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Lidia Ravera: Sprich mit mir

#1 von Sirius , 23.06.2023 16:26

Lidia Ravera: Sprich mit mir

Neben dem geschickten Aufbau ist der Roman "Sprich mit mir" der italienischen Autorin Lidia Ravera voll von überraschenden Bildern und Vergleichen, von lesenswerten Gedanken und Beschreibungen.
von Andrea Heußinger
Von wegen sprechen - gerade das ist Giovannas Sache nicht. Die Mit-Sechzigerin ist lieber für sich. Ihre Tage sind ohne Überraschungen: Sie geht spazieren; wenn sie etwas braucht, kauft sie es im Supermarkt, damit sie mit niemandem reden muss; später liest sie und hört Musik. Aber nur zu bestimmten Tageszeiten, und keine Bücher von modernen Autoren. Über die Jahre habe sie ihre Einsamkeit vervollkommnet, schreibt sie. Dass sie das tut, obwohl sie Schreiben nicht mag (und findet, dass sie es nicht kann), hat einen Grund: die neuen Mieter in der seit langem leerstehenden Wohnung nebenan.

Die Wahrheit ist, dass ich angefangen hatte, den Geräuschen hinter der Wand zuzuhören. Mit einer Neugier, die von Stunde zu Stunde gieriger wurde. Und darüber empfand ich eine Art verzeihlicher Scham. (…)  Von Zeit zu Zeit hörte ich sie lachen. Ich verlegte den Konzerttermin vom Spätnachmittag vor und zog ein Hemdkleid aus heller, bestickter Baumwolle an, das nach Lavendel duftete. Dann legte ich Orpheus und Eurydike von Gluck auf, Zweiter Akt, Ballet des ombres heureuses. Ich drehte die Lautstärke höher. Ich goss mir ein Glas Wein ein. (…) Gerade als ich mich entspannen konnte, klingelte es.
Die neuen Nachbarn: Michele und Maria, ein junges Paar. Mehr und mehr interessiert sich Giovanna, die seit Jahrzehnten Begegnungen vermeidet, für das Leben nebenan. Erst lauscht sie nur und beobachtet. Als wenig später zwei Kinder zur Familie stoßen - die kleine Malvina und Malcolm, Micheles jugendlicher Sohn aus einer früheren Beziehung - wird ihr Verhalten zusehends obsessiver. Sie kauft ein Notizbuch und schreibt Gespräche mit.
Als der Junge sich eines Tages ausschließt, hilft Giovanna ihm, und die Familie lädt sie als Dank zum Essen ein. Nach diesem Abend bitten die Eltern sie immer häufiger, auf die kleine Malvina aufzupassen:
Sie nutzen mich beide aus, dachte ich. Aber ich widersetzte mich nicht, obwohl ich müde war. Müdigkeit ist ein Segen. Auch Krankheit wäre einer, Fieber von der Art, die die Herrschaft des Körpers einfordert, ein langer Halbschlaf, dem ich diese wiederkehrenden Neidanfälle anvertrauen würde, die ich noch nicht ausmerzen konnte. Gelegentlich bedauerte ich meine stabile Gesundheit. Für eine, die vierzig Stunden lang ein Projektil in der Leber stecken hatte, geht es mir gut.

Weiterlesen:

https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Lid...,ravera100.html


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Sirius
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