Im Museum

Kühn setzt sich, im schwarzen Pelz,
Sechsbeinig und ausdrucksarm,
Eine Fliege aufs Gemälde,
Nicht auslösend den Alarm.

Sie hat sich, ob absichtsvoll,
Jedenfalls nicht nach der Nase,
Auf ein Stilleben gesetzt.
Tisch mit Obst, Konfekt und Vase.

Wie sie da so sitzt im Bild
Und das Stilleben belebt.
Auf dem runden Bauch der Birne
Ihre Hinterbeine hebt,

Hole ich, der Ordnung halber
Mit der Rechten etwas aus,
Bring das Tier in eine Ebene.
Jetzt sirent das ganze Haus.

Marco Tschirpke

Die Motte

Die Straßenlampe leuchtete. Das war ihr Job.
Die Motte flog dagegen. Ziemlich grob
fiel sie nach unten.
Da hab ich sie gefunden.
Zusammengekehrt.
Ihr erklärt
Wie dumm das war.
Ihr, die längst ein Engel war.

Gaby Melk • geb. 1957

Ciculus vitiosus

mit dem dingsda
erobert man
das dingsbummsda
und die eroberung
macht dem dingsda
im dingsbummsda
lust

und wenn was draus
wird hat das
sicher wieder
ein dingsda
oder
ein dingsbummsda

Norbert C. Kaser

PRO DOMO

Wenn ich wollte, was ich könnte,
Könnt ich eher, was ich wollte;
Doch wie will ich wollen können,
Und wie kann ich können wollen,
Da man wollen kann, wer muss!
Müsst ich wirklich, was ich müssen wollte,
Könnt ich sicher, was ich können muss.
Seht! Ein Mann, der manches können könnte,
Wenn der gute Mann nur wollen wollte.
Er verstummt und macht vorzeitig Schluss,
Weil (nach Nathan) kein Mensch müssen muss!

John Höxter

Der Tiefsinn

Auf einer Pappelspitze sitzt
ein Mann in Unterhosen,
streut Rosen
und seufzt die Sonne an.
"O, wie ist der Tiefsinn hoch!"
Also hört ich Etwas munkeln,
das da saß im dunkeln
Mauseloch.
Darum ist der Tiefsinn so unendlich
unverständlich.

Richard Dehmel

VERFLUCHT

Walfischgroße Schlammlawinen,
Hagelknödel, zentnerschwer;
unhandliche Schmatzmaschinen,
Pfützennudeln, Schmalz und Schmer!

Haufenweise fette Schwaden,
Tümpel voller Butzenschleim,
Krümel, Brösel, Glitsch und Maden,
Schlauben, Fusseln, Hänschenklein!

Solche Unflatapparate!
Krümel - war schon? - dann halt Dreck!
Modder, Schrott und Kochsalate -
Leute, lauft doch nicht gleich weg!

Bleibt doch hier! Es kommt noch schlimmer!
Reicht's Euch? Habt ihr schon genug?
Alle weg! So ist es immer.
Mist! Das ist des Dichters Fluch!


F.W. Bernstein

Ruf zur Ordnung

Ich kenn verwegne Frauen
mit Nieten an den Brauen.
Sogar die Zart- und Leisen
Bestücken sich mit Eisen.

In Brrüsten und in Nabeln
Entzücken kleine Gabeln.
Du öffnest eine Schnalle:
Was findest du? Metalle.

Im Westen und im Osten
die Venushügel rosten.
erst spielst du mit, doch dann
Entfährts dir: „Zieh dich an.“

Marco Tschirpke

Die Gewalt im Allgemeinen
muß der Bürger strikt verneinen
sonst kriegt er eins auf den Hut
bis er sie verneinen tut

Im Besondren hilft Gewalt
in so manchem Sachverhalt
Mit Gewalt fällt manches leicht
was man ohne schwer erreicht

Nur mit Schlägen kriegst Du ein’
Nagel in die Wand hinein
Nur mit Sanftmut kannst Du ihn
schwerlich wieder rauseziehn

Hört das Fänsän nimmer auf
nimm den Hammer und hau drauf


F. W. Bernstein

Der letzte Weg

"Ich gehe ins Wasser," sagte sie leis,
"Ade!
Du hast es gut mit mir gemeint.
So weiß ich einen, der um mich weint.
Hab Dank!"
Ich aber sah ihr tiefes Weh
Und küsste sie, die arm und krank,
Und sagte: "Geh!"

Joachim Ringelnatz

Fassade Malade

Zieh die Klebefolie ab
Von der Hemisphäre
West.

Lös die Schicht
Aus Leuchtreklame,
Dabei stellst du fest:

Grau-poröse Nachkriegsbauten
Ragen nackt verschämt
Wie Krater.

Durch die Häuserschluchten
Ziehen
Anlageberater.

Marco Tschipke

De Facto Daktylen

Da fragt mich ein Mädchen mit Klemmbrett die Tage,
ob ich mitmach bei einer Meinungsumfrage.
Ich fall ihr ins Wort, sag: „Ich hab keine Meinung.
Ich hab ein Weltbild und neig zur Verneinung.“
Noch ehe sie sich im Erwidern verlor,
Sprach ich: „Und nebenbei, du kommst nicht drin vor.“

Marco Tschirpke

Klare Fronten

Am Anfang war das Wort. Das Wort? Ich wüsste
da ziemlich gern genauer, was für eins.
Doch wenn ich einfach einmal raten müsste?
Ein Possessivpronomen? Sicher. Meins!

1986 Wolfgang Funke

Heringsselbstmord

Ein Hering schleicht durch Offenbach,
gebückt und furchtbar müde.
Gebeutelt von dem Großstadtkrach,
kotzt er in eine Tüte.

Der Wilhelmsplatz gefällt ihm nicht,
den Flohmarkt kann er gar nicht leiden,
denn aus normaler Heringssicht,
ist Offenbach bescheiden.

Schockiert ist er vom Frischfischladen,
da liegen zwischen hellem Brot,
eingelegt oder gebraten,
die Verwandten – alle tot.

Die Tränen sind ihm hochgeschossen,
und er traut seinen Augen kaum.
Nur mühsam hält er sich auf seinen Flossen,
und hängt sich auf am nächsten Baum.

Er zappelt dreimal mit dem Schwanz,
dann scheidet er aus seinem Leben.
Es war kein schöner Totentanz,
Ich glaub, ich muss mich übergeben.

Carl Maria von Heddernheim

Ein Krokodil

Ich träum, es kommt ein Krokodil
mit einem großen Maul.
Am Tage liegt's auf einem Stein,
am Tage ist es faul.

Und dann am Abend wird es wach
und macht sich auf die Socken.
Es kriecht zu unserm Haus aufs Dach,
Da seh ich es schon hocken.

Und wenn es erst ganz dunkel ist,
dann schleicht es sich heran.
Es will zu mir herein und frißt
mich dann.

Es hinkt durchs Haus, das hör ich doch,
es steigt die Treppe rauf.
Dann kommt's herein durchs Schlüsselloch
und reißt sein Maul schon auf.

Es hat ´ne Menge Zähne in
dem großen roten Rachen.
Und weil es auch noch Flügel hat,
glaub ich, es ist ein Drachen.

Was willst du hier, schrei ich ganz laut,
ich glaub, du willst mich fressen.
Nein, sagt das Krokodil und schaut,
ich hab nur was vergessen.


Hanna Muschg
Aus: Wenn die weißen Riesenhasen abends übern Rasen rasen

Passwort

Passwort ist der letzte Schrei
ohne ist es gleich vorbei
ob im Computer, bei der Bank
hast du ein Passwort, Gott sei Dank.

Doch wehe hast du es vergessen
dann bist du aber aufgesessen
kommst auch nicht in die Mailbox rein
das richtge Passwort muss schon sein.

Vor dem Computer hört man fluchen
ich muss erst mal mein Passwort suchen
es muss doch irgendwo hier sein
bin ohne Passwort ganz allein.

Steh einst ich vor der Himmelstür
ich kann ja schliesslich nichts dafür
sagt Petrus ich lass dich nur rein
fällt dir das richtge Passwort ein.

(Heinz Bornemann)