Howard Jacobson „Rendezvous...“: Zimperlein und die furchtbare Frau
Howard Jacobsons fabelhaft lustiger und trauriger Roman über zwei alte Menschen und ihre Zuneigung.
Der Brite Howard Jacobson wurde 1942 in Manchester geboren. Mit Fug und Recht kann man also seinen 2019 unter dem Titel „Live a little“ erschienenen, nun als „Rendezvous und andere Alterserscheinungen“ übersetzten Roman ein „Alterswerk“ nennen. Eines, das die Fülle von Jacobsons Formulierungskunst und -list ausbreitet, seines Witzes und seiner feinen Ironie, seiner Fähigkeit, memorable Figuren zu erschaffen. Die beiden hier zentralen Charaktere haben die 90 überschritten, aber es wäre ein Fehler, sie für uninteressant, gar nur müde und harmlos zu halten. Oder, Gott bewahre, für „niedlich“, ein Wort, das tatsächlich im Zusammenhang mit der weiblichen Hauptfigur fällt. Die hat im Gegenteil Haare auf den Zähnen – und sie haben sich, anders als ihr Gedächtnis, noch nicht gelichtet.
Beryl Dusinbery weiß, dass ihr Leben oder vielmehr die Erinnerungen an ihr Leben mittlerweile „zu drei Fünfteln eine Leerstelle“ sind. Besonders mit der Sortierung und Benennung ihrer Männer und Söhne hat sie Probleme. Wie könnte man das deuten? Shimi Carmelli wiederum leidet am hyperthymestischen Syndrom, das heißt, er erinnert sich an praktisch alle Details aus seinem Leben. Die alten Damen, die ihn als Kartenleger schätzen (er sagt ihnen die Zukunft voraus – und warum denn nicht), kann er damit verblüffen. Ihn selbst quälen viele dieser Erinnerungen, besonders jene eine, in der er als Kind eine voluminöse Unterhose seiner Mutter aus dem Schmutzwäschekorb fischte und anzog. Was mag da in ihn gefahren sein? Die Scham darüber wird ihn bis an sein Lebensende begleiten.
Erst nach mehr als 200 Seiten, in Buch zwei, werden sich Beryl und Shimi begegnen, feststellen, dass sie sich viel zu sagen haben, wird Shimi Tag um Tag die Straße überqueren und Beryl besuchen, so dass sich irgendwann Beryls Politiker-Söhne – einer bei den Tories, einer Labour – dafür zu interessieren beginnen werden, wer dieser Mann ist und ob er womöglich noch ihr Stiefvater werden wird. Folgt Buch drei, ein von Beryl gewünschtes „Kennenlern-Bankett“ für die Familie.
Ein Paar wie Feuer und Wasser, eigentlich. Da ist die bissige, auch ihrer beginnenden Demenz resolut, mit haufenweise Notizen begegnende Beryl Dusinbery – „Sie ist ihr ganzes Leben lang eine furchtbare Frau gewesen“. Und ist es noch, immer mal zu ihren Pflegerinnen und Haushälterinnen Nastya und Euphoria. Und da ist auf der anderen Seite Shimi Carmelli, der stets den Eindruck macht, sich am liebsten unsichtbar machen zu wollen (Kartentricks kann er ja schon): „Alles, was er tut, tut er geflissentlich.“
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