Eingesperrt
Fang Fangs „Wuhan Diary“ handelt genauso vom Virus wie von Willkür und Zensur
Wie fühlt es sich an, wenn Millionen zu Hause bleiben müssen, während sich die Welt weiterdreht? Fang Fang dokumentierte die alltägliche Angst in einer abgeriegelten Stadt im Netz, berichtete hautnah von der Verzweiflung unter den Menschen und eigenen Befürchtungen, von Kranken und Verstorbenen. Und sie prangerte die Lokalregierung und die staatliche Geheimhaltungspolitik an. Über 50 Millionen lasen mit – sofern die Blogbeiträge nicht gelöscht wurden. Mehr als vom Virus erzählt das Tagebuch, das jetzt gedruckt vorliegt, von einem Zensur übenden, Meinungsfreiheit unterdrückenden Staat.
Der erste Eintrag datiert auf den 25. Januar, zwei Tage nach dem Lockdown in Wuhan. Hier lebt sie seit ihrem zweiten Lebensjahr. Wuhans Schicksal ist ihr Schicksal. „Die Ursache meiner Liebe zur Stadt ist meine Vertrautheit. Unter allen Städten der Welt fände ich mich nur hier zurecht. So als kämen mir Massen von Menschen entgegen, und unter den unzähligen fremden Gesichtern würde mir ein einziges vertrautes entgegenlachen: das Gesicht Wuhans“, so schrieb Fang Fang einmal.
Zwei Monate, gut 60 Einträge, von denen viele mit der Beschreibung des Wetters beginnen: Kälte, Wind, Regen sind ein schlechtes Omen, weil sie die Abwehrkräfte schwächen, vielleicht die Epidemie befeuern. Durchhalteparolen und Ermunterungen von Mitbürgern finden ihren Weg ins Tagebuch. Fang Fang wird ihrer Rolle als „Volksschriftstellerin“ gerecht. Sätze, nicht selten schwer von Pathos.
Fang Fang wurde 1955 geboren. Nach dem Ende der Kulturrevolution studierte sie Literatur an der Wuhan-Universität. Ihr erster Roman erschien 1982, da arbeitete sie bereits als Drehbuchautorin für Fernsehserien. Ihr Wuhan Diary erschien zunächst in den sozialen Netzwerken, wo die Einträge regelmäßig wie von unsichtbarer Hand verschwanden. Fang Fang berichtete dann in den Folgeeinträgen von der Zensur. Zum Glück wurden die Beiträge geteilt und kommentiert; das Netz ist schneller als seine Zensoren. Die hatten allen Grund, sich der Beiträge anzunehmen: Unentwegt kritisierte Fang Fang die Regierung, konkret die Kader der Regionalregierung. Die Staatsregierung wird interessanterweise nicht einmal erwähnt. Ein chinesisches Äquivalent zu „Merkel muss weg“ scheint nicht denkbar. Dafür bemerkenswerte Absätze wie dieser: „Liebe Netzzensoren, gewisse Dinge auszusprechen, müsst ihr den Wuhanern gestatten. Das schafft ihnen etwas Erleichterung.“ Fast wirkt es, als habe sich die Autorin mit den Zensoren arrangiert. Freilich ändert sich die Qualität von Zensur, wenn sie allen bewusst ist.
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