Gut geschmiert
Wilhelm Schlötterer schreibt Bestseller über den bayerischen Filz. Die CSU schweigt dazu – andere schauen weg
Vor Jahren weigerte sich Dr. jur. Wilhelm Schlötterer, damals Leiter des Steuerreferats im bayerischen Finanzministerium, Großunternehmern die Steuer zu erlassen, und erregte damit den Unwillen des aufstrebenden Politikers Franz Josef Strauß. Als Strauß Ministerpräsident wurde, geriet Schlötterer unter Druck: Man rügte ihn, eröffnete ein Disziplinarverfahren, verweigerte die Beförderung; Strauß wollte ihn für geisteskrank erklären lassen. Der nervenstarke junge Beamte konnte zwar die Angriffe abwehren und seine Beförderung erzwingen, musste aber das Steuerreferat abgeben. Franz Josef Strauß machte in den folgenden Jahren das System „Steuerbefreiung gegen Schmiergeld“ zum Fundament eines gigantischen Vermögens.
Jahrzehnte später, nach seiner Pensionierung, schrieb Schlötterer darüber sein Buch Macht und Missbrauch (2009), die atemberaubende Innenansicht eines Ministeriums im Schwitzkasten krimineller Politik. Es wurde mit über 100.000 verkauften Exemplaren ein Bestseller. Aus der Politik kam kein Dementi. CSU-intern wurde die Devise ausgegeben, über das Buch zu schweigen. Auch die Presse hielt sich raus. Auftritte des Autors wurden zwar im Lokalteil erwähnt, die Feuilletons aber ignorierten das Buch.
Nun eine schöne Überraschung: Zahlreiche Leser meldeten sich mit eigenen Beobachtungen bei Wilhelm Schlötterer. Diese Zeugen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten vom Chauffeur bis zum CSU-Politiker hatten bisher geschwiegen, weil sie sich ohnmächtig fühlten, zunächst gegenüber dem cholerischen und rachsüchtigen Strauß, später angesichts der triumphalen Selbstdarstellung der CSU. Aber sie hatten Vorgänge notiert und Dokumente aufbewahrt, sie waren erleichtert, endlich Gehör zu finden. Damit begann ein eigenwilliges Projekt machtunabhängiger Geschichtsschreibung, das seinesgleichen sucht. Der Pensionär Schlötterer hatte keine Ermittlungsbefugnisse, keinen Redaktionsstab und kein Team von Rechercheuren, aber er hörte zu. Mit seiner Geduld, Übersicht und Kompetenz erwarb er so viel Vertrauen, dass die Zeugen eidesstattliche Erklärungen abgaben und auch dann bei der Wahrheit blieben, wenn sie unter Druck gesetzt wurden. Schlötterer verarbeitete die Fülle der neuen Informationen zu seinem zweiten Buch (Wahn und Willkür, 2013), einem vielstimmigen Sittengemälde bayerischer Politik. Wie das erste besticht es durch Scharfsinn, und es teilte auch dessen Schicksal: Bestseller, Schweigen seitens der CSU, keine Feuilletons. Und wieder neue Zuschriften an den Autor.
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