

"Kommt jetzt die Stelle, wo mir ein halbes Königreich angeboten wird?"

Georgina wirft einen Blick auf ihren Retter. Nun, eigentlich sieht er gar nicht soo schlecht aus. Der Smoking ist natürlich albern übertrieben, besonders wenn man die Tennissocken berücksichtigt. Die Haare könnten etwas länger sein und das lächerliche Bärtchen müsste verschwinden, das sieht aus wie ein Kakaorand unter der Nase. 'Halt dich mal gerade, du stehst da wie ein Schweinehaken' will sie sagen, aber ihre Lippen meinen:

"Nein, jetzt kommt die Stelle, wo der Retter geküsst wird."

Erstaunt schielt sie nach unten, aber die Nase verstellt den Blick auf den Mund. Der redet unbeeindruckt weiter:

"Du muss das mit den Ohrfeigen bitte entschuldigen, aber ich war so aufgeregt, weil der Dra... Lindwurm meine Qualifi... ach, du weißt schon ..."

"Weiß ich?"

"Na ja, ich hatte mir ja Mühe gegeben. Aber wenn jede Nacht mehrere dutzende Ritter unter einem Balkon zur Laute greifen..."

"... dann kann die Jungfrau nicht ruhig schlafen?"

"Ja. Genau." Erleichterung überzieht ihr Gesicht, verweilt kurz und weicht dann einem wesentlich weicheren Ausdruck, der kaum an eine Dra ... Lindwurmtöterin erinnert. Von unsichtbaren Fäden gesteuert (Diese Methapher ist keine Methapher) machen Georgina und Totu einen zögernden Schritt auf einander zu.

"Moment noch." Totu bückt sich wie in Trance und reißt den Handlungsfaden durch.

(...)

Später knotet Georgina die losen Enden wieder zusammen und hört nicht auf das Genöle vom Knäul, von wegen, da würde ein Stück fehlen.

Händchen haltend und mit Luftkissen unter den Sohlen folgen Georgina und Totu dem roten Faden durch ein surreales Panorama. Für eine genauere Beschreibung der Umgebung, müsste man die Seite, oder, falls jemand am Rechner liest, den Bildschirm, mehrmals falten. Es kann helfen, dabei an ein langgezogenes, bunt kariertes Gummiboot zu denken, oder auch nicht.

Man stelle sich einfach ein Gemeinschaftswerk von Bosch, Dali und Escher vor, in diesem besonderen Fall allerdings konkret betretbar. Brennende Giraffen, seltsame Schattenwesen, Treppen, die ins Nichts führen, der Fantasie sind freundlicher Weise keine Grenzen gesetzt. Ja, auch schlapp abhängende Uhren...

"Ich will endlich wissen, was hier los ist." Totu befindet sich auf der Unterseite einer Stufe und befürchtet nach oben zu fallen, nach dort, wo Georgina auf dem Kopf steht. Der rote Faden scheint sie eingewickelt zu haben. Wie alle Feiglinge, neigt Totu normaler Weise dazu, lieber nicht zu wissen, was los ist. Doch das Wunder der Liebe ist ..., nun, halt ein wundervolles Wunder, und außerdem zeigt er, wie alle Feiglinge, auch Ansätze von Mut, wenn er keine Alternativen mehr sieht. Zögernd greift er nach diesem vermaledeiten Fadengewirr, welches Innen und Außen nicht auseinander halten kann, zieht zaghaft daran, stülpt es dabei versehentlich um und hält es plötzlich in der Hand.

"Das ist alles ganz verkehrt. Ich sitze in Wirklichkeit zu Hause und träume bloß."

Das Knäuel in seinen Händen zappelt. "Bist du sicher? Könntest du dann bitte aufwachen, mir ist so seltsam."

"Möchtest du dich noch seltsamer fühlen?" Totu drückt etwas fester zu und der rote Faden wechselt seine Farbe von blassknallrot zu fastblutrosa. "Schon gut. Schon gut. Das ist wirklich nicht nötig. Ich erzähle, was ich weiß, viel ist es allerdings noch nicht."

Georgina hält einen vorbeimarschierenden Sessel an, schmeißt einen Klumpen Fett vom Polster und setzt sich (Woanders bereiten Beuys Erben eine Schadensersatzklage vor): "Ja, erzähl mal. Ich erinnere mich nur, Hammurapi dem Ersten als, äh, ... Architektin beim äh, ... Turmbau geholfen zu haben, als ich mich plötzlich an einen Felsen gekettet hier wiederfinde, komplett mit umfassenden Erinnerungen als Prinzessin. Dabei mag ich doch gar keine Erbsen. Wenn ich dich auf- und abwickeln würde, wüsstest du dann mehr?"

"Nein, das würde nur ein anderes Knäuel ergeben. Soweit mir klar ist, handelt es sich bei mir um eine Wette zwischen Aphrodite und Chronos."

"Bitte? Eine Wette? Zwei blöde Götter würfeln um das Schicksal von Sterblichen und so?"

"Ungefähr. Das zweitgrößte Liebespaar aller Zeiten, leider getrennt durch Zeit und Raum. Genauer: 3.599 Km und 3.836 Jahre! Aphrodite meinte, das würde sie kein bisschen beeindrucken und hat nun vermutlich gewonnen. Wahrscheinlich sollt ihr nun glücklich bis ans Ende..."

"Ach, sei schon ruhig." Das zweitgrößte Liebespaar aller Zeiten mustert sich.

"Magst du Kinder?"

"Nicht roh."

Totu atmet erleichtert auf. "Und das halbe Königreich will ich auch nicht haben. Verantwortung und so ist nicht mein Begehr. Außerdem soll dieser Job ziemlich gefährlich sein. Ermordet zu werden gilt in diesem Beruf als natürliche Todesursache."

Woanders, in einem Kasino mit Louis-treize Charme, blicken sich Aphrodite und Chronos über das Spielfeld hinweg starr in die Augen. "Diese Runde ging an dich, aber das Spiel ist noch nicht zu Ende. Du hast die Vergangenheit ignorieren können; ja, ich erkenne nun ganz genau: Das zweitgrößte Liebespaar aller Zeiten hat sich allen Widernissen zum Trotz gefunden, da können Romina und Julius tatsächlich nicht mehr mithalten, klar, doch die Zukunft, liebe Aphro, ist ein völlig anderes Stück Geschichte. Mal sehen, ob die Liebe auch hält, wenn sich die bezaubernde Prinzessin in den nächsten Jahren in eine keifzickende Breitarschwuchtbrumme verwandeln wird, und dieser lächerliche Antiheld in einen übelgelaunten, lethargisch biernuckelnden Fleischklops."

Nach diesen schicksalsgeschwängerten Worten schiebt Chronos sämtliche Jetons in die Mitte: "Rest!"

"Du bist und bleibst ein aus dunklem Chaos Geborener. Ich halte und setze einen Joker." Aphrodite winkt der Bedienung heran. "Kennst du schon Hebe, die Göttin der ewigen Jugend? Als Stipendantin macht sie hier manchmal den Mundschenk und ist mein Joker."

"Du mogelst."

"Götter mogeln immer."

"Ich bin ein Schöpfergott und erzeugte aus Aither ein silbernes Welten-Ei. Das habe ich nicht verdient."

"Gibst du auf?"

"Nein, ich gehe selber runter aufs Spielfeld und nehme Thanatos mit."

"Oh. Den hässlichen Dämon des Todes? Klar, du kannst dir deine Leute aussuchen, wo immer du willst, aber, - nur mal so als Tipp: Wenn die Zwei sterben, habe ich automatisch gewonnen, denn jung zu sterben würde bedeuten, dass das zweitgrößte Liebespaar aller Zeiten glücklich bis zum Ende gelebt hat. Äh, gelebt haben würde. (Konjunktives Past Futurum. Glaube ich... Mal jemanden fragen, der mit damit auskennt)" *(Siehe Anhang, den ich nicht verstand)

"Tja, aber was ist, wenn nur die Prinzessin stirbt?"

"Dann gibt es ein Mega-Tadsch-Mahal. Ändert nichts an meinem sicheren Sieg. Merke es dir endlich mal: Die Liebe ist die größte Macht. Sie unterliegt nicht den Gesetzen der Zeit, denn die Liebe ist ewig und stirbt nie. Sie ist der Grund für das Universum und bislang hat sie es immer geschafft zu überleben, auch unter schwierigsten Bedingungen. Manchmal im Verborgenen, als Märchen verleumdet, und doch, wenn man aufgrund irgendwelcher hässlichen Ereignisse kurz davor ist, sie für ein übles Gerücht zu halten, taucht sie frisch gewaschen wieder auf. Du kannst die Liebe nicht besiegen. Sie ist ewig! Per Definition unsterblich!"

"Nun, mir würde ein Sieg über die geschlechtliche Liebe genügen und ein anschließendes Besäufnis, finanziert aus dem Gewinn." Chronos blickt auf den großen Haufen Jetons. "Das sind mehrere Besäufnisse..."

"Die geschlechtliche Liebe speist sich aus der allgemeinen. Zugegebener Maßen, manchmal tatsächlich kaum zu glauben. Pech für dich! Lass uns runter gehen, und ich werde dich Mores lehren, natürlich liebevoll."

Und so waren die Bedingungen geschaffen für ein Schweinerennen auf allerhöchster Ebene. Liebe und Jugend gegen den Tod und die Zeit.

Das fast größte Liebespaar aller Zeiten hatte inzwischen den Weg aus dem voll verpeilten Bild gefunden, immer dem roten Faden nach. "Guck mal. Der Strick ändert seine Textur." Totu kniet sich hin und deutet auf eine bestimmte Stelle "Ab hier ist noch ein anderer Handlungsstrang drum herum gewickelt. In Gülden. Na, mal sehen was das zu bedeuten hat."

"Drum herum? Bei dabei? Selten dämliche Wortspiele. Ich kannte mal Einen, der ganz stolz auf seinen Humor war. Er hatte bloß keinen. Deswegen benutzte er auch ständig solche Doppelmoppel. Für dafür, mit damit, drum herum, von davon, usw. Ha-ha. Ich glaube, er wurde wegen deswegen irgendwann gelyncht. Zu Recht, finde ich."

"Ach, sei schon ruhig. Du musst ja nicht lachen. Da vorne scheint was los zu sein."

Ein kleines, ovales Objekt, nicht größer als ein Hühnerei, fällt pfeifend vom Himmel, ihnen direkt vor die Füße, schwillt leise summend an. Lässt Mauern entstehen, Säulen wachsen und dann steht es plötzlich voll ausgeschwollen im Weg, wie das Kolloseum in Rom, allerdings wesentlich weniger kaputt.

Es geschah aber genau zu dieser Zeit, dass der Voluntär Hermes sein Debut als Lokalreporter gab. Die sechs W-Fragen wurden akkurat der Reihe nach bearbeitet:

Was? Die Spieler laufen auf. Das Publikum begrüsst enthusiasisch die Mannschaften.

Wer? Auf der einen Seite Aphrodite und Hebe, auf der anderen Chronos und Thanatos. Das zweitgrößte Liebespaar aller Zeiten schaut von der Präsidentenloge aus zu.

Wo? Im Niemandsland zwischen den Dimensionen in einer Arena.

Wann? Darüber liegen keine Daten vor. Irgendwann, nachdem alles zu spät war.

Warum? Und wenn schon.

Wie? Im Geiste der Freundschaft und Völkerverständigung. Mit Respekt und anschließendem Tausch der Trikots...

Auf Gong hin packt sich Hebe den etwas langsam reagierenden Thanatos, und schlägt damit auf Chronos ein, der im Schwitzkasten von Aphrodite zappelt. Thanatos strampelt sich frei und zieht Hebe an den Haaren. Chronos tritt nach vorne aus und Aphrodite hüpft auf einem Bein und laut fluchend (Mögen Skorpione deine Eingeweide fressen) in Sicherheit. Thanatos betrachtet erstaunt die Perücke in seinen Händen. Hebe nutzt die Unentschlossenheit aus.

Fortsetzung folgt, falls mir eine einfallen sollte.

*Konjunktiv 1 benutzt man für die indirekte Rede z.B. Sie sagte, das Wetter sei schön. Er sagte, er gehe noch zur Schule. Wenn die Konjunktiv 1-Form gleich mit dem Indikativ ist, z.B. Sie sagten, sie gehen noch zur Schule. wird Konjunktiv 2 benutzt: Sie sagten, sie gingen noch zur Schule. Wenn das wie in dem Fall oben wieder identisch mit dem Indikativ ist, benutzt man eine Form mit würde: Sie sagten, sie würden noch zur Schule gehen. (Konjunktiv 1 ist in der Regel in der 1.Person Singular (ich), Plural (wir) und in der 3. Person Plural (sie) identisch mit dem Indikativ)

Konjunktiv 2 benutzt man für irreale Aussagen oder Wünsche.

Bildung Konjunktiv 1: Verbstamm im Präsens + Personalendung: ich -> +e Ich sagte, ich trinke. (trink+e) du -> +est Du sagtest, du trinkest. (trink+est) er -> +e Er sagte, er trinke. wir -> +en Wir sagten, wir trinken. ihr -> +et Ihr sagtet, ihr trinket. sie -> +en Sie sagten, sie trinken.

Bildung Konjunktiv 2: Verbstamm im Präteritum + Personalendung: Die Endungen sind die gleichen wie im Konjunktiv 1. Verbstamm im Präteritum ist z.B. von laufen -> lief. Bei Verben wie trinken, bei denen der Stamm im Präteritum z.B. trank wäre, wird aus dem a ein ä.

Die sechs W-Fragen sind: Was (geschah)? Wer (ist beteiligt)? Wo (geschah es)? Wann (geschah es)? Wie (geschah es)? Warum (geschah es)?

Kapiert? Ich nämlich nicht.


Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!

Karl Ludwig  
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