Attila Bartis: Das Ende
Fünfzehn Jahre hat Attila Bartis an seinem Roman gearbeitet. Entstanden ist ein Meisterwerk, erzählt mit dem dunklen Blick eines Fotografen
Schon der erste Moment im Lebensbericht des Fotografen András Szabad ist ein Verweis auf die Angst. Da zieht ein Taxifahrer unter seinem Blouson ein Stahlkabel hervor, erschlägt einen überfahrenen, noch nicht toten schwarzen Hund auf dem Weg zum Budapester Flughafen. Ein Gnadenakt, ein Bild roher Gewalt, ein Kuriosum – warum trägt der Taxifahrer etwa 1994 ein Stahlseil am Körper? Der schwarze Hundekopf taucht als Goya-Bild und bedrückender Traum des jüngeren Szabad in der Erzählung wieder auf, jetzt aber fährt mit Szabad, zweiundfünfzig Jahre alt, Fotograf, die Angst mit auf dem Weg zum Flughafen, sie quillt durch viele Szenen des ganz wunderbaren, mitreißenden Romans Das Ende des Ungarn Attila Bartis. Tatsächlich sind wir im Taxi schon am Schluss seines Erzählbogens, Szabad hat eine unklare Krankheitsdiagnose in der Tasche, die Brücke von Mostar ist zerbombt, kleiner Hinweis, dass alle Illusion über den Zusammenbruch des Realsozialismus schon in gierigen Nationalismus umgekippt ist.
Die Angst ist eine erste Kindheitserinnerung: Ein Pfau wird in der Wohnung wild, nachdem sich gerade dort ein deutscher Offizier und Ethikprofessor erschoss, das Tier drohte dem Zweijährigen die Augen auszukratzen. Die Augen bleiben intakt – und weil der Vater ihm dazu den Weg bereitet, beginnt Szabad bald zu fotografieren.
Das Goya-Bild zeigt ihm dann Éva, überhaupt hat vieles mit Éva zu tun, Szabad fürchtet nichts mehr, als dass sie ihn verlässt, in ihr finden Angst und Freude Kristallisation und Katharsis. Éva jedenfalls drängte ihn, seine Bilder zu zeigen. Nun, auf dem Weg zum Flughafen, ist Éva tot und Szabad, der sogar ein bekannter Fotograf wurde, hat seitdem kein Bild mehr gemacht. Und so sind mit dieser Schlusszene im Taxi längere Linien an ihr Ende gekommen, Szabad geht ihnen nach, blickt wie einer, der eine große Kiste Fotografien vor sich hat, auf sein Leben: ab und an verrutscht die Chronologie. Szabad zieht jedes einzelne Bild hervor, erzählt aber nicht die Fotografie selbst, sondern die Dinge drum herum, die sonst ins Dunkel der Erinnerung zurückfallen: Episoden, Fetzen, Kleinigkeiten, Anekdoten. Bartis lässt seinen Protagonisten eine ganz private ungarische Nachkriegsgeschichte durchmessen, die Kamera funktioniert dabei wie ein Notizbuch: „Was ich damit fotografiere, ist im Grunde mein Leben.“
Das Kind Szabad wächst auf in der Zeit des offenen Terrors der Stalinisten, reift unter dem ersten Generalsekretär der Ungarischen Sozialistischen Partei, Janos Kádár, „der dahintergekommen war, dass man die Welt nicht mit Angst durchtränken musste. Sondern mit Grauheit. Das ist viel sicherer.“ 1956 wird sein Vater wegen Teilnahme am Aufstand verhaftet. Als der Vater aus der dreijährigen Haft heimkehrt, stirbt die Mutter, nun ziehen die zwei nach Budapest, haben sich wenig zu sagen; bis der Krebs den Vater dahinrafft, entwickelt sich kaum etwas. Nun kommt der Sohn noch weniger zurande mit den unbehausten Beziehungen, in die er sich stürzt.
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