Annekathrin Kohut: „Nerds“
In ihrem neuen Buch entwickelt Annekathrin Kohut eine facettenreiche Genealogie des Nerds. Von Jens Buchholz
In dem Animationsfilm „Die Piraten“ lernen die Zuschauerinnen und Zuschauer den jungen Charles Darwin kennen. Er sitzt im Bauch seines Schiffs „Beagle“ und schreibt Tagebuch. Zunächst versucht er sehr sachlich die wissenschaftlichen Entdeckungen des 93. Tages seiner Forschungsreise festzuhalten. Aber dann seufzt er und schreibt: „Ich krieg nie eine Freundin. Ich bin so unglücklich.“ Der Animations-Darwin ist ein klassischer Nerd.
Die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohut hat ein ganzes Buch über die Popkulturgeschichte des Nerds geschrieben. Sie definiert ihn als einen Mann, „…der eine Brille trägt, unsozial und misanthropisch ist, im Keller haust und sich von Tiefkühlpizza ernährt, Allergien hat und unbeliebt ist.“ Außerdem interessiere er sich für Technik, Computer und Comics. Ein unmännlicher Mann, der keine Frau abkriegt. Er hält nichts von Sport, er hält nichts von Mode. „Die Nerdfigur dient dazu, existierende individuelle eigenbrötlerische junge Männer zu beschreiben und zu einem kollektiven, begreifbaren Typus mit ganz spezifischen Eigenschaften und einer relativ eindeutigen Optik zusammenzufassen“, erklärt Kohut.
Kohuts Methode ist spannend. Sie untersucht eine „Sozialfigur“. Dabei bezieht sie sich auf das im Jahr 2010 erschienene Buch „Sozialfiguren der Gegenwart“ von Stephan Moebius und Markus Schroer. „Sozialfiguren“, schreiben die beiden Autoren, „sind zeitgebundene historische Gestalten, anhand deren ein spezifischer Blick auf die Gegenwartsgesellschaft geworfen werden kann.“ Der Grundgedanke von Schroer und Moebius ist, dass moderne und komplexe Gesellschaften ausdifferenzierte und individualisierte Identitätsbildungsschablonen anbieten, die historisch wachsen, sich verändern und auch wieder zerfallen können. Die beiden Autoren versammeln in ihrem Buch fast vierzig solcher Sozialfiguren, wie den Fan, den Berater, den Single oder den Kreativen.
Annekathrin Kohut fügt diesem Spektrum den Nerd hinzu. Wie eine Pop-Archäologin legt sie die Mediengeschichte der Nerd-Figur als Identitäts-Schablone Schicht um Schicht frei. So entsteht eine detail- und facettenreiche Genealogie des Nerds. Und fündig wird Kohut hauptsächlich in Serien, Filmen und Romanen. „Es geht in meinem Buch also nicht zuletzt um das Selbstverständnis einer Gesellschaft, die entsprechende Werte, Sichtweisen und Interessen in die Figur des Nerds projiziert“, schreibt Kohout.
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https://www.fr.de/kultur/literatur/nerds...e-91516318.html
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