Galal Alahmadi
Vom Krieg
1
Die Kugel dringt ein
durch
den Ansatz der Seele
den Blick
ein Fenster, geschaffen zu diesem Zweck,
dringt ein
durch
das Buch eines anonymen Schriftstellers
dilettantisches Erzählen
Fantasielosigkeit.
Die Kugel dringt
in den Rücken
den Wirbel
da, wo sie halbseitig lähmt.
Die Kugel dringt ein
zwischen die Schenkel
wie Spermien
wie die Pfähle der Herrscher
wie die Zeit in sich selbst.
Die Kugel dringt ein
durch
das Vergangene
das Künftige, millionenfach benutzt
und beschmutzt von Predigern und Politikern
dringt ein
durch
überwachte Telefonleitungen
Abwasserrohre
marode Stromkabel.
Die Kugel dringt
in den Monitor
wie Pornos
ins Zimmer von Jugendlichen
wie Tristesse
ins Gemüt
wie ein Baum
in den Ofen.
Die Kugel dringt
ins Gedächtnis
den Ursprung des Gedankens
die Bereitschaft der Beute, sich zu opfern,
die Peitsche des ersten Folterers
die Geschichte der Sklaverei in korrigierter Ausgabe
in einen unbekannten Anfang
ein ungewisses Ende.
Die Kugel dringt ein
kostenlos
wie eine Kugel
und tritt nicht mehr aus.
2
Wenn der Krieg zu Ende ist,
kehrt der Scharfschütze heim zu seinen Kindern
und brät Fisch für seine Frau
er schläft und wacht auf
wieder und wieder
ganze Monate
sogar Jahre
wäscht sich das Gesicht
geht zur Arbeit
trifft Kameraden aus dem Krieg
sie rauchen
erzählen sich Witze
gehen ins Bett
kopulieren
sie schreiben gute Gedichte oder auch nicht.
Wenn der Krieg zu Ende ist,
kehrt er zurück
lebt viele Jahre
raucht
kopuliert
kopuliert
raucht
bis wir tot sind.
Aus dem Arabischen übersetzt von Leila Chamaa
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Liebe 45
Sie hatten kein Haus. Sie hatten kein Bett.
Sie liebten sich draußen vorm Tor.
Hinter ihnen die Stadt den Bombentod.
Rot überm Rauch kam der Mond hervor.
Inge Müller
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Soldaten kommen
Hörner und Pfeifen hab' ich vernommen, -
Mutter, nimm's Brot weg, Soldaten kommen!
Frieden und Ruh verscheucht ihre Näh',
Bringt unserm Städtchen nur Ach und Weh.
Schlugen die Feinde sie unaufhaltsam,
Sind sie auch gegen die Freunde gewaltsam,
Denken, alles rings auf der Welt
Wäre ihr eigen, wenn's ihnen gefällt.
Hörner und Pfeifen hab' ich vernommen, -
Mädel, nimm's Herz weg, Soldaten kommen!
Gehen so stolz in der Waffen schmuck,
Werben mit Kuß und mit Händedruck;
Wissen zu rühren und zu verführen,
Schmeicheln mit tausend Liebesschwüren.
Weh' dir, wenn du dem Schmeichler getraut,
Wirst du sein Schatz, aber nie seine Braut.
Hörner und Pfeifen hab' ich vernommen, -
Fort mit den Jungen, Soldaten kommen!
Schauen die Alten schon freudig darein,
Ach, unsre Jungen verlocket der Schein!
Seht, wie sie laufen und wie sie gaffen,
Mädel, dein Bräutigam, Mutter, dein Sohn,
Mit den Soldaten zieht er davon.
Alexis Aar
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Flucht
Weiter. Weiter. Drüben schreit ein Kind.
Laß es liegen, es ist halb zerrissen.
Häuser schwanken müde wie Kulissen
durch den Wind.
Irgendjemand legt mir seine Hand
in die meine, zieht mich fort und zittert.
Sein Gesicht ist wie Papier zerknittert,
unbekannt.
Ob du auch so um dein Leben bangst?
Alles andre ist schon fortgegeben.
Ach, ich habe nichts mehr, kaum ein Leben,
nur noch Angst.
Dagmar Nick
*
(Erstveröffentlichung
durch Erich Kästner,
1945)
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mein garten
plant sich
über mir der nächste krieg
pflanz ich
und gieß
mit meinem Schweiß
denn ich weiß
geerntet wird
nach verlornem sieg
scrabblix
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Du erntest, was die Natur dir geben wird, die anderen, was ihnen ihr Hass bringt. Leichen auf beiden Seiten und niemand will verloren haben, alle sind die Guten, aber alles, was gut ist, wächst nur in deinem Garten.
Tiefe, nachdenklich machende Zeilen, Lotte.
Sirius
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Abschied
(kurz vor der Abfahrt zum Kriegsschauplatz)
Vorm Sterben mache ich noch mein Gedicht.
Still, Kameraden, stört mich nicht.
Wir ziehn zum Krieg. Der Tod ist unser Kitt.
O, heulte mir doch die Geliebte nit.
Was liegt an mir. Ich gehe gerne ein.
Die Mutter weint. Man muß aus Eisen sein.
Die Sonne fällt zum Horizont hinab.
Bald wirft man mich ins milde Massengrab.
Am Himmel brennt das brave Abendrot.
Vielleicht bin ich in dreizehn Tagen tot.
Alfred Lichtenstein (1889-1914)
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Der müde Soldat
(Nach dem Chinesischen)
Ein kahles Mädchen. Heckenblaßentlaubt.
Sie steht am Weg. Ich gehe weit vorbei.
So stehen alle: Reih in Reih
Und Haupt an Haupt.
Was weiß ich noch von heiligen Gewässern
Und von des Dorfes Abendrot?
Ich bin gespickt mit tausend Messern
Und müde von dem vielen Tod.
Der Kinder Augen sind wie goldner Regen,
In ihren Händen glüht die Schale Wein.
Ich will mich unter Bäumen schlafen legen
Und kein Soldat mehr sein.
Klabund
(1890-1928)
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Dezember 1942
Wie Wintergewitter ein rollender Hall.
Zerschossen die Lehmwand von Bethlehems Stall.
Es liegt Maria erschlagen vorm Tor,
ihr blutig Haar an die Steine fror.
Drei Landser ziehen vermummt vorbei.
Nicht brennt ihr Ohr von des Kindes Schrei.
Im Beutel den letzten Sonnblumenkern,
sie suchen den Weg und sehn keinen Stern.
Aurum, thus, myrrham offerunt…
Um kahles Gehöft streicht Krähe und Hund. …
quia natus est nobis Dominus.
Auf fahlem Gerippe glänzt Öl und Ruß.
Vor Stalingrad verweht die Chaussee.
Sie führt in die Totenkammer aus Schnee.
Peter Huchel (1903 - 1981)
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Nach der Schlacht
In Maiensaaten liegen eng die Leichen,
Im grünen Rain, auf Blumen, ihren Betten.
Verlorne Waffen, Räder ohne Speichen,
Und umgestürzt die eisernen Lafetten.
Aus vielen Pfützen dampft des Blutes Rauch,
Die schwarz und rot den braunen Feldweg decken.
Und weißlich quillt der toten Pferde Bauch,
Die ihre Beine in die Frühe strecken.
Im kühlen Winde friert noch das Gewimmer
Von Sterbenden, da in des Osten Tore
Ein blasser Glanz erscheint, ein grüner Schimmer,
Das dünne Band der flüchtigen Aurore.
(Georg Heym, 1887-1912)
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Die Wortemacher des Krieges
Franz Werfel
Die große Zeit! Des Geistes Haus zerschossen
Mit spitzem Jammer in die Lüfte sticht.
Doch aus den Rinnen, Ritzen, Kellern, Gossen
Befreit und jauchzend das Geziefer bricht.
Das Einzige, wofür wir einig lebten,
Des Brudertums in uns das tiefe Fest,
Wenn wir vor Einem Himmel niederbebten,
Ist nun der Raub für eine Rattenpest.
Die Tröpfe lallen, und die Streber krächzen
Und nennen Mannheit ihren alten Kot.
Das nur die fetten Weiber ihnen lechzen,
Wölbt sich die Ordensbrust ins Morgenrot.
Die Dummheit hat sich der Gewalt geliehen,
Die Bestie darf hassen und sie singt.
Ach, der Geruch der Lüge ist gediehen,
Das er den Duft des Blutes überstinkt.
Das alte Lied! Die Unschuld muß verbluten,
In des die Frechheit einen Sinn erschwitzt.
Und eh nicht die Gericht-Posaunen tuten,
Ist nur Verzweiflung, was der Mensch besitzt.
Hans Werfel (1890-1945)
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Kriegslied
's ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
's ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Wenn Hunger, böse Seuch' und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf mir Kron' und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
(Matthias Claudius, 1740-1815)
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Hass und Krieg
Ein hasserfüllter Typ mit Schnurrbart
schrie in einem alten Streifen
und brüllte auf die Menge ein,
und keiner schien ihn zu begreifen.
War wie ein Rattenfänger
und spielte blinde Kuh,
und Junge gleich wie Alte
die jubelten ihm zu.
Und zogen aus um für Ideen
andre Völker zu besiegen.
Sind dort geblieben,
wo sie jetzt
mit ihren Feinden friedlich liegen.
Hatten jeder eine Mutter,
einen Vater, einen Sohn.
Einfach für die Katz zu sterben,
ich weiß nicht,
blöd find ichs schon.
Hass und Krieg
sind die allerdümmsten Brüder,
die es gibt.
Hass und Krieg
sind die allerdümmsten Brüder,
die es gibt.
Gelehrte sagen zwar,
Geschichte tät sich niemals
wiederholen.
Die Rattenfänger trampeln um die Welt
auf ihren lauten Sohlen.
Und dem andern für Ideen
in die Fresse eins zu hauen.
Sowas ist doch heute jedem,
dir und mir, nur zuzutrauen
Hass und Krieg
sind die allerdümmsten Brüder,
die es gibt.
Hass und Krieg
sind die allerdümmsten Brüder,
die es gibt.
Stephan Sulke
https://www.youtube.com/watch?v=ann46_5-3Bw
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Seltsamer (oder logischer) Weise sind Hass und Krieg nur bei einer bestimmten Sorte Mensch beliebt.
Danke für den Link, Lotte. Alt ist er geworden, aber immer noch voller Enthusiasmus.
Sirius
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Zum Weinen schön, Lotte. Danke dafür!
Leo
Schreiben macht schön.
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