Abwehren, Abwiegeln, Abtauchen
Beim NDR hat eine Zensur-Debatte ein regelrechtes Erdbeben ausgelöst. Die Belegschaft ist fassungslos, Oppositionspolitiker werfen dem Sender vor, Kritik an der Regierung zu unterbinden und kritische Autoren einzuschüchtern.
In den ARD-Führungsetagen ist derzeit nichts so inflationär wie die Phrase von der „rückhaltlosen Aufklärung“. Während sich beim zunächst nur von Investigativ-Journalisten verschafften Blick hinter die Kulissen des RBB immer neue Abgründe auftaten, sahen die Verantwortlichen des Öffentlich-Rechtlichen Senderverbunds erst weg, gaben sich dann überrascht und entsetzt – und stellten die Skandal-Anstalt zugleich als Ausnahmefall hin.
Doch das Feuer, das beim RBB schon lange lodert, könnte endgültig zum Flächenbrand für ein Rundfunksystem werden, das sich über Jahrzehnte immer weiter von seiner Grundidee entfernt und einer wirksamen Kontrolle entzogen hat. Nach dem Hauptstadtsender RBB sieht sich nun auch der Norddeutsche Rundfunk (NDR) massiven Vorwürfen gegenüber. Und beides, so steht zu vermuten, könnte nur Spitze des Eisbergs sein.
Anders als beim Berlin-Brandenburger ARD-Ableger geht es in Hamburg und Kiel nicht um Beitragsverschwendung und persönliche Bereicherung, sondern um den Verdacht politischer Einflussnahme und Willfährigkeit gegenüber einer Landesregierung und deren Organen. Vielfache und wiederkehrende Beschwerden aus der Redaktion wurden beim NDR über Jahre durch Vorgesetzte am Ende niedergebügelt und von der Öffentlichkeit ferngehalten.
Das „Klima der Angst“, „politische Filter“ und eine insgesamt „toxische Atmosphäre“ haben erst nach Medienberichten, vor allem durch das Wirtschaftsmagazin „Business Insider“ (erscheint wie WELT bei Axel Springer) und den „stern“, zu personellen Konsequenzen geführt. Die Verantwortlichen im Kieler NDR-Landesstudio, Fernsehchef Norbert Lorentzen und Redaktionsleiterin Julia Stein, lassen ihre Ämter laut Sender bis auf Weiteres ruhen.
Beim nach dem WDR zweitgrößten ARD-Sender im Norden hat die Zensur-Debatte ein regelrechtes Erdbeben ausgelöst, die Mitarbeiter an allen vier Standorten in Unruhe versetzt. Am Donnerstag meldete der NDR auf seiner Homepage, dass der Kieler Funkhausdirektor Volker Thormählen unbezahlten Urlaub genommen hat. Jener Manager, der noch vor Tagen in einer Krisenkonferenz gönnerhaft behauptete, seine Tür stehe für Mitarbeiter immer offen. Abwehren, Abwiegeln, Abtauchen: Krisenmanagement a la RBB.
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