Eigener Schmus
Jörg Fauser kennt man als harten Prosaisten. Seine Lyrik ist rau und zart
Ein Freund schwärmte kürzlich von einem Zeilensprung in Goethes Wandrers Nachtlied. Der Sprung von „du“ auf „kaum“ in „Über allen Gipfeln / Ist Ruh‘, / In allen Wipfeln / Spürest du / Kaum einen Hauch“ sei nicht nur klanglich, sondern auch semantisch einer der vollkommensten, indem das „Kaum einen Hauch“ das „Spürest du“ wieder annulliere.
Jörg Fauser, geboren 1944 in Schwalbach im Taunus knapp, aber doch neben Goethes Geburtsstadt, war grade 22, als er Statt einer Antwort schrieb, das also fast noch ein Jugendgedicht ist: Da liest man: „Worauf ich warte? Ich weiß / es nicht.“ Das Gespräch über Goethe fiel mir beim Sprung von „Ich weiß“ zu „es nicht“ wieder ein. Wie vom Zehnmeterbrett ins leere Schwimmbecken: Klanglich vollkommen ist das nicht, semantisch aber explosiv, krass, irreversibel und unbedingt glaubhaft.
Kampf gegen die Sucht
Die Frage nach der Vollkommenheit seiner Gedichte, die nun erweitert um bislang unveröffentlichte vorliegen und mit einem Vorwort vom Lyriker und erklärten Fan Björn Kuhligk versehen sind, hätte Fauser wenig interessiert. In Augenblicke der Vollkommenheit, das zuerst unter dem Titel Hemingways Hirn 1976 in der Basler National-Zeitung erschien, heißt es: „Lieber Wahrheit als Vollkommenheit“, und später: „einen Augenblick lang mir selbst nicht fremd zu sein / wäre atemberaubend vollkommen atemlos frei / so frei wie Hemingways Hirn /als er den Abzug berührte / aber was soll mit solchen Augenblicken der Vollkommenheit / wer nicht weiß / wie er morgen / überleben soll“.
Über Charles Bukowski, eines seiner größten Vorbilder, schreibt er: „Wer Kunst-Gedichte im herkömmlichen Sinn mag, wird sich bei Bukowski nicht wohlfühlen. Gerade meiner Generation aber, die nach dem scheinbaren Aufbruch der sechziger Jahre sich heute kaputt und resigniert in der ziemlich gespenstischen Szenerie unserer Gegenwart zurechtfinden muss, liefert Bukowski genau das, was wir von der Literatur verlangen: Informationen fürs tägliche Überleben.“ Schreiben ist Überleben. Und Schreiben ist auch ein Kampf gegen die Sucht, wie bei Peter Kurzeck, Ernest Hemingway oder eben Bukowski. Immer ist etwas Gehetztes, Atemloses, Dionysisches im Ton. Bei Fauser oft rau gegen sich selbst, unerwartet zart gegen andere.
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„später / liege ich in meiner Bude / in einer gleichgültigen Stadt / ziemlich nah am Zentrum des Schreckens / irgendeine Zone nördlich von Nirwana / Miete nicht bezahlt Telefonrechnung überfällig / und starre die Wände an / zehn Jahre Selbstmord auf Raten / zehn ganz gewöhnliche Jahre / und es gibt keine Mieze / nur die Spinne überm Türrahmen / der ich mit einer leeren Rumflasche / den Garaus mache“, heißt es in Zehn Jahre später.
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