Samantha Harvey: Umlaufbahnen
Dieser brillante Roman von Samantha Harvey - ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2024 - ist gleichzeitig von Stille und einer dröhnenden Kraft durchzogen. Eine Handlung gibt es nicht, nur den Blick in die Köpfe der Protagonisten.
von Peter Helling
Samantha Harvey begleitet sechs Astronauten an einem Tag im All. Zwei Frauen und vier Männer - zwei von ihnen sind genau genommen russische Kosmonauten - sind auf einer Raumstation, vergleichbar mit der ISS, obwohl die hier nie genannt wird. Es ist still hier oben, zwischen Erdball und Unendlichkeit.
Sie hängen in ihren Schlafsäcken. Eine Handbreit von ihnen entfernt, hinter einer Haut aus Metall, entfalten sich die schlichten Ewigkeiten des Universums.
Hier geraten nicht nur die Protagonisten, ihre Zahnbürsten oder Schokoladenreste ins Schweben. Der Roman selbst beschreibt einen feinen Gravitationsverlust. Ein Tag auf der Station, 400 Kilometer über der Erdoberfläche, 27.000 Kilometer die Stunde auf einer Umlaufbahn. Das bedeutet 16 Sonnenauf- und -untergänge. 16 mal Tag, 16 mal Nacht. Die Zeit ist aus den Fugen, die Sechs müssen sich, um nicht durchzudrehen, immer wieder versichern: Ein Tag auf der Erde hat 24 Stunden.
Dieser brillante Roman ist gleichzeitig von Stille und einer dröhnenden Kraft durchzogen. Bei aller Stille ist er aber nicht leise: Die Astronauten beobachten die Erde, sie erleben dabei Flashbacks, Alpträume, als wären ihre Gedanken selbst ohne Gewicht. Chie aus Japan etwa erfährt, dass ihre Mutter gestorben ist. Als ihre Raumstation über ihr Land fliegt, muss sie an sie denken, es wirkt wie ein Kindheitstraum.
Der Leichnam wurde von den Stufen entfernt. Das Haus ist verlassen. Von dem unsichtbaren Licht am trüben Abendhimmel aus gesehen, auf dem die Tochter der Frau stationiert ist, gleitet Asien Richtung Steuerbord außer Sicht.
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