Die Maschine Amazon
Pro Jahr verschickt Amazon hunderte Millionen Pakete. Ein paar Klicks, und wenig später steht der Kurier vor der Tür. Eine Recherche von CORRECTIV.Lokal blickt hinter die Stationen der Logistikkette und zeigt ein System, das auf Druck, Kontrolle und extremer Belastung beruht. Einblicke in das Getriebe einer Maschine, die nicht stillstehen darf.
Jeden Tag geht Andreas mindestens 15 Kilometer, manchmal auch 20. Das ist in etwa so weit wie von Dortmund nach Bochum, fast ein Halbmarathon. Er läuft und läuft, wie viele hier im Amazon-Logistikzentrum Leipzig, als Teil einer riesigen Maschinerie, Tag für Tag, damit die Pakete auf Reisen gehen können. Nichts hält sie auf. Auch nicht der Tod.
Vor ein paar Wochen starb einer seiner Kollegen während der Arbeit in dem Logistikzentrum. Die Frühschicht näherte sich dem Ende, da brach er zusammen. Pappen waren um die Leiche aufgebaut, als Sichtschutz. Es war der 15. August, ein Montag, früher Nachmittag. Wenig später suchte Andreas in einer Nachbarhalle Pakete zusammen. Ärzte kamen, die Polizei, später fuhr ein Leichenwagen vor. Andreas arbeitet an dem Tag einfach weiter, so wie es das Management vorgibt. Auch in der Halle, wo der Kollege starb, beginnt eine neue Schicht ihren Dienst. Die Maschine Amazon läuft weiter.
Andreas heißt eigentlich anders. Da er noch für Amazon arbeitet, soll sein Name nicht genannt werden. Die Rekonstruktion stützt sich auf die Erinnerungen von ihm und sieben weiteren Kolleginnen und Kollegen, mit denen CORRECTIV.Lokal sprach.
Es gab keinen Arbeitsunfall. Offenbar starb der Mann eines natürlichen Todes. Das bestätigt auch die Polizei. Keiner der Beschäftigten gibt Amazon die Schuld. Was sie kritisieren, ist der Umgang mit dem Vorfall. Er hat ihnen klar gemacht, dass bei Amazon nicht sie zählen, sondern nur der Profit, das Ticken der Maschine. „Wäre ich an ihrer Stelle gewesen“, sagt Andreas, „hätte ich den Schichtbetrieb sofort eingestellt.“
Der Konzern teilt dazu mit, CORRECTIV.Lokal mache sich ein falsches Bild von dem „tragischen Geschehen“. Der Bereich, in dem der Tote lag, sei ohnehin von höheren Regalen und einer Wand abgeschirmt. Zusätzlich seien „in Windeseile weitere Sichtbarrieren herbeigeschafft“ worden. Zudem habe der Betrieb „Arbeitsstationen gesperrt“, die Wegeleitungen für die Beschäftigten verändert und Förderbänder abgestellt. Amazon räumt Fehler ein: In der „kurzen Reaktionszeit“ sei es „leider nicht optimal gelungen“, einige gerade eintreffende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Halle in einen anderen Bereich zu verlegen. „Das hätten wir im Nachhinein anders gemacht.“ Es sei aber im Anschluss „psychologisches Personal vor Ort“ gewesen. Auch habe der Konzern allen Beschäftigten „dieser und der folgenden Schichten freigestellt“, bezahlt nach Hause zu gehen. Dieses Angebot scheint bei Andreas und anderen Mitarbeitern, mit denen CORRECTIV.Lokal sprach, nicht angekommen zu sein. Zu der Frage, warum der Schichtbetrieb an dem Tag nicht eingestellt wurde, äußert sich Amazon nicht.
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