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RE: Opa Pscht hinter dem Spiegel

#1 von Karl Ludwig , 23.04.2016 09:41

[attachment=0]Opa Spiegel Bild.png[/attachment]


Mitwirkende Hauptdarsteller:

Opa Pscht: Zu viel Charisma
Sein Spiegelbild: Frech
Alice: Weiß mehr, als gut für sie ist
Bacchus: Ein Wirt, was sonst?
Universum: Groß und dumm
Hermes: Protokollführer, dick
Aphrodite: Viel wenig an
Demeter: Völlig fertig
Vier apokalyptische Reiter: Angestellte der
Apokalypse: Hässlich, tarnt sich als Clown
Chapeau Claque: Träumt davon ein Frisbee zu sein.
Inspiration: Selten
Bücherprimel: Gutes schlechtes Beispiel
Kälte: Macht einen auf Bodyguard
Pferd: Völlig albern
Butler: Heißt natürlich James
Übergeordnete Entität: Vielleicht sogar Gott?


Des Weiteren werden erwähnt:

Einstein, Platon, Morus, Marx, Hitler, Diogenes, Epikur, Kant, Freud, Schrödingers Katze (recht vage, wegen den Quanten), Königin, Pudel, Hutmacher, Gnosis, 50 Jungfrauen, einige Putten, Muschel der Venus, Mephisto, Tontechniker, Trickspezialisten, Tentakelmonster, Kannibalinnen, Delirium Tremens…


Nicht erwähnt werden:

Poesiealben, Lachgaswolken, Bänkelsänger, Runen, magische Schwerter, Steuerfahndung, Rote Beete und Spinat…


Inhalt:

Proloque : Opas Monoloque

Kapitel 1: Eine weibliche Figur taucht auf
Kapitel 2: Spiegelfechtereien
Kapitel 3: Paradiese ohne Zukunft
Kapitel 4: Eine Göttin mischt sich ein
Kapitel 5: Opa mischt auch aber aus und rennt
Kapitel 6: Mephisto mischt sich auch ein
Kapitel 7: Mischbatterie und Bücherprimel
Kapitel 8: Es darf gemogelt werden
Kapitel 9: Göttinnen, Klappe die Zweite
Kapitel 10: Tja, der Fortschritt
Kapitel 11: Ein untalentierter Hampelmann
Kapitel 12: Das Ende nähert sich
Kapitel 13: Opa missachtet Prinzipien

Epilog: Friede, Freude aber kein Eierkuchen


Proloque

Opa Pscht spricht! Stumm hingegen bleibt das Restuniversum. (Hinter dem Prolog halten sich Tontechniker und Trickspezialisten bereit)

Heute Morgen hat Opa ganz miese Laune und dem Wandspiegel im Flur ergeht es nicht besser. Er muss sich grantig-, schlechte Monologe anhören, nur weil Opa eine äußerst eigenwillige Kommunikationsstrategie pflegt: Er redet und alle anderen haben gefälligst still zu sein! Das klappt besonders gut, wenn die Anderen woanders sind…

Wir aber sind nicht woanders. Das ist das Privileg des Skribenten und der Leser. Wir sind hier und bekommen alles mit. Verhaltet Euch bloß ruhig.

Opa Pscht kratzt sich widerwillig am Kinn und es knistert leise dabei. Opa Pscht trägt zwar keinen Bart, hat dafür aber ein Charisma, an dem man Hufeisen verbiegen kann. Und wenn Opa will, dass der Bart knistert, egal ob vorhanden oder nicht, dann hat er zu knistern: „Hum!“

Das gehört einfach dazu. Opa beugt sich vor und berührt sein Spiegelbild fast mit der Nase. Es weicht nicht zurück:

„Hum! Genau! Oder gar Hum-hum! (Knister) Denn auch das mag so sein. Na und? Wenn man aber mal die Relationen sieht und die ganze Angelegenheit von außen betrachtet? (Raschel) Ich weiß! In diesem allgemeinen Fall gibt es kein Außen; wenn es das gäbe, wäre es garantiert drinnen. Erneutes Hum-Hum usw. (Scheuer) Da muss ich aber weit ausholen. Ob das klug ist? Sinn macht? Glücklicher? Na, jedenfalls auf jeden Fall älter! Und wir Menschen wollen doch alle älter werden, gelle? Na gut. Wenn es denn so sein soll… (Kratz)“

Opa ist ziemlich gut im Opa überreden und der nimmt nun gewaltigen Anlauf: „Zum Beispiel dieses Universum hier, nur so als Beispiel. Stimmt, die Auswahl ist nicht besonders groß, doch als Muster gebende Vorlage für allgemeine Unvernunft sollte es erst mal genügen. Hum! (Knister) Es wimmelt in ihm nämlich wie bescheuert vor völlig überflüssigen Phänomenen: Ungebildete schwarze Löcher, begriffsstutzig- dunkle Materie, törichte Vakuumenergie, dämliche Parallelwelten, einfältige Metasingularitäten, dumpfe Wurmlöcher, voll beknackte Supernovae, mit anderen Worten: Das Universum ist unendlich blöde und stört sich noch nicht einmal dran. Hum! (Kratz) Das Universum hat mit Absicht keine Identitätsprobleme. Es fragt sich nicht: Wer oder was bin ich? So was hält es für Fangfragen. Es ist! Es ist was es ist! Groß und da und saudumm und unendlich von sich eingenommen, in sämtlichen Dimensionen grenzenlos größenwahnsinnig. Pah! Selbst auf subatomarer Ebene ist es enorm. Und natürlich entsprechend doof. Diese Tatsache hindert die Wissenschaftler auch an der Entwicklung einer ‚Theorie Von Allem’. Sie operieren vorläufig mit der ‚Theorie Von Ein Bisschen’. Bisweilen auch nur irgendwie mit der ‚Theorie Von Irgendwas’. Ganz klar! Zu dumm zum …, hum, Zumzum (Knister) Hum-Hum!“ (Kratz)

Opa kommt trotz gelegentlichen Wortfindungs-störungen (Aber nie verschlägt es ihm deswegen die Sprache) in Fahrt: „Wir schnappen uns mal diesen langweilig-megalomanen Omnipotenzan-spruch, packen den ganzen öden Klumppatsch aus, zoomen uns näher, lassen die lethargische Unendlichkeit weit hinter uns, düsen an Milliarden indolenter Galaxien vorbei, biegen 2 – 3 mal quietschend um Schwindel erregende Raum-Zeit-Kurven, ignorieren unnötige Fehl-dimensionen, gescheiterte Antimaterie, aussichtslose Realitätsabbrüche oder ähnlich angeberischen Unverstand, und nehmen eine unbedeutende, schlappe 100.000 Lichtjahre durchmessende, klitzekleine Milchstraße am Rand näher in den Fokus einer mentalen Lupe. Ihr dürft die Augen jetzt wieder auf machen. Wir werden langsam langsamer. Seht nur! Völlig uninteressant. Da, in der Mitte eines abgeschlafft- spiraligen Ausläufers, noch nicht einmal 22.000 Lichtjahre vom Zentrum dieses öde anzublickenden Haufens entfernt und leicht zu übersehen, leuchtet unaufgefordert eine belanglose Sonne, lässt sich müde von apathisch taumelnden Planeten umkreisen und ist überhaupt gar kein Vorbild. Einfach grässlich! Im Prinzip hat die Raumzeitkrümmung, vulgo Schwerkraft, die ganze Arbeit. Die Sonne guckt sich die Mühen bloß selbst- und sehr schwergefällig an, leuchtet dumpf vor sich hin und den ganzen Schlamassel aus. Man möchte sich schaudernd abwenden. Bei manchen, inzwischen unmodernen Völkern, war die Sonne sogar so faul, dass sie sich von einem Dungkäfer umher rollen ließ. Mann, muss das Panne ausgesehen haben.

Natürlich liegt es mal wieder an der mangelnden Selbsterkenntnis. Das Universum ist der Reflexion unfähig. Allen Quatsch mit Strings drin und Strapsen dran hat’s, nur keinen passend- großen Spiegel.

Öde und blöde! Sag ich doch. Das fing schon mit dem Urknall an; - ein intelligenterer Urknall hätte auf sich verzichtet. Zu dumm zum Nichtbumm! Und Hum!“

Opas Monologe sind beim Flurspiegel gefürchtet. Wenn Opa sich unbeobachtet wähnt, fällt die ganze Attitüde einer gemütlichen, in sich ruhenden Persönlichkeit von ihm ab und ein trotziges, postpubertierend-prämortales Etwas ist bloß zornig.

„Ha! Und wenn wir nun auf schärfste …, äh, Schärfe einstellen, können wir sogar das Grauen der Blödheit als fleischgewordene Manifestation erkennen, eines der nutzlosesten Phänomene im (grenzenlos dummen) All, ein Wesen, welches aus der universellen Dummheit hervorgegangen ist, sich aber dessen ungeachtet für intelligent hält, nur weil es über Daumen und kontrolliertem Stuhlgang verfügt. Ha!

Dieses Wesen fragt nach dem (Knister) Wesentlichen, einem tieferen Sinn. Hum! Welch vermessene Dreistigkeit! Der Sinn dahinter ist der Selbstzweck und fertig ist der Lack! Keine besondere Erkenntnis. Als Nächstes fragt es dann aber: Und warum? Wieso? Weshalb? Und überhaupt, wer bin ich? Was ist mein wahres Selbst? Der Fragenkatalog ist ein schier bodenloses Fass oder so. Ha! (Kratz) Jemand, der sich solche Fragen stellt, sucht bloß und versäumt das Finden. Wer sucht, der sucht! Wer findet, der findet! So! Ein schlichtes aussagenlogisches Axiom, wie ‚Wahr ungleich Unwahr’, und das erklärt fast Alles: Das Wesen selber ist sein Wesen, ist sein wahres Selbst, doch er begibt sich auf die Suche nach sich selbst. Hum!

Das ist so dumm wie der Rest und wenn man dabei auch noch safrangelbe Klamotten anzieht und seltsame Mantras vor sich hin murmelt, hilft nur noch ein Flammenwerfer.

Das könnte schon Depressionen verursachen, wenn man zu so was neigt. Hum aber auch!“ (Knister)


Kapitel Eins

Opa macht die Bekanntschaft einer netten Frau.


Nach dieser geistigen Hygienemaßnahme fühlt Opa sich etwas besser und denkt kurz über die Notwendigkeit von mentalem Klopapier nach. Zu unser aller Freude behält er diese Überlegung aber für sich. Es gibt Wichtigeres zu klären. Etwas geht hier gar nicht in Ordnung. Seltsames geschieht! Sehr Seltsames, um nicht zu sagen: Äußert Seltsames! Völlig seltsamer als das Standartseltsame. Opa Pscht findet das Wort „Seltsam“ so seltsam, dass er es bei jeder passenden Gelegenheit anbringt, von den unpassenden Gelegenheiten ganz zu schweigen. Er kneift die Augen zusammen und blickt sein Spiegelbild fest an. Dann zuckt er mit den Schultern, dreht sich ab und verlässt den Flur. Aus den Augenwinkeln sieht er erneut etwas Seltsames, doch das scheint ihn nicht zu kümmern. Er schaut nicht zurück. Er wirft im Arbeitszimmer einen uralten PC an, dafür braucht es beide Hände und eine Kurbel.

Opa Pscht wohnt unter seltsamen Umständen. Er besitzt nicht nur einen privaten Jungbrunnen unter dem Bett (Der allerdings nicht jünger macht, sondern nur das Altern aufhält. Opa fand den Brunnen erst mit 64 Jahren. Was mit den jünger machenden Jungbrunnen passierte, bleibt vorläufig weiterhin ein Rätsel), sondern auch ein fliegendes Snowboard, einen Dschinii in der Tube, eine magische Glühbirne, die jeden Wunsch erfüllt, eine geheimnisvolle Salbe, die unverwundbar, eine andere, die unsichtbar macht, einen diskussionswütigen Anrufbeantworter mit Persönlichkeit, Aladins Ring, ein Tischlein deck dich, Merlins Zauberstab, - sein ganzes Wohnzimmer ist mit komischem Krims-krams zugestellt.

Opa benutzt diese Dinge nicht, das hat er gar nicht nötig. Klar, ab und an ein Schluck aus dem Jungbrunnen, und Telefonate der profanen Art lässt er vom Anrufbeantworter ausführen, aber nie, NIE! wendet er das Zauberpotential an, um sich etwa Macht, Reichtum, willige Gespielinnen in knappen Gewändern oder sonst irgendeinen Schwachsinn zu sichern. Er will damit auch nicht die Menschheit retten, die ist ihm eh nicht mehr zu retten. Nein, er sammelt Artefakte vergessener Magie, wie andere Leute Briefmarken. Hütet euch, irgendetwas anzufassen. Das Horn hier lässt 10.000 Schattenkrieger in voller Montur aus dem Boden wachsen, wenn man hinein pustet. Der Gong da würde ein Gilgamonster erscheinen lassen. Und diese Gitarre beschwört das Entsetzen in Form von 5 Musikern, die entsetzlichen Krach machen, sämtliches Gras wegrauchen und alle Biervorräte vernichten…

Und dort steht die Zeitmaschine, Ta-tah! Einstein zum Trotze. Oh ja. In den ganzen Formelsalaten, die sein EygleichEmMaCeHochZwo nach sich zog, war eine mögliche Ableitung übersehen worden, die Lichtgeschwindigkeit auszutricksen und doch noch zu überholen. Ein mathematischer Nachbrenner sozusagen. Wenn man diese Gleichung dann endlich souverän in den Griff bekommt, sind Zeitreisen nur noch ein Klacks, viel einfacher zu entdecken als kalte Kernfusion und bloß etwas schwerer zu handhaben als Fahrkartenautomaten. Klar hatte Opa das sofort für sich ausgenutzt. Er baute sich in einer fernen Zukunft eine Zeitmaschine, kehrte nach Hier und Heute zurück und hinterließ ein Duplikat der Apparatur, als er wieder abzog. Vorher allerdings fügte er, gemeinsam mit seinem gegenwärtigen ich, Opas Weinkeller schweren Schaden zu.

Ein kurzes Wort noch zur Zeitdilitation. Es ist nicht möglich, in der Vergangenheit seinen eigenen Großvater zu töten. Die Consigleri der Kausalität lassen das nicht zu. Sie sorgen dafür, dass man stolpert und sich selber erschießt, oder es sonst wie irgendwie vermasselt, fast immer mit fatalem Ergebnis. Es ist definitiv nicht möglich, in der Vergangenheit Veränderungen an der Gegenwart vorzunehmen. Hinzu kommt die allgemein bekannte Tatsache des morphischen Feldes, welches im Quadrat zur Entfernung von der natürlichen Raumzeit immer schwächer wird. Das sorgt für zunehmende Haltlosigkeit im Handeln.

Opa kramt in einer Schublade und legt sich eine Schere, etwas Kreppband und eine Digital-kamera der ersten Generation zurecht. Während der PC Geräusche von sich gibt, die stark an eine Krähe erinnern, welche am Ende eines Abflussrohres erdrosselt wird, schneidet er ein Loch in einen Chapeau Claque, der einst Teil der Berufskleidung eines Voodoo-Zauberers war. Anschließend klickt er diverse Meldungen vom Bildschirm (Der Echtzeitschutz ist nicht mehr aktuell. Das Betriebssystem ist doch geklaut! Sie haben Post.) Dann fummelt er noch einige Minuten an sämtlichen Utensilien, setzt den Hut auf und streift einen Bademantel über. Aus dem Schrank holt er einen Karton Weihnachts-dekoration, klebt sich einige dieser geschmack-losen Sternchen auf die Schultern, Brust und Ärmel, besprüht das Ganze mit ein wenig Glitter und begibt sich wieder vor den Spiegel.

„Na? Wie steht mir der Hut? Ich bräuchte allerdings mindestens noch ein Huhn, damit es authentisch wirkt.“ Opa dreht sich kokett, - es klickt leise. Opa zwinkert seinem Spiegelbild noch einmal lässig zu und setzt sich wieder an seinen PC mit Kaiser-Willem-Stempel.

Nun hören wir ihn murmeln: „Dachte ich mir doch. Mal sehen, welche Ausreden es hierfür gibt.“ Ein Nadeldrucker beginnt unwillig mit der Arbeit und jeder Techno-Archäologe würde begeistert sein.

Opa nimmt den Ausdruck, geht zum Spiegel und hält ihm das Blatt hin: „Könntest du mir das hier bitte mal erklären?“ Wir blicken Opa neugierig über die Schulter und sehen grobkörnig und in Schwarz-Weiß, doch deutlich Opas Spiegelbild, wie es ihm hinter dem Rücken die Zunge rausstreckt und eine lange Nase dreht. „Tja mein Lieber, ich hatte eine Kamera unter dem Hut, als ich mich umdrehte. Ich kann auch einen Hammer organisieren. Also, selbst auf die Gefahr hin, etwas Entsetzliches zu erfahren: Raus mit der Sprache!“

Opa Pscht sein Spiegelbild wird unsanft von einer dezidiert wirkenden jungen Frau zur Seite gestoßen, dabei sieht sie recht niedlich aus mit ihren geringelten Kniestrümpfen und dem Kleidchen im viktorianischen Stil: „O.K. – O.K.! Erwischt! Ich bin Alice und das hier war früher mal mein Spiegel. Manchmal spielt Aussehen doch eine Rolle und in diesem, ursprünglich meinem Spiegel, haben sich jede Menge Splitter deiner kernigen Ausstrahlung angesammelt, bis eigenes Bewusstsein entstand. So was passiert auch nur dir. Dein Bildnis äfft dich nach, wenn du hinsiehst und schlägt über die Stränge, sobald es sich unbeobachtet fühlt. Es ist dir nicht nur äußerlich ähnlich.“


Kapitel Zwei

Teilweise recht interaktiv und nachhaltig. Es kocht kein Blut, es spielen keine Siebenmeilenstiefel eine Rolle und auch kein Spiegel wird zerschlagen. Nur Opa legt sich fast auf die Schnauze.

So ist Opa Pscht nun mal. Einer Aussage wie: ‚Virtuelle Pseudoteilchen ‚leihen’ sich ‚zinslos’ die notwendige Power von der Vakuumenergie’ misstraut er, aber einen Lewis-Carroll-Gedächtnis-Spiegel akzeptiert er ohne weitere Hinterfragungen.

Ist doch logisch. Die inzwischen schiere Masse an Spiegeln auf der Welt krümmt die Wirklichkeit hinter dem Glas, bis diese knackt, ausrastet und man Susanna im Bade beobachten kann, was ja nicht weiter schlimm wäre, wenn es beim Beobachten bliebe.

„Ja, also, dein Spiegelbild ist schon eine Zumutung in der Spiegelwelt, und man sollte besser auch nicht spekulieren, was es bei Susanna im Bade trieb. (Kleine effekthascherische Pause) Ich weiß es nämlich!“

„Und selber?“ Opas Spiegelbild hat sich wieder näher heran gestohlen. „Alte Petze? Hä? Was hast du selber mit Humpty-Dumpty angestellt? Ohlala aber auch, wie wir Gentelmänner zu sagen pflegen. Der fiel nicht grundlos von der Mauer und …, ach, nur so viel:“ Das Spiegelbild grinst süffisant und dreht sich zu Opa hin. „Diese junge ‚Dame’ hier war nach der Rückkehr aus dem Wunderland garantiert von ihrer chronischen ‚Floratio-virginity’ geheilt.“

„Sagt mal.“ Opa verschlägt es nie die Sprache. „Da hinter dem Glas in eurer Silberwelt, seid ihr dort etwa ähnlich dumm wie wir hier? Streitet ihr euch dort denn genau so, wie wir auf dieser Seite?“

„Nein.“ behauptet Alice.

„Ja.“ Sagt Opas Spiegelbild. „Nur ohne spitzeren Waffen als scharf geschliffene Bemerkungen der gespaltenen Zunge. Alice übt sich noch an der En Garde.“

1. Alice: „Nein.“

2. Spiegelbild: „Ja!“

3. Alice: „Nein! Ist das Klar? Ja?“

4. Spiegelbild: „Nein! Moment mal, ich war doch gerade noch bei Ja.“

5. Alice: „Ja. Beziehungsweise nein!“

6. Spiegelbild: „Nein!“

7. Alice: „Ja!“

8. Spiegelbild: „Sag ich doch: Ja!“

Da es sich bei diesem Text um eine interaktive und sozusagen voll toll nachhaltige Geschichte aus der Wirklichkeit hinter der Realität handelt, muss der Leser obiger Punkte, diese jetzt zehn Mal hinter einander von Eins bis Acht lesen. Das spart Speicherplatz und Energie und verschiebt die Klimakatastrophe um mindestens eine halbe Nanosekunde. Jedenfalls weiß Opa nun Bescheid: Spiegelbilder führen gegen einander Scheingefechte der niederen Rhetorik und abwesender Originalität. Aber sie bringen einander nicht um.

Leider!

Denn wenn Opa ärgerlich wird, bekommt er meistens deswegen auch noch zusätzlich schlechte Laune. Und sich zehn Mal solch hirnschonenden Blödsinn anzuhören verbessert diese eher in Richtung Negativ. An dieser Laune würde er gerne andere teilhaben lassen, am liebsten aktiv. Inhumieraktiv!

„Aufhören! Oder dem Spiegel passiert etwas Schreckliches. Ihr seid eine Schande für die edle Kunst. Hum. Hum-Hum. Zur Sache! Wie komme ich hinter das Glas? Ich will hier mehr Drive erleben. Abenteuer! Eine spannende Geschichte von ‚Hinter dem Spiegel’, auch und besonders, um meine Kritiker zu beschämen.“

Alice windet sich ein wenig, aber Opas Blick lässt den Rahmen glühen. Sein Charisma pumpt sich auf, dem Spiegel droht Gefahr an zu viel von zu viel Charakter zu zerbrechen. Alices Überlebensinstinkte formulieren hastig die nächsten Worte: „Ist ja gut. Lass das bitte. Das brennt auf der Haut. Ich werde dir dabei helfen. Du musst den Spiegel nur umdrehen, die Augen schließen, ordentlich Anlauf nehmen und genau die Grenze treffen. Von seitlich dicht schräg weg nach weit hinten hoch gegenüber vorne. Ist nicht ganz einfach. Ich ziehe dich dann endgültig rein.“

In Opa kocht immer noch das Blut der wilden Jahre. Wie bitte? Na, meinetwegen. Es ist heiß. Was? Nein, Lauwarm als Aggregatzustand wäre eine übertriebene Übertreibung. Er war schließlich schon in Traumistan, in Paradoxien und Absurdistan. Er hatte mit dem Tremens-Dämonen gekämpft, sein Name war Del Irium, zugegeben ein seltsamer, und klar nach Punkten gewonnen (6,8 zu 6,76 Promille), Kannibalinnen mit zwei Mündern besiegt, ja, einmal war er sogar schon unwiderruflich tot gewesen. Angst ist etwas, das wohl anderen zustoßen mag, bei Opa hingegen kneift sie und geht unauffällig leise pfeifend von hinnen, oft auch von dannen. Einmal hatte sie sich an ihm versucht, – sie bekommt immer noch Panikanfälle, wenn sie an diese Blamage denkt.

Opa verlässt den Flur und gürtet seine Lenden. Er weiß genau, worauf es dabei ankommt: Hawaiihemd, hirschlederne Hosen, KEINE Siebenmeilenstiefel, bloß nicht, (Wenn man die anzieht, erlebt man schmerzhaft ultimativ die (räumlich) längste und (zeitlich) kürzeste Grätsche seines Wanderlebens; außerdem gibt es eine große Schweinerei) sondern Sicherheitsschuhe mit Stahlkappe um irgendwen oder -was in den A…, in den Rücken zu treten, Chapeau Claque inklusiv zusätzlichem Loch, welches uns noch gute Dienste leisten wird. Brustbeutel mit Zahnbürste, frischer Unterwäsche und American Express Karte. Und Knaster nebst Aschenbecher. Aus der Küche eine Stulle und zwei Liter abgefülltes Jungbrunnenwasser. Klopapier nicht vergessen. Und vorsorglich ein kleines Kästchen mit Geschmeide, falls irgendwelche ausgestorbenen Naturvölker die Ausweitung ihres Handels wünschen. Und ganz zuletzt den Bademantel. Echt lässig!

Und so beginnt Opas Reise in das mysteriöse Reich hinter den Spiegeln…

Zunächst einmal aber raschelt es gewaltig. Anschließend knistert es enorm. Das ist wohl die Legende vom legendären, aber nicht vorhandenen Bart. Halt eine Legende. Opa denkt bestimmt gerade sehr intensiv über Fallhöhen und –richtungen nach und kratzt sich dabei am Kinn. Kennen wir. Wir warten ein Hum ab, und noch ein Hum. Nun hören wir ganz ohne Knistern und Hum wie es rappelt, rauscht und rückt. Das könnten Möbel sein. Schließlich vernehmen wir schneller werdenden Galopp. Etwas scheppert leise und ein verhallendes ‚Au Backe!’ hängt noch eine kleine Weile verlegen in der Luft herum. Und am Ende des Absatzes gibt es bloß noch einen Spiegel verkehrt rum hängen und ein opakeskes Fehlen im nach Luft schnappenden Panorama.

Und danach nur herrliche Stille.

--> Kleines Kissen. Kleines Kissen. Kleines Kissen <--

Auf diesen drei kleinen Kissen kann der Leser vorübergehend seine zwei Augen ausruhen und der Lautlosigkeit lauschen. (Wie er das macht ist nicht mein Problem und Opas erst recht nicht) Zwei Kapitel und den Prolog, immerhin, hat er schon mal geschafft.

Dämlich wäre es allerdings an dieser Stelle, wenn wir nicht vorsorglich unter Opas Hut gekrochen wären und nun durch das Loch peilen könnten. Dann wäre die Geschichte nämlich aus.

Einfach so.

Doch die Fortsetzung folgt. Wäre auch blöde, wenn sie vorausgehen würde. Sie folgt unter seltsamen Umständen. Die aber nicht der Chronist zu verantworten hat, sondern Opa Pscht.


Kapitel Drei

Wir lernen eine subjektive Meinung zum Plot kennen und Opa verwahrt sich gegen die Unterstellung, ein Cogniolith zu sein.

Opa Pscht sein Spiegelbild hatte sich unbeachtet in dem Moment aufgelöst, als Opa AllerhöchstDaSelbst mit Hilfe von Alice auf die andere Seite wechselte. Wir können nur hoffen, dass es nun nicht auf dieser Seite Schaber nekt. Nuckt? Nickt? Nein, nackt. Opa hält sich gerade an Alice fest. Er schafft es sogar, so zu tun, als ob er das Mädchen dabei stützen würde, taumelt kaum merklich und betrachtet mit leicht glasigen Augen eine verschwommene Version seines Flures. Wo der Spiegel selber hängen sollte, gibt es nun bloß hübsch gerahmtes Glas. ‚Aha, so funktioniert das also.’ Opa ist Pragmatiker. Irgendwelche Phänomene beeindrucken ihn nicht. Wer in Traumistan, Paradoxien und Absurdistan klar gekommen ist, lässt sich wohl kaum noch von seltsamen Spiegelwelten beeindrucken. Nur das Seitenverkehrte an der Sache bereitet ihm leichte Probleme.

„Nach einer Weile gewöhnt man sich daran.“ Alice glaubt, etwas Konversation treiben zu müssen. „Es ist so ähnlich, wie mit der Spiegelschrift. Ungeübte kommen damit gar nicht gut klar. Wenn man allerdings mit beiden Händen gleichzeitig schreibt, bereitet sie kaum Mühe. Und nach einer Weile braucht man die eine, original Schreibhand gar nicht mehr, um flüssig mit der anderen in Spiegelschrift zu schreiben. Im Hirn klappt einfach etwas um.“

Opa betrachtet die junge Frau nachdenklich. Hum. (Knister). Viel hübschere Kurven als eine, noch so gut gestaltete Raumzeitkrümmung es jemals hinbekommen könnte. (Raumzeitkrümm-ungen sehen, egal wie viel Mühe sie sich auch geben, einfach nur ermüdend krumm aus). Schlanke Figur, kein Vergleich zur fetten, vulgär anmutenden Bulge irgendeiner öden Galaxie, lange Beine, deutlich angenehmer anzublicken als jede Antimaterie, darüber ein eigenwilliges Gesicht, überhaupt nicht so langweilig wie die Unendlichkeit. Grüne Augen mit braunen Einsprenkelungen, - jedes neu entdeckte subatomare Farbteilchen würde sich wünschen, nicht entdeckt worden zu sein -, in denen mehr Intelligenz leuchtet, als möglicher Weise gut ist für die Aura eines netten Mädchens von nebenan, niedliche Sommersprossen, rötlich-blondes Haar. Ob sie wohl weiß, welche Wünsche dieser Mund bei vielen Männern weckt? Freud freut sich?

„Ja.“ antwortet Alice auf Opas heimliche Gedanken hin. „Ich weiß, wie lieblich ich wirke, trotz ‚Dezidiertheit’, und auch, was den meisten Männern so einfällt, wenn sie mich sehen. Ich erkennt es am hohlköpfigen Ausdruck in den Augen. Deswegen halte ich mich doch fast nur noch in meinem persönlichen Bereich hier in der Spiegelwelt auf. Die Kaninchen sind viel zu beschäftigt um mich zu stören, das Kartenspiel mit Königin und Gefolge befindet sich in einer von deinen Schubladen und Humpty-Dumpty liegt ständig im Krankenhaus. Aber du bist ja Opa Pscht und bei dir muss ich keinerlei fürchterlichen Befürchtungen haben.“

Opa verdreht die Augen und atmet kontrolliert langsam aus. Dann ballt er die Fäuste und schüttelt sie einem imaginären Gott gefährlich dicht unter der Entitätennase: „Das ist der dümmste Plot in der gesamten Literaturgeschichte. Ein alter Mann und eine hübsche, junge Frau, Balzac zum Gruße auch. Bin ich etwa ein Gerontopäderast? Ist das hier ein blöder Test? Jung und alt? Lebensfreude gegen Verfall? Warum nur tust du mir das an?“

Ein vager Ereignishorizont wirft lange Schatten …, ein Unwahrscheinlichkeitsfeld treibt wilde Blüten…

Opa zerrt die widerstrebende Alice ins Wohnzimmer, rückt einen Stuhl näher an seinen Sessel aus gepunztem Saurierleder, legt die Füße auf das Beistelltischchen und stopft sich ein Pfeifchen:

„Kaffe ist in der Kanne, Plätzchen in der Dose. Leider ist die ganze Chose jetzt schon total vergurkt. Ein Opa als Held ist völlig out. Der letzte Dreck von Gestern! Kein vernünftiger Leser möchte sich mit Opas beschäftigen, wenn er es nur vermeiden kann. Opas geben keine guten Helden ab, es sei denn, ein schriftstellerisches Genie kümmert sich um den Stoff. Dann braucht es bloß ein Boot, einen Fisch, den alten Mann und das Meer. Besser ist, man versucht so etwas erst gar nicht. Der traditionelle Standartplot verlangt bekannter Weise nach einer tapferen, eigenwilligen Heldin wie dir, und einem passenden Helden, so um die 30, etwas sympathisch-tapsig in der Liebe, aber mutig, stark und erfinderisch in der Not. Nicht geschieden! Und im letzten Kapitel kriegen sie sich dann gegenseitig, weil sie es verdient haben. Die Spezialeffekte sind ja in Ordnung soweit, aber ein Opa, meinetwegen auch ein Opi, Opilein, Großvater oder Opapa sind unhaltbar. Ich dürfte gemäß einem sinnigen Drehbuch nur 40 % so alt sein und etwas sympathisch-tapsig. Mutig, stark und intelligent bin ich sowieso. Natürlich bloß um der Sache willen. Plot und Hum!“ (Kratz)

Alice zögert. Dann sagt sie leise: „Wir brauchen keinen anderen Plot. Du selber predigst doch immer, man solle das Beste aus dem machen was man hat, und auch aus dem, was man nicht hat. Seit Jahren höre ich diese und ähnliche Zetereien. Aber bitte erkläre mir vorher in, mit Altersweisheiten getränkten Worten, ob das Streben nach paradiesischen Zuständen sinnig ist. Ob es Paradiese wirklich gibt oder geben könnte? Ich meine, du bist doch weit rumgekommen, weiter noch als ich. Hätte man dich rein gelassen? Bist du ein guter Mensch? Wird diese, deine Welt durch dich zu einem besseren Ort? Werden wir das Paradies finden, Frieden und Überfluss an Wohlbehagen, Verständnis und Toleranz unter einander, wahre Liebe, oder gibt es so was einfach nicht; - wird es auch niemals geben? Ist es wirklich vermessen, überhaupt danach zu suchen? Oder können wir es uns doch selber klöppeln? In fast sämtlichen alten Büchern wird dieser Ort beschworen. Hilfst du dabei, oder verhinderst du? Ich habe dich eine lange Zeit lang beobachtet und dabei den verstörenden Eindruck gewonnen, dass du ziemlich wenig für eine bessere Welt tust.“ Alice zögert erneut. Dann gewinnt ihre angeborene Aufrichtigkeit einen kleinen, inneren Streit. „Ehrlich gesagt, ich tu ja selber fast gar nichts dafür. Und dann auch noch selten. Ich weiß einfach nicht, wo es anzusetzen gilt. Auf meiner Haben Seite stehen nur Generationen von Lesern meiner Geschichten. Einige haben sogar geschmunzelt und die Anspielungen verstanden, aber ob wir dem Paradies dadurch näher kamen?“

Opa setzt zu Sprechen an, schluckt, setzt erneut an, gibt einige halbherzige ‚Hums’ von sich und versucht sein Charisma zu beschwören. Dann erinnert er sich daran, dass es ihm, verdammt noch mal, NIE die Sprache verschlägt und nuschelt ein fast unverständliches: „Bin ich etwa der Stein der Weisen?“

Nun aber setzt sich seine Persönlichkeit doch noch durch. Es gibt keine dummen Fragen, es gibt nur dumme Antworten! Opa schaltet also auf Partygeschwätz: „Liebe Alice. Immer wieder haben sich große Geister an dieser Frage versucht.“ Opa kramt in den Kellerregalen seiner Bildung. „Platon und sein Idealstaat. Thomas Morus und Utopia. Marx träumte vom Sozialismus, Hitler von der Volksgemeinschaft. Es gab und gibt unzählige Sekten mit Nischengurus neben den großen Religions-gemeinschaften samt Abspaltungen, und philo-sophische und psychologische Schulen schock-weise. Diogenes stand auf Askese, Epikur hielt es mit der Schmerzvermeidung, die Stoiker hatten die Tugend in Verdacht, Hedonisten setzten auf Lust, und Kant auf die Pflicht. Freud machte das „Überich“ verantwortlich, allerdings eher für das Scheitern; seine Nachfolger erfanden aus Trotz die Boarderline und das ADS. Nun, ich persönlich setzte auf gesunden Menschenverstand und gute Manieren, positive Intentionen, möglichst ohne Hintergedanken und mische Askese mit Hedonismus und Pflicht, bislang leider ohne durchschlagenden Erfolg. Hum!!!“

Wenn Opa drei Ausrufezeichen benutzt, versucht er etwas Wichtiges einzuläuten.

„Die bislang vorgeschlagenen Wege zum Paradies auf Erden waren teilweise recht blutüberströmt und endeten fast immer in der Hölle.“ Opas Hirn hat gerade die optimale Betriebstemperatur erreicht. „Jeder Versuch theoretische Paradieskonzepte zu realisieren MUSS einfach tragisch enden, da solche Gesellschaften zwangsläufig totalitär sind. Und weil Vollkommenheit Negation des Mangelhaften bedeutet. Da Vollkommenheit nicht menschen-machbar ist, muss jemand schuld sein, wenn das Paradies noch nicht realisiert wurde, nämlich die Anderen (Juden, Neger, langhaarige Gammler, Freimaurer …), deren Bekehrung und/oder Ausrottung legitim erscheint. Verfolgung, Krieg und unermessliche Gräueltaten sind keine Begleiterscheinungen sondern der Kern jedwelcher irdischen Träume vom Paradies oder gar Versuchen einer Verwirklichung.“

Alice beugt sich vor. „Opa?“

„Ja?“

„Hat Dir schon mal jemand gesagt, dass du ein Idiot bist? Du behauptest also, erst das Bemühen, Gutes zu schaffen würde das Böse hervorrufen? Wären Menschen ohne Sehnsüchte vielleicht weniger gewalttätig?“

„Ohne Gier? Ganz gewiss! Vielleicht sogar weniger verzweifelt. Und dass ich ein Idiot bin, weiß ich schon etwas länger als du, dennoch wäre es mir lieb, du würdest höflich ein wenig drum herum reden. Es spielt keine Rolle, ob ich Recht habe oder ein Idiot bin, es geht um das Hier und Jetzt. Ich weiß nicht, ob die Welt schlechter wäre, wenn mir keine Mühe geben würde. Ich weiß auch nicht, ob ich mir nicht mehr Mühe geben könnte, - Sollen sollte ich es jedenfalls auf jeden Fall. Ich kann tatsächliche Begebenheiten nicht mit ungeschehenen Ereignissen vergleichen, dafür fehlt mir die Hälfte der relevanten Daten.“ Dann blickt er verschwörerisch um sich. „Apropos Die Hälfte …, selbst 50 % meines Alters wären noch im Rahmen…“

„Opa? Könntest du bitte den Standartplot in Ruhe lassen? Guck mal, da draußen verdunkelt sich die Sonne.“

„Ja, und hier drinnen steigt plötzlich Nebel auf.“


Kapitel Vier

Erdbeeren, Götter, eine Katze, Gnosis, allgemeine Unsicherheit und die Wahrheit.

„Nein! Das ist kein Wasserdampf.“ Opa zieht den Zeigefinger durch den Dunst und leckt ihn ab. „Hum. Schmeckt nach Erdbeere. Könnte ein Phänomen sein. Damit habe ich Erfahrung. Davon gibt es jede Menge im Universum. Meistens steht bloß etwas Ungewöhnliches dahinter (Knister). Hum. Oder die Quanten liegen quer. Und natürlich vielleicht das Unsicherheits-prinzip.“

„Was ist das denn?“

„Ich bin mir nicht sicher. Eventuell …, Hum, …, die Königin? Der Hutmacher? Eine Katze…!?“

„Eine Katze?! Die kenne ich. Die heißt mit Nachnamen Schrödinger.“

„Nein, doch keine Katze. Katzen mögen keinen Erdbeerschaum. Außerdem will sie nichts mehr mit dem Grinsen zu tun haben, welches hier die ganze Zeit herumstrolcht.“ Opa deutet einen Tritt mit seinen Stahlkappen bewehrten Sicherheitsschuhen an, das Grinsen hört auf, ihm um die Beine zu streichen und verzieht sich nach woanders, solche Leute zu erschrecken, die man noch erschrecken kann. „Versuchs mal mit einem netten Lächeln!“ feixt Opa hinterher.

„Es wird kühler.“

„Ja, das ist die Gnosis. Die kühlt einen ab und aus, bis man glaubt, die Kälte käme von innen. Ihre geschickte Public Relations wirken überzeugend, selbst bei denen, die nicht an sie glauben. Sie lockt mit Paradiesen im Jenseits. Dafür muss man allerdings erst mal tot sein, also liegen hier nur Berichte aus zweifelhaften Quellen vor. Aber verlockend sind ihre Angebote schon. Den Einen verspricht sie ewige Mitglied-schaft im himmlischen Chor der Lobpreisenden, besser gefällt mir die allerdings die Version mit den Weintrauben schälenden Jungfrauen. Obwohl ich gar nicht weiß, was ich mit 50 Jungfrauen anstellen soll. Anderen verspricht sie Wiedergeburt am laufenden Band mit letztendlicher Auflösung in Nirwana, ich meine, das ist schon traurig, wenn man mal darüber nachdenkt. Gib ihr einfach einen Tritt, so wie ich dem Grinsen vorhin.“

„Gnosis?“

„Ja, genau so ein dummes, antilogisches Etwas, wie die Vorstellung eines real existierenden Paradieses zu Lebzeiten.“ Etwas leiser. „Oder danach.“

„Dann will ich keine irdischen Paradiese.“

„Dann bekleckere dich auch nicht mit Allegorien. Träume keine Höllen oder Himmel, es reicht, wenn du im wachen Zustand versuchst mit der Unvollkommenheit im Diesseits zu leben und das Beste raus zu machen.“

„Aber ohne Träume …“

„Ich spreche mich nicht pauschal gegen Träume aus, solange sie da bleiben, wo sie hingehören und wo sie auch Sinn machen. Sie sollten aber nicht versuchen, in die Wirklichkeit zu wechseln. Höchstens als unverbindliche Sehnsucht. Merkst du was? Der Nebel wird immer dichter.“

Der Nebel gewinnt tatsächlich an Substanz, kulminiert zu rosa Schaum und klettert immer höher an Opas Hawaiihemd hoch. Ein Tusch ertönt, als ob ein Walkürenritt angekündigt werden soll, und Alice greift erschrocken nach Opas Arm, woraufhin Opa enorm an Höhe mal Länge mal Breite mal Tiefe gewinnt. Mutig stellt er sich vor das Mädchen und schickt sein Nussknackerkinn vor. Jedes Ungeheuer, das nun auftauchen könnte, würde es zuerst mit dem Charisma zu tun bekommen, egal wie viele Tentakel es auch hätte.

Aus dem Dunst löst sich ein kleines, nacktes, sehr dickes Kind mit läppischen Flügeln, die jeder Aerodynamik Hohn spotten. In den Wurstfingern hält es eine übergroße Tuba. Die Putte bläst noch ein letztes Mal einen schauerlichen Ton, setzt das Instrument ab und greift sich ein Mikrofon:

„Ankunft Aphrodite! Die Schaumgeborene.“ Der Erdbeernebel, inzwischen mit einer Konsistenz wie Griesbrei, lichtet sich löffelweise. Eine Muschelschale wird erkennbar und auf ihr steht eine relativ schöne Frau, notdürftig ihre Blößen mit langen Haaren bedeckend. Viele überernährte Kinder flitzen umher und erinnern präven-tiv an die zwangsläufigen Folgen der Liebe.

„Diese kleine Muschelschale kann doch niemals das Gewicht eines Menschen tragen …“

„… einer Göttin.“ Verträumt lässt Opa den Blick über Aphrodites Muschel schweifen.

„Sie müsste untergehen. Wie bitte? Wasser? Wo ist überhaupt dein Wohnzimmer abgeblieben?“, flüstert Alice aus den Mundwinkeln. „Das scheint mir jetzt genau so unwahrscheinlich, wie fliegende dicke Kinder. Was also hindert die Muschel am Untergehen?“

„Die Macht der Unwahrscheinlichkeit. Du lebst doch schon so lange hier und wunderst dich noch? Schon auf der anderen Seite wimmelt es vor Dingen, die bestaunt werden wollen.“

„Normaler Weise würde ich mich nun verstecken. Was hat die Frau vor? Sollte sie sich nicht erstmal etwas überziehen, bevor sie hier einfach ungefragt auftaucht? Übrigens Opa, deine Augen stehen so weit vor, dass ich geneigt bin meine Wäsche daran auf zu hängen.“

„Gut-gut. Ausgezeichnet. Warum auch nicht?“

„Natürlich während ich sie anbehalte…“

„Klar. Genau. Gute Idee…“

„Opa! Huhu. Sprich mit mir. Hallo…“

Opa zuckt mit den Schultern. „Tja. Hum. Leidlich hübsch. Nicht ganz meinen Präferenzen Folge leistend. Wirklich. Seltsame Proportionen. Ein Gesicht wie eine frisch erlöste Fischhändlerin. Hum. Hey, guck mal, chinesische Füße…“

„Seid ihr bereit für eine Prophezeiung?“ Aphrodite hebt die Arme und ein elegantes Gewandt in Weiß schwebt herab. Ein Traum aus gerüschten Ärmeln, besticktem Oberteil, krenelierten Säumen und alberner Halskrause. Einen hastig hingehaltenen Morgenrock mit Glitter und Goldsternchen ignoriert sie noch nicht einmal. Ganz die Dame!

„Besser so?“

„Ja.“, sagt Alice

„Na-ja.“, meint Opa Pscht und zieht seinen Bademantel wieder über.

Aphrodite greift in die Luft und packt sich eine der nackten Putten, die um sie herum kreisen wie Charterflugzeuge während der Urlaubszeit in einer Warteschleife über dem Flughafen.

„Hermes möge erscheinen und ein Protokoll aufnehmen.“

Das dicke Kind schwirrt davon. Alice und Opa blicken sich zweifelnd an. „Das ist doch die Muschel der Venus? Ausgerechnet Prophezeiungen. Sie sind immer so verwirrend vage.“

„Genau das ist ja der Trick um hinterher behaupten zu können, etwas Hell gesehen zu haben.“

Opa hält nicht viel von Vorherbestimmung. Sie würde ihm bei eintretenden Ereignissen die ganze Freude verderben, da diese dann wie schon mal passiert schmecken würden. Des Weiteren mag er es überhaupt nicht, vorher bestimmt zu werden, egal vor was. Wo bleibt denn da die Illusion der Willensfreiheit, wenn irgendwo längst geschrieben steht, wie er sich demnächst benehmen wird? Das Schicksal hatte stets einen großen Bogen um Opa geschlagen, was aber auch nichts nutze. Es scheiterte schon davor an der Prädestination von Opas Lebensweg mit eingebautem Widerstand, suchte sich einen ruhigeren Job in der Astrologie und schreibt inzwischen Horoskope für Wartezimmerlektüre. (Dort sitz immer noch die Angst und leidet an chronisch akuter OpaPschtPhobie)

Ein Windstoß vertreibt die letzen Erdbeerschaumfetzen und Hermes flattert, anmutiger als ein Nilpferd im Rollstuhl vorbei, bremst ungeschickt ab, dreht schwerfällig um und landet so elegant wie ein Plumppudding in Mintsoap. Hermes, ausgesprochen beleibt und gesuchter Wunschkandidat für Herzinfarkt, richtet sich unter Schnaufen und Stöhnen aus der Furche seiner Landung auf, versucht ein entschuldigendes Lächeln, wischt sich Reste von Pfefferminzsoße mit einem Hauch Erdbeergeschmack aus den Mundwinkeln und behauptet: „Das löffelweise Verzehren von Vorzeichen und anderer Omen, die nur aus Lügen und Aberglauben bestehen, ist die vornehmste Aufgabe der freien Presse.“

Alice schaltet am schnellsten: „Aber du selber bist doch auch nur gelogen und eine Manifestation von Aberglauben. Von sehr drallem Aberglauben, falls du gestattest. Freie Presse! Wenn ich das schon höre…“ Alice stockt kurz; dann fügt sie akkurat hinzu: „…oder lese.“

„Sind wir nicht alle gelogen?“ Opa hat es mit der Wahrheit, der reinen Wahrheit und nichts als der Wahrheit, so wahr ihr ein Opa Pscht helfe. „Sei mal nicht so intolerant.“


Kapitel Fünf

Opa läuft vor einer Göttin davon und teilt sich mit Alice ein Butterbrot.

Aphrodite ist Bekleidung aus verständlichen Gründen nicht unbedingt gewohnt und sucht in den Ärmeln nach ihren Händen. Als sie diese gefunden hat, wickelt sie eine Schriftrolle aus und hebt mit düsterem Nachhall an (An dieser Stelle ein umfassendes Lob für die Toningenieure): „Wahrlich. So aber möge es geschehen. Deine Nase soll bei jeder Lüge wachsen, bis …, Mist, falsches Manuskript, Äh, …, ach hier. Ja, und dann werdet ihr verdammt noch mal glücklich sein, ob es euch nun passt oder nicht, und zwar bis zuletzt. Und wenn ihr gestern nicht gestorben seid, so lebt ihr auch noch heute. So! Da habt ihr es.“ Dann fügt sie noch ein völlig überflüssiges „Fürwahr!“ an.

Opa und Alice wechseln einen Blick. Dass Opa noch fähig ist, rot anzulaufen, erscheint nur Ignoranten recht erstaunlich und Alice entdeckt plötzlich seltsame Krankenschwesterambitionen an sich. Am liebsten würde sie ihm nun ihren Sitzplatz anbieten. Aber sie steht ja. Stattdessen lästert sie erneut:

„Aphrodite ist doch keine Seherin. Oder? Ich dachte immer, Kassandra sei dafür zuständig. Oder so ein Delphin. Und diese Muschelgeschichte hat sie von der Venus. Aphrodite ist meines Wissens die Göttin der Liebe. Wurde sie nicht mit Äpfeln beworfen, weil ihre Show überaus mies war?“

„Kein Delphin sondern Delphi. Kann man leicht auseinander halten. Das Orakel zu Delphi lächelt nur, wenn es auch einen Grund gibt. Meistens, weil bald jemandem, der es verdient hat, etwas Unangenehmes zustoßen wird. Delphine hingegen haben das Lächeln in die Physiognomie gleich mit eingebaut, was zu vielen Missverständnissen bei schlechten Schwimmern führt. Das mit den Äpfeln war wegen Paris.“

„Ich will aber nicht, …, wie meinte doch die Tante: ‚… verdammt noch mal glücklich sein, ob es mir nun passt oder nicht, und zwar bis zuletzt.’ Das passt mir nämlich überhaupt gar nicht. Und ich will auch nicht heute leben, nur weil ich gestern noch nicht gestorben bin. Das ist mir zu profan.“

„Ihr müsst nun diesen Pfad entlang euren Weg gehen, Abenteuer erleben, Prüfungen bestehen und so.“ Hermes beugt sich vor und flüstert Opa konspirativ ins widerwillig zuckende Ohr: „Leihst du mir dein Butterbrot?“ Etwas lauter „Und nur die Reinheit eurer Herzen wird euch bewahren vor Übel, Ungemach und …“

Aber spätesten bei Butterbrot klemmt sich Opa die perplexe Alice unter den Arm und dreht sich einfach um. „Nix da. Wir sind nur auf der Durchreise. Frag doch einfach die Schaumschlägerin da, ob sie neben Dessertspeisen auch gebratene Hähnchen kann.“

Nach nur wenigen Metern Distanz erkennt Opa, dass es keine gute Idee ist, die zappelnde Alice zu tragen. Ein Schwarm von 200 Watt Glühwürmchen auf den Innenseiten seiner Augenlider gibt deutliche Hinweise. Und als ob das nicht genügen würde, klettert ein stechender Schmerz in atemberaubendem Tempo den Rücken hoch und benutzt offensichtlich Steigeisen. Opa schmeißt Alice vorsichtig zu Boden, drückt einige Wirbel wieder in die ursprüngliche Position und blickt sich um. Vor ihnen führt ein Pfad durch dunkles Gehölz und hinter ihnen …, ist gar kein Weg mehr zu erkennen.

„Warum nur habe ich meinen Jungbrunnen erst gefunden, als ich schon alt war?“

„Und warum nur bist du davon gelaufen? Ich dachte, du läufst nie fort.“ Alice wischt sich Laub vom Kleidchen und zieht die Kniestrümpfe hoch.

„Wegen dir. Irgendwann wäre der Göttin aufgefallen, wie viel hübscher du doch bist als sie und sehr zornig geworden. Zornige Göttinnen sind mies und hinterhältig. Und seltsame, höchst unwahrscheinliche Prognosen sind mir auch zu dominant, besonders wenn sie von Göttern erstellt werden. Besser ist es, nicht hin zu hören. Götter betrügen nämlich wie bescheuert und drücken die Geschichte heimlich in Richtung ihrer Orakel. Man nennt diesen Vorgang auch „self fullfilling prophethie“. Götter sind einfach notorisch-rechthaberische Langweiler.“

„Da trifft es sich aber gut, dass du kein bisschen rechthaberisch bist. Wie schön. Was ist mit der Gegend passiert? Wo ist denn das Wasser abgeblieben? War das nun ein erstes Abenteuer?“

„Wie viele erwartest du denn? Ich erlebe nur ein Einziges. Lass uns schnell ein Butterbrot vernichten.“

„Was meinst du? Wohin diese Passage wohl führt?“

(Knister) „Hum. Also, was haben wir denn bislang? Äpfel, hohle Gasse, dunkler Tann, einige Putten hielten kleine Flitzebögen in den Patschefingern, …, Hum. Würde mich nicht wundern, wenn hinter der nächsten Kurve ein Pfahl mit Mütze rum steht.“


Kapitel Sechs


Opa wird pathetisch. Alice sichert sich das Wohlwollen einer Inspiration. Ein Hund kehrt sein Innerstes nach außen…

„So langsam komme ich dahinter Opa. Es passieren irgendwelche Elemente aus dem Volksschatz, den Sagen, Märchen und Legen-den; neu geordnet und mit ein wenig kausal anmutender, aber im Prinzip völlig törichter Logik versehen. Das bringt hohen Wiedererkennungs-wert… Warte mal. Kann das nicht jeder?“

„Nein. Nicht jeder. Aber die meisten könnten. Dazu gehört weniger als du glaubst. Keine Angst vor Fehlern zum Beispiel. Oder Strukturkenntnis der eigenen Einbildungskraft, ob mit Hut oder ohne.“ Opa verbeugt sich apart und wedelt in einer komplexen Bewegungsabfolge mit seinem Zylinder. Uns wird ganz übel dabei. (Für alle, die immer erst in der Mitte anfangen zu lesen: Wir halten uns im Chapeau Claque versteckt) „Und fortwährender Zweifel. Hum. Und Ertragen von allernotpeinlichsten Schmerzen der Selbsterkenntnis. Hum-Hum! (Knister) Und die Bereitschaft, seinen Frieden bis aufs Messer zu verteidigen. Und sich für notwendige Beschaulichkeit ständig aufreiben, jede Menge Mühe ertragen, über Berge springen und durch Ozeane schwimmen, nur um seine Ruhe zu haben, in Muße zu leben. Hum-Hum-Hum!! Für die Freiheit eine scharf geschliffene Axt des Friedens schwingen. (Kratz). Und wenn sich dann alle großen Begriffe als Mogelpackungen erweisen und man dennoch die Grenze zwischen Zynismus und Humor finden will, tja, dann braucht man viel Zeit und muss sich persönlich einbringen. Viel Zeit dauert nun mal seine Zeit. … Und persönliche Empirie kann kein anderer für dich sammeln. Die soll man nicht aus zweiter Hand erfahren. Ist nun mal so mit der Erfahrung. Hum! aber auch! Und dann muss man noch alles im Hirn mit einander verknüpfen, das dauert nochmals…“

„Meine Güte, was bist du pathetisch.“

„Na und? Genau das meine ich. Keine Angst vor Peinlichkeiten.“

„Bist du etwa weise?“

„Quatsch! Ich bin immer noch hungrig. Übrigens weiß ich sehr genau, warum wir zwei so schicksalsresistent sind.“

„Sind wir das?“

„Weil uns kein Schicksal an die Hammelbeine kriegen kann. Wir sind literarische Archetypen mit eigenen Interessen. Mündige Protagonisten. Unter uns, in Wahrheit steckt oft Literatur dahinter. Nix da ‚Schicksal’! Oh, was ist das denn?“

Opa bückt sich und hebt ein irrlichterndes Etwas auf. „Ah! Ein Inspirationspartikel. Sehr selten. Habe schon lange keines mehr gesehen. Hier. Schenke ich dir unter der Bedingung, es wieder fliegen zu lassen. Es gibt nur noch so wenige. Die kann man schwer in Gefangenschaft halten. Vermehren sich nicht im Zwinger. Sind fast wie Kolibris. Gehören in keinen Käfig.“

Alice streichelt sanft die Inspiration und drückt sie beruhigend an den hübschen Busen. „Kutschi-Kutschi-ku.“ Opa wird es so seltsam wie sonst selten. Alice wirft die Inspiration in einer anmutig fließenden Bewegung hoch und blickt ihr verträumt hinterher. Nach einer kleinen, besinnlichen Weile meint sie dann: „Komm lieber Opa. Lass uns weitergehen. Mal gucken, ob du Recht hast. … Oh, tatsächlich. Da! Ein Fahnenmast mit Pudelmütze.“

„Wusste ich es doch. Und da! hängt ein Ortsschild. „Baskerville“.

„Und da! kommt ein großer Hund direkt auf uns zu. Ein Pudel? Igitt.“

„Und da! fällt er in Einzelteilen auseinander. Und da! ist sein Kern. Seltsam.“

„Seltsam? Du untertreibst. Das ist gruselig.“

„Ein Wort wie gruselig solltest du aus deinem Sprachschatz streichen. Kleine Mädchen benutzen es, um auf ihre Empfindsamkeit hinzuweisen. Fragen wir doch mal den Kern.“

Pudels Kern: „Ich erinnere mich an ein gewisses Gretchen. Die war so dünnhäutig wie eine Erbsenprizessin. Ach, die Arme…“

Alice schaudert. „Ich spüre eine Kraft, die das Böse will.“

„Wenn ich mich nicht täusche: ‚Doch das Gute schafft’!“

Der Kern zieht blitzschnell aus dem Halfter: „Ganz genau. Ich habe hier eine Brille, eine XXXL-Ray, die aber im Gegensatz zu den handelsüblichen, tatsächlich jede Kleidung durchdringt und verschwinden lässt. Möchtest du Alice mal nackig sehen? Na?“

Opa läuft rot an. Vielleicht vor Wut, vielleicht aber auch ein wenig vor Scham, denn der Kern hat, böse wie er nun mal ist, treffsicher einen juckenden Fleck im Anstand gefunden. Mit mühsam beherrschter Stimme erwidert er: „Nein!“, und verschluckt sich fast. Er blickt Alice dabei nicht an. Die springt los, reißt dem Kern die Brille aus der Hand und zerschlägt sie auf seinem Kopf. „Bravo.“ murmelt Opa halbherzig „Richtig so.“ Dann bückt er sich, um seine Sicherheitsschuhe neu zu binden: „Hör auf, den blöden Kern zu ohrfeigen wie blöde. Es ist sein blöder Job, blöde Zwietracht zu säen. Das schafft dann blöde Gemeinsamkeiten. Lass uns weiter gehen.“

Nach einigen Metern zupft Alice Opa am Ärmel: „Tu mir den Gefallen und wirf das kleine Stück Brillenglas weg, welches du heimlich aufgehoben hast.“

Opa wird schon wieder rot. „Nicht was du denkst. Kein bisschen. Ich wollte es nur meiner Sammlung magischer Artefakte beifügen.“

„Schmeiß es dennoch fort. Wir hatten doch festgestellt, dass es keinen Sex, äh, Zwex, nein, verdammt, Zweck hat, eine erotische Spannung mit einzubauen. Du bist doch wohl kein alter, schmutziger Mann, oder?“

„Im Prinzip schon. Aber heimlich.“ Dann singt er trotzig einen alten Gassenhauer: „Der Sexus ist ewig und währt bis zuletzt, doch wird er häufig ganz schön überschätzt.“

Alice summt leise die zweite Stimme dazu, während sie nebeneinander dem Pfad weiter folgen. Beide haben das Gefühl, eine gefährliche Interaktionsklippe unbeschadet umsegelt zu haben. Kleine Schürfwunden sind bei solchen Gelegenheiten völlig gesund und zählen nicht.


Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!

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RE: Opa Pscht hinter dem Spiegel

#2 von Karl Ludwig , 23.04.2016 14:25

Kapitel Sieben

Fängt mit Psychologie an und endet bei Acht. Dazwischen wird alexandriert.

Die fünf Methoden der Problemverarbeitung:

Erstens: Verdrängen
Zweitens: Verdrängen
Drittens: Verdrängen
Viertens: Verdrängen
Fünftens: Verdrängen.

Opa ist gerade bei Drittens, als der Weg an einer Lichtung endet. Ein düsteres Gebäude versperrt ihr Weiterkommen und über dem Portal steht in Stein gehauen: „Non est mihi? Laudatio. Amor nam femme, c’est! Fatales…“

Opa kratzt sich schon wieder abwesend den abwesenden Bart. (Knister) „Was soll das denn für eine Sprache sein? Franteinisch? Latzösisch? Hum? Selbst die Interpunktion ist falsch geschrieben.“ (Kratz)

„Nicht preisen will ich den Gott der Liebe, denn die Weiber sind schlimm?“ Alice wünscht sich auch einen virtuellen Bart zum Kratzen, oder wenigstens eine Halbbrille, über deren Ränder sie Opa schwer bedeutungsvolle Blicke zuwerfen würde. „Bin ich etwa schlimm? Welch krankes Hirn meißelt denn so ein krankes Motto in Granit?“

„Ich nehme an, der Steinmetz handelte im Auftrag und kannte dich nicht persönlich.“

„Ha-ha!“

Schabende Geräusche scheinen auf lebhafte Beschäftigung von Termiten im Inneren des Gebäudes hinzuweisen, aber das täuscht, wie Opa bald feststellt. Hinter dem Portal befindet sich nur eine Bibliothek. Tausende Wälzer bedecken die Wände bis zur Decke. „Seltsam, die Werke sehen alle gleich aus. Hum.“ Opa zieht ein dickes Buch aus dem Regal und liest den Titel halblaut vor. „Die Wahrheit über Frauen. Hum-Hum? Stichwortverzeichnis Aaaa – Aaab, Band 17, Teil 3.“ Opa denkt nach (Knister, wie gehabt) „Hier scheint jemand starken Erklärungsbedarf zu haben.“ Behutsam stellt er den dritten Teil von Band 17 zurück.

Das kratzende Geräusch entsteht hinter einem Paravent. Opa lässt Alice zurück und pirscht sich an. Jemand hat einen Sessel mit Dusche ausgestattet. Darauf sitzt eine nasse, dürre Gestalt. Kittel, Ärmelschoner, Brusttasche mit blauen Flecken vom Kugelschreiber, Schwielen an den Fingern. Und schreibt wie besessen. Offensichtlich seit einer Ewigkeit. Die Gestalt hebt widerwillig den Kopf, blickt Opa unglücklich an und meint: „Die Welt muss erfahren, wie die Frauen wirklich sind.“ Dann schreibt sie weiter.

„Bezaubernd?“

Die dürre Figur verliert den Stift und guckt empört erneut hoch: „Bitte? Wie kommst du denn auf so eine Schnapsidee? Nein, Frauen sind hinterhältig und gemein, um Männer zu willenlosen …, WAS IST DAS DENN?“ Abwehrend hebt die Gestalt ihre Hände.

Alice kommt näher und sieht wirklich ganz bezaubernd aus.

Opa grinst schlimmer als Jack Nichols Sohn: „Das ist eine Frau! Hinterhältig und gemein. Schließlich muss sie es auch mit Männern aufnehmen können.“

„Sie soll wieder gehen. Sie irritiert mich. Wie kann ich die wahre Natur der Frauen erkennen und beschreiben, wenn ich keine wissenschaftlich- analytische Distanz wahre?“ Die hagere Gestalt fummelt nervös an der Mischbatterie und lässt sich nass spritzen. Opas Blick folgt den Zuleitungen; sie führen durch eine Tiefkühltruhe…

„Armer Kerl. Irgendwie eine Art männliches Dornröschen hinter einer selbst gepflanzten Hecke aus Büchern. Da genügt kein Kuss mehr.“ Alice dreht sich sehr energisch zu Opa hin. Ihr Kleidchen folgt der Zentrifugalkraft und gibt viel Bein oberhalb der Kniestrümpfe frei. „Ich war schließlich mal bei den Pfadfindern. Hier ist eine gute Tat angebracht. Du hast doch garantiert noch ein Stück von dieser mephistolanischen XXXL-Ray Brille. Du wärst nicht Opa Pscht, wenn du nicht ständig schummeln würdest. Ich kenn dich doch.“

„Na gut. Ich gebe es zu. Aber ich habe nicht vor, den Splitter irgendwie in deiner Gegenwart einzusetzen.“ Diesmal verzichtet Opa aufs Rot werden.

„Schenk ihm die Scherbe! So nass kann man doch gar nicht hinter den Ohren sein, selbst mit Dusche.“

Opa fällt fast um. Zum ersten Mal erleben wir ihn völlig sprachlos.

Auch das ist ein Anblick, der sich lohnt.

Opa und Alice verlassen keine fünf Minuten später hastig das Gebäude durch die Hintertür. Drinnen wird gerade Feuer gelegt. Opa hat sich wieder gefangen; mit dieser neuen Erfahrung völliger Verblüffung kann er inzwischen, allerdings nicht ganz so locker umgehen, wie er es gerne hätte.

Er macht mit zusammengebissenen Zähnen bei Viertens weiter…


Kapitel Acht

Eine schierbass baffe Göttin wird ersetzt. Der Knigge ist nicht vollständig. Alle mogeln, selbst die Wahrheit.

Manche Ereignisse werfen lange Schatten voraus, andere künden sich mit jeder Menge Dezibel an. Oft herrscht auch nur bedrückende Stille, kurz bevor jemand laut los brüllt. Das nächste Ereignis scheint Schwierigkeiten mit diesen Traditionen zu haben. Halbherzig lautmalert es ein quetschiges ‚Tröt’, als ob wer eine Tuba um den Hals gewickelt bekommt und jemand anderes scheint seinen Finger aus einer Flasche zu ziehen. Mit unbeeindruckendem ‚Plop’ manifestiert sich Aphrodite erneut. Inklusive den fettsüchtigen Kindern ist sie von einer Korona aus Blüten bekränztem Firmament umgeben. Die Trickspezialisten haben einfach Alles gegeben. Im Gegensatz zu den Tontechnikern. Man hätte diese halt nicht vor dem Schlussakkord loben dürfen.

Aphrodite hat die Garderobe gewechselt, aber vielleicht ist ‚gewechselt’ auch ein falscher Begriff in diesem Zusammenhang. Man könnte sich auf ‚maximal minimiert’ einigen. Wie dem auch sei, der Stoff hätte durchaus gereicht, einen kleinen Teelöffel zu verhüllen. Natürlich ohne den Stil, wir wollen doch nicht übertreiben…

„Siehst du? Gar keine XXXL-Ray-Brille nötig.“ Alice ist ein wenig gehässig. Das ist eigentlich ganz gegen ihre Natur und die wundert sich gerade enorm.

Aphrodite wirft Alice einen Blick zu, der in keinem Knigge Erwähnung findet. „Nun gut. Schlichte aber effektive Methode. Bücherprimel ist erlöst und jetzt auch für mich wieder interessant. Irgendeinen Wunsch noch, bevor ich mich aus den Winterklamotten schäle und die ehemalige Bibliothek besuche? Hätte ich eigentlich auch von selber drauf kommen können.“

„Hinterher weiß jeder mehr.“ Opa war gerade bei Siebzehntens und er wollte unbedingt noch vor dem nächsten Kapitel damit fertig werden, um dieses dann ohne Libidoirritation zu erleben. „Haben wir tatsächlich einen Wunsch frei?“

„Ja, normaler Weise gewähre ich drei Wünsche, wenn mir jemand einen Gefallen erwiesen hat. Aber das erscheint mir diesmal nicht ganz richtig. Immerhin hat es kaum Mühe bereitet und wie gesagt, den Job hätte ich auch selber erledigen können.“

Opa blickt Alice an. „Dir gebührt die Ehre. Ich würde mir nur etwas zu Rauchen wünschen.“

Alice mustert Aphrodite. Es gibt diese besondere Art des Musterns, das bei den Füßen anfängt, sich enervierend langsam höher arbeitet, kurz zwischen den Augen verweilt und dann in der Ferne verliert, als ob dort wesentlich Interessanteres die gelangweilte Aufmerksamkeit beanspruchen würde. Oft schicken sich die Beteiligten nach so einer Musterung ihre Adjutanten. „Dann wünsche ich mir Ahh eine unbegrenzte Zahl an Wünschen und Beh, einen anderen Operator. Und zwar…“

Opa klatscht enthusiastisch Beifall: „Schon als Kind habe ich mich stets gefragt, warum sich niemand als ersten Wunsch ganz viele Wünsche wünscht.“

Aphrodite steht starr. Da war Paris doch einfacher gestrickt gewesen. Dem fiel nur ein Wunsch ein. Und der war leicht zu erfüllen.

„Das ist gemogelt!“ Aphrodite wirft die Musterung in Potenz zurück.

„Opa mogelt. Du mogelst. Alle mogeln. Ich passe mich nur den Spielregeln an. Und die lauten wohl: ‚Erfinde deine eigenen Regeln.’ Nun, gibt es da etwa irgendwo eine Nichtgültigkeits-klausel?“

Hermes schiebt sich näher wie ein übergroßes Scheintierchen mit elefantösen Pseudofüßchen. „Laut Statuten über gewährte Wünsche müssen diese wortwörtlich erfüllt werden, was manchmal zu amüsanten Ergebnissen führt. Erinnert mich bloß nicht an Krösus. Hoho. Der musste sich hinterher von Bediensteten füttern lassen und einen offiziellen Arschabwischer bestallen. Hoho! Haben wir gelacht. In diesem Fall hat Alice vergessen, den unbegrenzten Wunscherfüllungen einen Raum und eine Zeit zu definieren. Hier und jetzt sei Aphrodite nun nur an ein Ahhh und das Behh gebunden, die anderen Wunsch-vollzüge halten sich in einer anderen Zeit an einem anderen Ort auf.“ Hermes verscheucht ein Kind, welches wohl das Manuskript nicht gelesen hat, ungeschickt mit Amorpfeilen hantiert und Opa Pscht anpeilt. Der wendet sich zu Alice, die enttäuscht ein, für jeden nachvollziehbares „Schon wieder gemogelt!“ von sich gibt. „Wen hättest du denn gerne als Operator? Denke genau nach, denn betreffender Gott oder betreffende Göttin könnte wesentlich schlimmere Ambitionen haben, als Aphrodite.“


Kapitel Neun

Biologisch dynamisch, ein liebevoll gemischter Flip wird weggeschüttet. Alice übertreibt Charismajogging.

„Demeter!“ Der Name kommt aus Alice herausgeschossen wie, na, halt wie aus der Pistole geschossen. „Ich will die sanfte Demeter als Operator.“ Das hat allerdings wenig mit 'Genau Nachdenken' zu tun.

„Wie originell. Viel Salat, gesundes Gemüse, vitaminreiches Obst, Tofu und Sojabratlinge. Bei Neumond gesät. Schmeckt wunderbar mit geröstetem Sesam und Kräutern. Echte Delikatessen, die jeden Gourmet auf den Knien um Nachschlag betteln lassen, besonders wenn man kurz vor Verzehr alles durch ein Steak ersetzt. Oder zwei. Äh, sagtest du ‚sanft’?“

„Demeter ist eine Nette und bestimmt auch besser für deine Moral.“

Opa brummelt etwas über doofe Gartenarbeit, Zecken, Maulwürfe, Brennnesseln, Wespen, Schnecken und frivole Blumen, die schamverletzend ihre primären Geschlechtsmerkmale präsentieren. Er scheint Gartenarbeit, Zecken, Maulwürfe, Brennnesseln, Wespen, Schnecken und schamlose Blumen nicht besonders zu mögen.

„Mädchen!“, Hermes versucht sich lachend auf die Oberschenkel zu klopfen, erreicht diese aber nicht ganz und begnügt sich mit dem Bauch. „Sagtest du gerade etwa wirklich ‚Sanft’? Das ist aber nun ein echter Anfängerfehler. Demeter ist überzeugte Darwinistin. Das tägliche Gemetzel der Fauna, um die Dominanten zu ermitteln, findet auch in ihrer Flora statt. Pflanzen bringen einander gnadenlos um. Erwürgen, vergiften und aussaugen sind die gebräuchlichsten Methoden. Wasserdiebstahl und Anlocken von Fress-feinden, Mimikry, Fehlgeruch, Samenklau… kein Mittel ist zu schade, wenn es bloß den Mitbewerb einschränkt. Allerdings … In den letzten Jahren treibt sich Demeter fast nur noch bei Bacchus im ‚Zum fröhlichen Bacchus’ rum und führt Weinproben durch. Sehr gewissenhaft, so wie sie nun mal ist. Manche Proben gleich unzählige Male an einem Abend. Komm Afro, das gucken wir uns vom Olymp aus an. Das ergibt bestimmt jede Menge zu lachen.“

Die Tontechniker, entscheiden sich diesmal für eine Maultrommel und mit viel Plärr, Pling, Schnarr und Boing verschwinden Hermes, Aphrodite, Putten und auch die Korona aus Blüten bekränztem Firmament. Opa zupft sich einen lächerlichen Pfeil vom Hawaiihemd. Er und Alice stehen alleine auf weiter Flur, bzw. engem Pfad. „Tinnitus! Du Schande der Tonkunst!“ ruft Opa laut. „Soll ich dir mal im Studio heimsuchen und dich zeigen, wie man einen ordentlichen Sound hinbekommt?“

Von weiter vorne ertönen statt einer Antwort lauter werdende Rhythmen. Jemand schlägt auf sein Schlagzeug ein, was das Zeug hält. Opa zappelt mit den Füßen. „Schon besser. Und vor-wärts, rück-wärts, seit-wärts, ran. Und eins, und zwei, und Löf-fel-stiel!“ Pirouetten drehend nähern sich die zwei einer Kneipe. Es muss eine Kneipe sein. Über dem Eingang zum Finanzamt steht niemals „Zum fröhlichen Bacchus“, Trommelsolos hört man auch selten auf Behörden und die glitschigen Pfützen seltsamer Ingredienz vor dem Gebäude räumen jeden eventuellen Zweifel endgültig aus.

„Bist du denn schon alt genug, um in übel beleumundete Spelunken abzulungern?“ Opa kann es einfach nicht lassen. Alice wirft ihm einen Blick zu, an dem man Schiffe vertäuen könnte und meint trocken: „Lass uns einfach rein gehen.“

Eine uralte Wurlitzer Musikbox spielt das Schlagzeugsolo aus ‚In a Gadda-da-vida’ in endlosen Wiederholungen, ansonsten ist von Fröhlichkeit kaum etwas zu spüren. Mangelnde Fröhlichkeit ist ein wichtiges Merkmal übel beleumundeter Spelunken der gehobenen Klasse. Sie haben schummerig zu sein und melancholische Erinnerungen wach zu rufen, an eine Zeit, damals, als alles viel früher war. Saufen ist eine ernste Angelegenheit, zu ernst um dabei sein Gemütsleben an guter Laune zu verschwenden. Schließlich saufen viele Leute aus ernsten Gründen, nämlich um ihre Probleme zu vergessen, was aber zu anderen Problemen führt, weil sie nach dem dritten Glas nicht mehr wissen, was sie vergessen wollten. Letztendlich trinken die meisten Leute um zu vergessen, dass sie trinken.

Der Wirt hat ein Anrecht auf die eine Hälfte der Aufmerksamkeit. Demeter bekommt die andere. Ansonsten ist kein Gast zu sehen. Bacchus sieht aus wie nach zwei Jahren frisch aus der Gruft. Tränensäcke, als ob er dort das Wechselgeld verwahren würde, schmutzig-, zerfetztes Nachthemd, nikotingelbe Spinnenfinger, dünne, graue Haare, wie aufgemalt so fettig. Demeter sitzt auf einem Barhocker am Tresen und sieht noch schlimmer aus. Die Latzhose war unter Umständen einst lila gewesen, ihre jetzige Couleur ist keiner Spektralanalyse mehr zugänglich. Hakennase über bitterem Mund. Grünlich bleiche Haut mit Krampfadern im Gesicht, eingefallene Wangen. „Eine optische Umweltemission“ nuschelt Opa und Alice zischt daraufhin: „Pscht, mach deinem Namen bitte ein wenig Ehre und behalte diese kleinen, ach so humorvollen Bemerkungen für dich. Sie weint.“

„Zu Recht. Und ich weine auch bald, wenn ich kein großes Glas irgendwas bekomme.“ Wäre ja noch schöner, wenn sich Opa den Mund verbieten ließe.

Bacchus taxiert die Neuankömmlinge mit blut unterlaufenen Bulldoggenaugen. Als Ergebnis fällt ein großes Cocktailglas auf den Tresen und füllt sich mit klebriger, malvefarbener Flüssigkeit. Eine halbe, süßsauer eingelegte Wassermelone klemmt sich über den, mit Kandis bestreuten Rand. Papierschirm, lustiges Äffchen aus Plastik und ein rotweiß gestreifter Strohhalm vervollständigen das Stillleben. Für Opa gibt es ehrliches Bier. Alice schnaubt verächtlich, schiebt ihr bezauberndes Kinn energisch vor (Opa kann das allerdings erheblich besser. Vielleicht weil er kein niedliches Grübchen hat. Dafür sieht so was bei ihm auch kein bisschen bezaubernd aus), greift über den Tresen, Bacchus an den schmutzigen Kragen und zieht ihn halb über das Barbrett: „Nimm das da wieder weg. Weit weg! Ich will Whiskey! Meinetwegen auch Whiski, Wisky, oder Wiskey! Klar!? Kein Eis! Weder geschüttelt, noch gerührt, ohne Obst oder Äffchen! Was meinst du? Ob du das hinkriegst? Sag ja, und wir werden Freunde. Denke nicht im Traum daran, an Nein zu denken. Und einen Salat aus der Region. Mit Kräutern. Hugh!“ Opa amüsiert sich köstlich. Dezidierte junge Frauen, die Whiskey trinken und für Reformhauskost schwärmen sind häufig sehr selten.

Mürrisch windet sich Bacchus aus dem Griff: „Whiskey. Sehr wohl. Aber frischen Salat? Unmöglich!“ Bacchus deutet mit dem Kopf in Richtung Demeter. Alice zieht ein Taschentuch hervor und säubert sich unauffällig die Finger.

„Mir ein Steak. Auch nicht gerührt und auch mit ohne Äffchen. Aber Medium.“ Opa ist in seinem Element. „Und als Sättigungsbeilage noch ein Steak. Und dreh mal die Platte um. Und zum Nachtisch ein Steak. Und vorher noch ein Bier. Nein, drei.“ Dann widmet er seine Aufmerk-samkeit voll der Austauschgöttin. Die hat gar nichts von der Ankunft irgendwelcher neuen Gäste mitbekommen und ihre Tränen verwässern den Wein im Kelch vor ihr.


Kapitel Zehn


Dem Leser wird auch nach saufen.


„… und inschwischen (Schluchts) gipps Brocholicremesup ... suppe ganz ohne Brocholi. (Schnief) Nunoch Sßusatzssstoffe, Geschschschmacksvvverstärker und Lehmsmiddelfarbe … und … die Leude gaufen wie plöde, …, wei …, weil ‚Mit neuer Resßebdur’ draufsteht und dobbeld so deuer is… (Heul) und…“

Alice leert entschlossen ihr Glas und macht einen Schritt in Richtung der aufgelösten Demeter, doch Opa hält sie am Handgelenk zurück: „Was hast du vor? Willst du ihr vielleicht das Taschentuch leihen? Die Alte ist doch breit.“

„Ich will sie fragen, was mit den Schmetterlingen passiert ist.“

„Meine Güte Alice. Man unterhält sich nicht mit Betrunkenen, während man selber nüchtern ist. Trink mehr.“

„… un Mutti andworded nur: ‚Mir gann geiner wasch. Isch pin tie Gaja! Dasch g’nügt mihr allema. Isch atme innem gansch ander … re-re-renm Rhy … Rütm … Takt alsch Menschen, schelbst als Gödder, … (Klag)“

(Kratz. Und Hum): „Ist das etwa unser neue Operator? Was hast du denn da für eine Wahl getroffen? Eine selbstmitleidige Hexe ohne Zukunft?“

„… und überall schrau-schraupsen se an die Gene rum… (Jammer)“

„Opa, wir müssen von ihr erfahren, was als Nächstes passiert.“

„Müssen wir? Erfahren wir das nicht spätestens, wenn es passiert? Warum so hastig? Vorfreude ist doch auch etwas Schönes. Hier gibt es Bier und Steaks, - ist der Whiskey gut? Ich glaube, ich könnte einen vertragen.“

„… und gloppen mir mit ihren Mo-Monogulduren (Schluchts) die gantsche Artenwielvalt gaputt, diech scho mühscham in Jah-hunnerte langer Hand-a-arbeit rauschgemendelt hatte (Ach, wehe mir Unglücklichen) …“

„Du sollst dich nicht betrinken. Opa. Als Epilog will ich kein: ‚… und wenn sie nicht an Alkoholvergiftung verreckt sind, so saufen sie noch heute’ riskieren.“

„ … undesch gippst auch nur noch schwei Du-Dusßend Tartuffelsorten. Vor 100 Jahren gapes üper 1.500… (Plärr)“

„Pause! Wir setzen uns an einen Tisch und harren der Dinge, die wohl noch auf uns zu kommen mögen.“

„Aber die Geschichte…“

„Die Geschichte kann mich mal. Sie wird uns auch hier finden.“, antwortet Opa gut gelaunt und balanciert gekonnt 2,5 Steaks, drei Bier und ein Wasserglas voll Whiskey in Richtung Tisch, holt seine Pfeife und den Aschenbecher hervor und scheint absolut entschlossen zu sein, jedem Epilog die Stirn zu bieten.

„… Darwi-win würde schich im Krabe umdrehen… (Oh, welch krauscham G’schick)“


Kapitel Elf

Es wird verdammt kalt. Es wird verdammt dunkel. Und es wird verdammt albern.

Die Tür geht auf und ein rückwärts mit dem Bauch nach oben fliegendes Pferd verliert einige Schuppen, als es durch den Raum flattert. Bacchus verdreht die Augen, bis man nur noch das Weiße sieht, welches allerdings rot ist, seufzt auf und holt einen Futtersack nebst einem seltsam geformten Gefäß mit zwei Henkeln aus dem Rückbuffet. Der Topf, groß wie ein kleiner Eimer, ist mit blauen Rauten geschmückt und ein Gartenschlauch ringelt sich über den Rand. ‚Apo ist die Beste’ steht drauf.

„Ich genieße es einfach, ständig Recht zu behalten. Das könnte die Ankunft der Apokalypse bedeuten. Sie ist ein echter Mörder. Schlägt die Zeit tot, bis ihr Stichwort kommt. Und dann wird es erst richtig blutig.“ Opa ist begeistert.

Bacchus hängt dem Pferd den Futtersack um den Hals, was bei einem auf dem Kopf stehendem Gaul gar nicht so einfach ist, und holt gerade einen Werkzeugkasten aus den hinteren Räumen, als die Tür krachend aufspringt und in den Raum fällt. Mitsamt Zarge, Rahmen und etwas Mörtel. Kälte dringt ein. Aber nicht diese langweilige Kälte, die nur durch Abwesendheit der Wärme funktioniert, sondern eine Kälte von jenseits aller Temperaturen. Diese Kälte ist weit hinter dem absoluten Nullpunkt beheimatet. Wie ein Leibwächter blickt sie aus zusammengekniffenen Augen argwöhnisch in die Runde, dreht sich um, hebt den Daumen und setzt sich mit verschränkten Armen neben den Trümmern in die Luft.

Gespannt blickt Alice zum Durchbruch. Was mag da wohl auftauchen? Wie sieht die Apokalypse aus? Winzige Eiszapfen bilden sich an ihrer entzückenden Nase. Eine kleine Angst beschleicht sie, doch die fängt sich einen scharfen Blick von Opas Charisma ein und verzieht sich hastig wieder ins Wartezimmer.

Purzelbaum schlagend kommt die Apokalypse durch den gastfreundlich weit geöffneten Eingang geschossen und Bacchus hebt genervt den Deckel seines Werkzeugkoffers, holt eine Maurerkelle nebst Familientube Schnellbinder-zement hervor und beginnt mit der Arbeit. „Jeden Tag das Selbe. Seit ewigen Zeiten. Da muss man doch zum Säufer werden.“

Die Apokalypse sieht kein bisschen so aus, wie man es von einer ordentlichen Apokalypse erwartet. Niemals würde ihr ein Hieronymus Bosch die Narrenkappe aufsetzen und in einen, aus bayrischer Landesfahne gefertigten Strampelanzug stecken. Niemand bringt sie mit geworfenen Sahnetorten in Zusammenhang. Kein Mensch, der noch alle Tassen im Schrank hat, glaubt an eine Offenbarung des Weltunterganges mit roter, tischtennisballförmiger Pappnase und zwei Gummibooten an den Füßen.

Alice fällt bei diesem Anblick nichts mehr ein. Ihr Mund formt ein spitzes ’O’. Fast überflüssig zu erwähnen, wie bezaubernd das aussieht, aber der Vollständigkeit halber einfach notwendig. Opa hingegen denkt überhaupt nicht ans Nicht Denken.

„Ohne Gefolge wirkt sie noch unglaubwürdiger, was tatsächlich eine Kunst ist. Ich hatte zwar von dem Gerücht gehört, dass sie Personalkosten einsparen will, indem sie nach zeitgemäßen Methoden die Verwaltung umorganisiert. Sozusagen ‚Outscourcing von Unhuman Kapital’. Ich hätte aber nie gedacht, dass sie das auch tut.“ Opa wendet sich an den Wirt. „Was treiben denn die vier ehemals fest angestellten Reiter der Apokalypse?“ Bacchus unterbricht seine Suche nach dem Bohrfutterschlüssel und antwortet: „Die jobben jetzt als Leiharbeiter. Hunger als Rezeptvorschlag in einem Zeitgeistmagazin. Pest als Eigenanteil. Krieg als Drehtür in der Rüstungsindustrie und Tod sorgt als Penner für pittoreskes Lokalkolorit in Stadtansichten. Zusätzlich neben ihren klassischen Pflichten, denen sie in ihrer Freizeit nachkommen.“

Alice schließt und öffnet den Mund wiederholt (Sieht wirklich süß aus. Wer jemals einen Karpfen an Land gezogen hat, weiß genau was gemeint ist) und murmelt verwirrt: „Ihr spinnt doch alle total! Anthropomorphe Wesenheiten haben keine Freizeit, jobben nicht, oder melden sich gar arbeitslos.“

„Stimmt nicht.“ Bacchus unterbricht seine Restaurationsbemühungen lange genug, um erneut das Wort zu ergreifen. Das kann sich nicht wehren, auch nicht, als er hinzufügt: „Demeter, zum Beispiel, bezieht Arbeitslosengeld. Der Sommer bekommt im Winter Schlecht- und der Winter im Sommer Schönwettergeld, was meinst du denn, wovon ich meinen Umsatz bestreite.“

Alice staunt und Opa Pscht nickt wie jemand, der gerade ein Vorurteil bestätigt bekommt.

„Manchmal über 1.000 Liter am Abend. Oder auch 2.000, wenn Kummer versucht ist, sich in Gin zu ertränken. Klappt zwar nie, aber Kummer versucht es beharrlich erneut, sobald er gerade mal wieder gerade stehen kann.“


Kapitel Zwölf

Endlich erscheinen die Monster. Eine betrunkene Göttin baut Mist. Opa ist nicht schnell genug.

„Hum.“ Opa hat kein drittes Auge, aber auch keinen blinden Fleck. Opa sieht die Dinge, wie sie wirklich sind und hält sich nicht lange mit Täuschungen auf. Er kratzt gedankenlos seinen, von Existenzsorgen und Identitätskrisen geplagten Bart: „Die Show stinkt!“ Alice blickt ihn verwundert an. „Alles gelogen!“ meint Opa. „Hum. (Kratz) „Ein gaaaaanz mieses Theater… Hu-hu-hum!“

Die Apokalypse hampelt herum, greift nach ihrem Stammgastkelch, zieht am Hosenbund und schüttet sich den Inhalt in die Hose.

„Alice, siehst du das Wabbern um diese Witzfigur?“

„Nein Opa. Ich sehe nur einen talentlosen Clown.“

„Ich sehe, dass der Clown kein Clown ist, zusätzlich zum nicht gegebenem Talent, und der Kelch ist auch kein Kelch. Du musst leicht schielen und in die Ferne, hinter den Vordergrund blicken. Ich sehe einen Trinkeimer, aber auch noch etwas anderes. Ich sehe den Clown, Harlekin oder was immer das da sein soll, aber das ist nicht das wahre Wesen von diesem Wesen…“

Die Apokalypse stolpert und fällt rückwärts in ihren Saufkübel. Als sie aufstehen will, klemmt dieser fest. In einer Art Ententanz versucht die Apokalypse den Eimer wieder abzuschütteln und bläst dabei auf einer Kindertrompete. Es ist zum Heulen.

„Alice. Das ist weder zum Heulen komisch, noch echt. Der Harlekin ist nur eine Projektion. Eine Art Avatar. In Wahrheit steht da ein gewaltiges Etwas mit Hörnern und ausgefranster Schwanzquaste am Tresen. Eine riesengroße Riesin mit schwer negativer Ausstrahlung und trinkt aus einem polierten Menschenschädel. Frag mich nicht was. Garantiert kein Ambrosia oder Schmetterlingsnektar.“

„Quecksilber, Brom und Zinn mit einem kleinen Spritzer Arsen.“ Bacchus hat das umgedrehte Pferd vor die frisch eingesetzte Tür geführt und gibt bereitwillig Auskunft. „Eigentlich dürfte man sie gar nicht erkennen. Es war mein Wunsch, dass sie sich ein wenig tarnen soll. Ich meine, schaut sie euch doch an. Da wird ein Jeder schlagartig wieder nüchtern. Oder? Schlecht fürs Geschäft.“

Endlich sieht Alice auch hinter den Schein. „Brrr. Was ist denn das für ein Ungeheuer? So ungefähr stelle ich mir in Albträumen den Teufel vor. Ein weiblicher Teufel macht alles noch überzeugender, so was käme mir nämlich selbst im Traum niemals in den Sinn. Und dieses Monster da wartet bloß aufs Stichwort? Na, hoffentlich noch recht lange.“ Sie hält dem Wirt ihr Glas hin und das füllt sich im Alleingang. „Uuuund Ex!!!“

Das Schemen am Tresen wirft einen langen Blick in Opas Richtung und gewinnt ein wenig an Stofflichkeit. Manchmal schlägt Charisma auch nach hinten aus. Deutlich kann Opa den Pferdefuß erkennen. Mit Hufeisen. Offensichtlich ein Kaltblütler.

Demeter fischt ihren Kopf aus dem Weinkelch: Scht …, Schtichwort. Gans jenau. Wir Gödder wischen drüper B’scheid. Esch lautet: …“

Opa ist eine seltsame Kombination aus bedächtiger Muße und impulsiver Cholerik. Er kann aber auch sehr schnell sein, indem er die Entfernungen einfach ignoriert. Er hechtet hoch, steht plötzlich neben Demeter und hält ihr die Hand auf den Mund. Zu spät! „… MachMaHinZackZackHauDraufAmenUndSchlussIs! …Gulp.“

Die Worte reißen sich los, gewinnen an Substanz, prallen noch etliche Male von den Wänden ab und verlieren sich in einem leiser werdenden Echo. Gebanntes Schweigen folgt ohne Abstand und breitet sich auch sofort aus. Alice schlägt die Hände vor den Mund und reißt die Augen weit auf. Will einer wissen, ob das süß aussieht? Nein? Na gut, es sieht definitiv süß aus. Bacchus wendet sich zur Flucht. Es passiert nun viel zu viel auf einmal. Das Schweigen wird leiser und man hört Pferdegetrappel vor der Tür, aufgeregte Stimmen in der Luft – sie streiten. Natürlich, was denn sonst? Das Personal ist eingetroffen. Die Kälte neben dem Eingang zieht in Richtung Monster und verschmilzt mit dessen rabiater Aura, Demeter wird schlagartig nüchtern, die Tontechniker schließen ihre Lautsprecher-boxen direkt ans Starkstromkabel an, das Dach fliegt hoch und verteilt sich portionsweise in und um das Gebäude, ein polierte Totenschädel wird zum Minivulkan und der Clown löst sich böse kichernd auf. Das Monster am Tresen schüttelt sich, wächst krachend in die Höhe und ballt die Fäuste. Eine Art Heiligenschein aus Dunkelheit schwebt über ihm und scheint das ganze, sowieso schon schummerige Licht einzusaugen und in einer anderen Dimension wieder auszuspucken: „Grahhh-uff!“ grollt es. Der Boden bebt, Vögel fallen tot vom Himmel, - jede Ratte mit auch nur minimalstem Selbsterhaltungstrieb würde nun das Schiff verlassen. Opa schüttelt Demeter wie einen Rhabarberbaum. „KuhDuBesoffene. Wo ist der Rückwärtsgang!?“


Kapitel dreizehn

Die Dreizehn soll ja eine tiefere Bedeutung beinhalten. Hier aber garantiert nicht.

Demeter stammelt mit schreckensbleicher Stimme, aber völlig wach: „Es gibt keinen Rückwärtsgang. Wenn das Ende der Welt einmal verkündet wird, ist endgültig Sense!“

„Meinetwegen. Doch in diesem speziellen Fall hat die Dame erst ein ‚Grahhh-uff!’ geäußert, ich meine, das hört sich noch nicht nach Bekanntmachung vom Finale an.“ Vier tatenlustige Reiter kommen reingestürmt und tanzen Ringelreihen um die öffentliche Erklärung vom Ende allen Seins.

Nun kann nur noch ein Wunder helfen…

Da! Ein flirrendes Etwas, hell wie die Zuversicht, schwirrt durch den Staub und flattert blinkend im Kreis über einem umgestürzten Tisch. Dahinter hockt Alice und versucht sich ohne Erfolg in positivem Denken. Es ist kein unbeschreiblicher Schrecken, der ihre Gedanken lähmt, sondern das konkrete und korrekt benannte Entsetzen, welches harntreibend ihre gesamte Aufmerksamkeit beansprucht.

Das flirrende Etwas senkt sich auf sie herab, berührt sie sanft an der Fontanelle und Alice weiß unerwartet ruckartig, was sie nun zu tun hat. Sie springt auf. „Schnell Opa. Deinen Fotoapparat. Her damit!“ Opa erkennt das Inspirationspartikel aus Kapitel sechs, zieht schleunigst den Faltzylinder und lässt ihn durch den Raum segeln. „Hui!“, denken da die Zuschauer. (Wir befinden uns noch immer im Chapeau Claque) Alice fängt ihn gentil auf und holt die Kamera hervor. „Ich kann uns vielleicht 10 Minuten rausschlagen. Lass dir was einfallen.“ Sie bückt sich nach einem Schutthaufen mit Beinen, zieht Bacchus darunter hervor, der aussieht, als ob ihm das Dach auf den Kopf gefallen wäre, was auch stimmt, und brüllt: „Lokalrunde! Aber vom Feinsten!“

Nun nähert sie sich den fünf Freudentänzern: „Bitte recht grimmig!“, dabei hält sie Opas uralte Digitalkammara hoch und ist dankbar, dass das Ding noch aussieht wie ein echter Fotoapparat und nicht wie ein Laserentfernungsmesser mit eingebautem Taschenrechner. Die Gestalten unterbrechen verdutzt ihren Fandango und Alice schießt Bilder. Dabei plappert sie ununterbrochen: „Investigative Presse im Einsatz und vor Ort. Meine Dame, meine Herren? Sie kommen aufs Titelblatt und werden weltberühmt. Ja, sehr gut. Ausgezeichnet. Das ist wirklich beeindruckend. Herr Krieg, wie werden sie vorgehen? Unsere Leser/innen haben das Recht zu erfahren, welche Schritte unternommen werden müssen, um den Maßnahmen Genüge zu leisten. Und wie bekommt man solch einen grindigen Teint mit dermaßen massig-leprösen Schrunden hin, Herr Pest? Zeichnet sich da ein ungewöhnlicher Trend ab, der in der nächsten Saison, …, ach, …, äh, im letzten Moment modern sein wird?“

„Ich glaube schon. Bei vielen. Was Krieg mir übrig lässt und noch ein Gesicht hat.“, erwidert Pest halbautomatisch mit einer Stimme wie Herz-Lungenmaschine.

„Wie schön. Einfach wunderbar. Das ist genau das, was unsere Leser lesen wollen. Schminktipps für den letzten Augenblick. Und sie, Herr Krieg, was für Pläne werden sie in die Tat umsetzen?“

Bacchus ignoriert seine blauen Flecken, drückt jedem der irritierten Gestalten ein Glas in die Hand und füllt es mit Infernogeist. Infernogeist hat bekanntlich über 360 Prozent Alkohol und macht schon beim Hingucken leicht benebelt. Wer auch nur daran schnuppert, wird augenblicklich breit wie Hulle und trinken sollte man Infernogeist nur in Gegenwart eines Notarztes. „… denn unser Magazin ist hip, und stets up to date, und Prost, und noch einen? Und unsere Leser interessieren sich brennend für Krankheiten. Und Herr Hunger? Glauben sie, dass Heilfasten unter solchen Bedingungen noch gesund machen könnte? Stößchen! Bitte ganz bulimisch dürr gucken, nein, nicht lächeln…“

Während Alice die Fünf zum Stammtisch dirigiert, schenkt Bacchus pausenlos nach. Opa stopft sich ein Pfeifchen und hält sein Charisma zurück. Fünf anthropomorphe Erscheinungen sind einfach zu viel, selbst für Opas Kinn. „Hum. (Kratz) Hum. Ein Tremensdämon mit 6,76 Promille dagegen ist ein Lachen. Also, Tod könnte ich traditionell zum symbolischen Schachspiel herausfordern. Aber was ist mit den anderen? Hum. (Kratz) Hum.“ Opa macht ein gebieterisches Zeichen und das Inspirations-partikel nähert sich gehorsam. „Ausnahmsweise…“, murmelt Opa, als er das Flirren packt und an sein Ohr hält. Dann erhellt sich sein Gesicht. „Das könnte sogar klappen. Das muss einfach klappen. Hum!“

Opa holt die kleine Schmuckschatulle mit dem Geschmeide hervor, welches in Kürze mangels ausgestorbener Völker sowieso keinen florierenden Handel mehr ankurbeln könnte, zögert kurz: „Noch nie musste ich zu solchen Mitteln greifen.“, öffnet das Kästchen und pickt sich Aladins Ring raus. Er nimmt noch einen Zug aus der Pfeife, presst die Lippen zusammen, streift ihn sich über den Mittelfinger und dreht daran.

Eine Art älterer Butler im langweiligen Anzug mit ödem Schlips und, – kaum zu fassen –, Monokel! manifestiert sich, blickt über das Tohuwabohu und zieht ein indigniertes Gesicht. Dann schaut er Opa müde an und lässt die Schultern hängen: „Herr? Meister? Wir hören und gehorchen!“ Opa zeigt in Richtung Stammtisch. „Bringe er das da in Ordnung.“

„Oh, Meister, wir erkennen das Problem genau. Uns sind aber von anderer Seite mit mehr Macht die Hände gebunden. Würde der Meister die Güte besitzen und uns den Ring zur weiteren Verwahrung überlassen? Unter diesen Umständen sollte er später nicht in falsche Hände geraten.“

„Hören und gehorchen? Ha!“

„Herr? Wir bedenken erneut unsere letzte Aussage. Wir stellen nochmals bedauernd fest, dass die Apokalypse unwiderruflich ihr Stichwort vernahm. Es besteht keine Aussicht auf Nichtigkeitmachung. Es nutzt auch nichts, das Stichwort rückwärts auszusprechen, abgesehen davon, dass selbst wir dabei Probleme bekämen. Wir werden uns den Ring hinterher aus der Asche sieben.“

„Keine Aussicht? Asche?! Ha! Und nochmals: Ha! Blödmann! Doch vorher wirst du mir zu Diensten sein. Noch mindestens acht Minuten lang.“

„Herr?“

„James, ich darf ihn doch James nennen? Wenn alle Hoffnung vergebens ist, muss ich zu Mitteln greifen, die unter anderen Umständen nicht mit meiner Moral zu vereinbaren wären. Hum! James!“

„Ja Herr?“

„Besorge er mir hurtig aus meinem Wohnzimmer die Zeitmaschine. Möge er sich sputen.“

Noch vor dem Satzendpunkt erscheint die Zeitmaschine. „Und nun partizipiere er vom Starkstrom der Tontechniker. Bringe er die Apparatur auf volle Leistung. Drehe er die Zielzeitanzeige bis zum Anschlag und richte er das Feld exakt aus. Den Fokus fokussieren! Gut so. Wirklich ausgezeichnet. Sehr schön. Uuuuund …: Saft frei! Ja!“ Opa schlägt mit der Faust in die Handfläche. Alice springt geistesgegenwärtig zur Seite.

Die Apokalypse und ihre wieder fest eingestellten Angestellten werden eingefroren. Ein bläuliches Schimmern gibt Hinweise auf einen nahen Wasserfall im Strom der Zeit. Nach genau 10 Sekunden passiert …, nichts. Nach 2 Minuten passiert immer noch nichts. Nach weiteren 3 Minuten erwartungsvollem Bangen reißt der Himmel über dem offenen Dach auf. Worte ohne Ursprung formen ein: „Opa! Das geht jetzt aber wirklich zu weit. Du kannst Tod, Hunger, Pest und Krieg nicht gemeinsam mit der Apokalypse ans Ende der Zeit verbannen.“

Opa hebt den Kopf und die Stimme: „Wer sagt das? Wer sagt mir, was ich tun darf und was nicht?!“

„Drei mal darfst du raten. O.K. kleiner Schelm. Die Apokalypse gehört dir. Aber die anderen bleiben hier in der Gegenwart.“

„Hum… (Kratz) Abgemacht!“

Ein überdimensionierter Zeigefinger, seltsamer Weise mit rot lackiertem Nagel, kommt durch das offene Dach und deutet auf Opa. Opa hebt die Hand und die Fingerspitzen berühren sich. Es würde unerträglich kitschig aussehen, wenn dabei noch Funken sprühten. Deshalb tun sie es auch…


Epilog

Opa hält zuerst gar nichts davon. Letztendlich bleibt ihm aber gar nichts anderes übrig, als sich damit anzufreunden. Und das sogar gerne.

Opa wandert nach bestandenen Abenteuern mit Alice zum umgedrehten Spiegel, hadert mit sich und der ganzen Geschichte und brummelt leise vor sich hin: „All meinen Prinzipien untreu geworden, bloß um eine blöde Welt zu retten, die es mir nie danken wird. Pah! Und nun noch zum Abschied einen großväterlich, keuschen Kuss auf die Wange und schon erscheint das Happy End. Die gute Tat ist ihr eigener Lohn? Schönen Dank aber auch. Mann, was bin ich doch für ein Glückspilz. Oh ja!“ Alice wirft ihm einen seltsamen Seitenblick zu, dann lächelt sie erschreckend milde.

„Opa, für wie alt hältst du mich?“

„Äh-Hum? Über so was denke ich gar nicht erst nach. Meine Mutter hat viel Energie in meine Erziehung gesteckt.“

„Ich fand es sehr nett von dir, dass du Demeter und Bacchus den Ring zur Hochzeit geschenkt hast.“

„Ach ja? Der Ring ist mir eine Niederlage gewesen. Hum! Die schwerste Magie ist der Verzicht auf solche Kinkerlitzchen, doch diesmal ging es wohl tatsächlich nicht anders. Mögen Bacchus und Demeter damit glücklich werden. Doofer Ring. Bah-Pfui-Ring! Hum!“

„Ach ja? Und weißt du noch was? Du kannst nicht zählen. Wie alt war ich denn, als Carroll sein Büchlein über mich schrieb? Und wie lange ist das her? Mensch, Opa, ich bin älter als du. Hier im Spiegelland zwischen den Dimensionen wird der sichtbare Aspekt von diesem Prozess ordentlich ausgebremst. Lewis Carroll hatte das seinerzeit gar nicht geschnallt. Opa, ich bin um die 160 Jahre alt. Das hättest du dir doch selber ausrechnen können, trotz Erziehung. Glaubst du an die Macht der Liebe?“

„Mehr als an die Macht des Geldes. Wie du schon mal bemerktest: Ich bin halt ein Idiot. Worauf willst du hinaus? Echt, 160 Jahre?“

„Mit dem Unterschied, dass ich die meinen speziellen Jungbrunnen schon ziemlich früh fand. Narrativ! Und nun kommt eine kleine Prise Unwahrscheinlichkeit ins Spiel: Ort und Zeit sind in einander gedreht. Wenn wir uns nun… Na?“

„Hä? Ach soooohooho! Ganz genau! Ho-ho! Etwa gemeinsam?“

„Natürlich. Sonst ergäbe es ja keinen Sinn. Zwischen … Ja?“

„… zwei Spiegel stellen, so dass der Ort ungenau wird …“

„… Nicht ungenau, sondern unendlich …“

„… dann … Hum-Hum-Hum?“ (Opa hat die liebenswerte Eigenschaft, noch rot werden zu können. Aber bloß, wenn er auch will.)

(…)

… dann kann man jedes Alter sein, das man sich wünscht. Allerdings nur hier, im Land hinter den Spiegeln.

An dieser Stelle wird das Licht endgültig runter gedimmt und ein Mantel der Diskretion ausgebreitet. Seltsamer Weise mit Glitter auf den Ärmeln. Später wird noch das Höschen der Diskretion folgen, doch das ist eine ganz andere Geschichte. Wir klettern aus dem Chapeau Claque, sind froh, dass die Welt noch steht und kümmern uns wieder um den eigenen Kram. Hier gibt es nichts mehr zu gucken. Nur lautes Lachen, Kichern, Giggeln und Gequieke ist noch zu hören, bis endlich jemand die Lautsprecher ausschaltet.

Ende


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RE: Opa Pscht hinter dem Spiegel

#3 von Karl Ludwig , 24.04.2016 08:04

Dieses Bild hatte Anja für mich zu o.s. Text gemalt.

[attachment=0]Opa in bunt.jpg[/attachment]


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Angefügte Bilder:
f12t1933p10335n155.jpg  
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RE: Opa Pscht hinter dem Spiegel

#4 von Sirius , 24.04.2016 18:53

Hallo klsa,

die Geschichte ist arg lang, und ich habe sie aus Zeitgründen noch nicht lesen können, hole das aber nach. Gelesen haben sie aber schon viele Zaungäste.
Das Bild von der Anja ist wirklich toll gemacht. Ich hatte sie ja freigeschaltet, aber sie hat wohl nicht so rechte Lust oder es hat wieder nicht geklappt. Aber sie muss sich ja nur noch einloggen, alle Daten hatte ich ihr zugesandt. Sie malt wirklich großartig.
Und das Lesen hole ich noch nach!

Sirius


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RE: Opa Pscht hinter dem Spiegel

#5 von Karl Ludwig , 24.04.2016 21:13

Ich weiß auch nicht, warum Anja sich erst um die Mitgliedschaft bemüht, nur um dann keinen Gebrauch davon zu machen. Manchmal vermute ich, dass sie berühmt werden möchte und dieses Forum ihr keine kommerziell verwertbare Bekanntheit verspricht.

Die ausgehängte Version ist alt, die endgültige Fassung ging verloren.

In meinem Open Office hatte ich einmal auf Blocktext gestellt. Deswegen die vielen überflüssigen Trennzeichen/Bindestriche. Plöde Programmierer.

Aber als nächste Geschichte kommt dann die, welche davor passierte: Opa in Paradoxistan. Da stirbt Opa tatsächlich, - und lebt trotzig einfach weiter.


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