Kent Haruf: Das Band, das uns hält
Sechs Romane hat Kent Haruf über die fiktive Kleinstadt Holt in der Prärie Colorados geschrieben. Erst jetzt, nachdem die anderen fünf Romane ihrem Autor zu internationalem Ruhm verholfen haben, folgt die deutsche Übersetzung des Erstlings.
von Jochanan Shelliem
Die fast 80-jährige Edith Goodnough ist das Rückgrat des Romans.
Eine schöne, anständige Frau mit weißem Haar, die im ganzen Leben nie mehr als zweiundfünfzig Kilo gewogen hat und seit diesem Silvesterabend noch viel weniger.
So beginnt die Geschichte, als hätte der Autor den Suspense erfunden - den Sog, der seine Leserschaft über 310 Seiten tragen wird.
Edith war siebzehn, als ihre Mutter starb. Lyman fünfzehn. Beim nächsten Ereignis, das sie dort festhielt, waren sie ein Jahr älter. Als wäre es noch nicht genug, dass ihr Vater Roy Goodnough hieß oder ihre Mutter früh gestorben war, musste noch etwas passieren, um die Sache endgültig zu regeln und Edith und Lyman für immer zu prägen, bis sie so endeten - zwei alte Menschen, Schwester und Bruder, die ganz allein in einem gelben, von wucherndem Unkraut umgebenen Haus lebten.
Roy Goodnough ist ein ungehobelter, eigenbrötlerischer Tyrann. Im Frühjahr 1896 setzt er seine zarte Ehefrau in Johnson County/Iowa auf einen vollgepackten Pferdewagen und macht sich auf, um in der windzerfurchten Einöde der High Plains von Colorado Schweine zu züchten. Ada stirbt nach zwei Geburten ausgemergelt, 42-jährig und verstummt. Und Roy hat jetzt nur noch seine Kinder, die er schikanieren kann, um Mais anzubauen, bevor die US-Regierung in den 1930er-Jahren Pappeln und Eschen anpflanzen ließ.
Seziert der Autor in den fünf folgenden Romanen über Holt die Tragik des Lebens in der Kleinstadt selbst, so geht es ihm in der Geschichte von Edith Goodnough um die Facetten einer Tyrannei ohne regulatives Umfeld, sieben Meilen südlich der Stadt. Die nächsten Nachbarn wohnen eine halbe Meile weiter. In dieser Einöde ist ein Mann ein Mann. Durchhalten ist das Lebensziel und kein Mann bietet einem Tyrannen seine Stirn, wenn es nicht den eigenen Hof betrifft. John Roscoe ist der nächste Nachbar, der sich raushält, vielleicht weil er mit einer Halb-Chayenne zusammen lebt. Sanders Roscoe ist sein Enkel.
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