Der Misshandelte
Gertrud Kolmar
In meiner Zelle brennt die ganze Nacht das Licht.
Ich stehe an der Wand und schlafen darf ich nicht;
Denn alle zehn Minuten kommt ein Wärter, mich zu schaun.
Ich wache an der Wand. Sein Hemd ist braun.
Die andern kehren wieder, unterhalten sich
Mit meinem Schrein und Stöhnen, lachen über mich,
Sie recken mir die Arme gewaltsam, nennen's Sport.
Ich breche in die Knie ... und endlich gehn sie fort.
Ich sah nicht Bäume, Sonne - ob es die wirklich gibt ?
Ob wo ein armes Kind noch seinen Vater liebt ?
Kein Zeichen mehr, kein Brief - und ich habe doch eine Frau!
Sie sagten: »Du bist rot; wir schlagen dich braun und blau.«
Sie peitschten mit stählernen Ruten und mein Rumpf war bloß . .
O Gott! O Gott! Nein, nein! Ich bin ja glaubenslos,
Ich habe nicht gebetet im Felde, im Lazarett,
Nur abends als kleiner Junge, und die Mutter saß am Bett.
Die Erde ist Kerkergruft, der Himmel ein blaues Loch.
Hörst du, ich leugne dich! Mein Gott... ach, hilf mir doch!
Du bist nicht: wenn du wärst, erbarmtest du dich mein.
Jesus litt für euch alle; ich leide für mich allein.
Ich steh' und sinke ein bei Wasser und wenig Brot
Stunden und aber Stunden. Wie gut, wie gut ist der Tod!
Hingelegt... und verschlossen in tiefem, dunklem Schacht
Keine grelle Lampe. Nur Schlaf. Nur Stille. Nacht . .
(1933)
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