»Die Tagesschau hat sich zu einem Herrschaftsinstrument umfunktionieren lassen«
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende: Das ist nicht nur für viele im Land eine Tatsache – sondern auch der Titel eines Buches von Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer.
Die Autoren teilen in ihrem Buch »Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende – aber ein Ende ist nicht in Sicht« kräftig gegen die Tagesschau aus. Denn aus dem einst geachteten Nachrichtenformat ist eine Propagandasendung geworden.
Roberto De Lapuente hat sich mit den beiden unterhalten.
De Lapuente: Lieber Herr Bräutigam, gucken Sie eigentlich jeden Tag die Tagesschau?
Bräutigam: Täglich. Wohl oder übel. Mehr übel als wohl.
De Lapuente: Und dennoch fühlen Sie sich nicht informiert? Wie kommt das?
Bräutigam: In 15 Minuten kann niemand die Welt erklären. Aber das Wenige, das sich in dieser Viertelstunde an Nachrichten übermitteln lässt, wird von der Tagesschau ziemlich systematisch aus einäugiger Betrachtung ausgewählt und referiert. Bei der Darstellung geopolitischer Gegebenheiten überwiegt die prowestliche Sichtweise der Redaktion ARD-aktuell. Regelmäßig unterlässt es dieser AgitProp-Laden, die Frage zu beantworten: »Und wie denken die Russen, wie denken die Chinesen, generell: Wie denkt die jeweils andere Seite darüber?« Das will man doch wissen! Man sollte es wissen wollen.
De Lapuente: Und Sie, lieber Herr Klinkhammer, Sie tun sich das vermutlich auch, um darüber berichten zu können. Machen andere Nachrichtenformate in Deutschland es denn besser?
Klinkhammer: Ja, tagesschau.de ist aber eher eine tägliche lästige Pflicht. Zusätzlich werfe ich in der Regel auch einen Blick auf das Nachrichtenangebot des Deutschlandfunks, stelle aber immer wieder fest, dass dessen Angebot fast identisch ist mit tagesschau.de, jedoch sprachlich oft weniger sensationsheischend. Der Gedanke an Gleichschaltung drängt sich auf. Gute Nachrichtenformate deutscher Mainstreammedien kenne ich nicht. Der Grund: So wie es aussieht, schreiben alle ihre Nachrichten von einigen wenigen transatlantisch genormten Nachrichtenagenturen ab.
De Lapuente: Keine Hoffnung nirgends?
Klinkhammer: Alternative Nachrichten finde ich dagegen bei den »Feindsendern« wie RT.de, Sputnik oder Global Times, aber die unterliegen im vermeintlich »werte-orientierten Westen« teilweise wie in kaiserlich-reaktionären Zeiten der Zensur. Mit den modernen technischen Möglichkeiten ist es zum Glück aber problemlos möglich, auch zu diesen Verfemten Zugang zu finden.
De Lapuente: Ihr Kollege spricht von tagesschau.de, Herr Bräutigam. Das ist das Onlineangebot der Tagesschau. Gibt es einen Unterschied zwischen dem, was die Tagesschau im Netz treibt und dem, was dann um 20 Uhr ausgestrahlt wird?
Bräutigam: tagesschau.de bringt vieles, was die lineare Tagesschau nicht zeigt und umgekehrt. Das Internet-Portal der ARD-aktuell hat auch eine Feigenblatt-Funktion. Es ist die Nische, in die man unerwünschte Meldungen steckt, über die man hinterher aber sagen kann: »Was denn, wir haben die Nachricht doch gebracht.«
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