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RE: Die Lust am Fabulieren

#1 von Karl Ludwig , 22.03.2017 09:34

Oder: Die Offenbarungen des K.-L-S. Teil I


Die Schabe in meiner Küche ist, - natürlich -, ständig bekifft und weiß nicht mehr, wie groß sie ist mit Hut, wobei Schaben selbstverständlich keine Hüte tragen, - das meine ich diesmal bloß im übertragenen Sinn, weil ich das Wort 'metaphorisch' nicht mehr sehen kann.

Jedenfalls stellt sie Gebietsansprüche: Sie hat den Stauraum unter der Spüle besetzt! Als ich mich bücke, um zu gucken, warum der Abfluss schon wieder verstopft sein könnte, greift sie in einem größenwahnsinnigen Akt der Vorwärtsverteidigung und Augenhöhe an.

Nahkampf! Mit einer Küchenschabe! Das glaubt mir doch kein Leser. Ist aber völlig wahr, wenn man den Begriff Wahrheit etwas elastisch nimmt. Sozusagen graduell. Damit habe ich z.B. keine Probleme. Du etwa? Dann höre bitte sofort auf zu lesen, denn auch als tendenzielle, narrative Möglichkeit, ist die deskriptive Wahrheit äußerst deprimierend.

Ich komme mit einem sauberen Haken (Uppercut) durch und verletze meine Knöchel an dem regelwidrigen Chitinpanzer. Das Mistvieh landet einen Kopfstoß. Erschrocken verzichte ich auf einen Nahkampfclinch, diese hemimetabole Blattodea hat einfach zu viele Arme und Beine, taumle rückwärts auf Totaldistanz und kann es gar nicht fassen.

Die Unterschranktüren knallen zu. Höhnisch, wie es mir vorkommt.

Nach der Notversorgung mit Kopfschmerztablette krame ich eine uralte Dose Insektenspray hervor. Eine chemische Waffe aus der Zeit, wo man sich über Treibhaus und FCKW Einfluss auf Ozon, wie immer der auch geartet sein mag, ich glaube ganz übel, keinen Kopp machte. (Ich stamme übrigens aus dieser Zeit)

Ha! Genfer Protokoll, Chemiewaffenkonferenz, Verbot von Massenvernichtungsmittel (außer man ist einer von den 'Guten', - wir dürfen das) zum Trotze.

Ich habe ja auch nicht unterschrieben. Und darüber hinaus kann man mit einem brennenden Streichholz, welches man in den Sprühstrahl hält, einen kleinen Flammenwerfer herstellen. In der Werkstatt leihe ich mir eine dunkle Schutzbrille und Lederhandschuhe. Martialisch gewandet wie ein zorniger Kriegsgott reiße ich die Türen auf und ab, schmeiße sie zur Seite und zücke das Einwegfeuerzeug.

Hinter mir räuspert sich jemand. Nicht dezent, sondern vorwurfsvoll und leicht aggressiv. Ungefähr so, wie ein Schulleiter hüsteln würde, der den Schüler beim Beschmieren des Gebäudes mit direktorfeindlichen Sprüchen erwischt.

Ich wirbele um die Achse, die senkrechte, meine ich. Und da steht sie. Evoluthia. Das erkenne ich sofort an dem Namensschild auf der Krankenschwesterkluft. Noch bevor ich meinem Erstaunen Ausdruck verleihen kann, - traditioneller Weise sagt man in so einer Situation wenigstens 'Huch', spricht sie mir ernster Stimme.

„Das ist keine Krankenschwestertracht, sondern ein Laborkittel. Ich leite die Abteilung Biomix. Du hast doch nicht etwa vor, diese Schabe zu töten?“

„In gewisser Weise trage ich mich mit so einem Gedanken. Was mischt du dich da ein, vorausgesetzt, es gibt dich auch wirklich und bist kein Anzeichen von gesacktem THC-Spiegel.“

„Lass uns setzen. Ich muss dir etwas klar machen.“

Misstrauisch blicke ich meine Pfeife an. Dann erinnere ich mich an die teure Erziehung, für die meine Mutter Geld zum Fenster rauswarf, und frage: „Stört es Dich, wenn ich rauche?“ „Ja, aber das wird dich kaum beeindrucken. Pass auf: Du kennst doch die Probleme der Zeitreise?“ „Nö. Ich weiß nur, dass man davon besser die Finger lässt. Paradoxa, Dilatation, eigenen Vorfahren töten ...“

„Genau! Wenn du in der Vergangenheit auch nur die kleinste Veränderung vornimmst, sind, Achtung Chaostheorie, die Folgen unabsehbar, jedenfalls für gewöhnliche Sterbliche. Könntest du den Qualm mehr woanders hin pusten?“

„Ja und? Ich will jetzt und heute eine Küchenschabe in ihre Schranken verweisen.“

„Ich sagte: Für gewöhnliche Sterbliche. Und ich muss dir leider mitteilen, dass du denen zuzurechnen bist. Bei mir sieht die Angelegenheit anders aus. Ich bin Evoluthia, die Göttin der Weiterentwicklung. Ich kann sowohl erkennen, was die Zukunft bringen wird, falls du diese Schabe tötest, als auch, falls nicht.“

„Ich glaube, das verstehe ich nicht. Erkläre mal genauer.“

„Diese Schabe ist der Urahn eines künftigen Geschlechts, welches herrschen wird über diese Erde, nachdem der Mensch ausgemendelt wurde, bzw. sich selber ausrottete.“

„Noch ein Grund mehr, Schabenzid zu verwenden.“

„Ja, aber ich erkenne auch, dass du später dem Leben eine zweite Chance geben, und als Rhinozeros Schabe wiederkehren wirst. Vorausgesetzt du bringst nicht deinen eigenen Vorfahren um.“

Seitdem füttere ich meine Küchenschabe mit Kaviar und Nachtigallenzungen. Der Tierarzt kommt täglich und macht Fitnessübungen mit ihr. Die Schabengeburtsstation ist bald fertig.

Und ich hoffe, nun mit mehr Respekt behandelt zu werden, als der Mann, welcher die Zukunft maßgeblich gestaltete.

P.S. Habe an einigen Stellen etwas runder gefeilt (Wortwiederholungen und so), deswegen die Änderung.


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RE: Die Lust am Fabulieren

#2 von Richard , 22.03.2017 10:10

Wunderbar, Karlchen! Hätte ich die Möglichkeiten, ich würde Dich verlegen. Das gehört gedruckt, für jeden zugänglich!

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RE: Die Lust am Fabulieren

#3 von Karl Ludwig , 22.03.2017 10:52

Danke. Ich mag mich auch. Manchmal. Wenn ich gelobt werde z.B. Gerade.


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RE: Die Lust am Fabulieren

#4 von kama tanha , 22.03.2017 18:21



Oh ich bin so froh dass du sie nicht getötet hast!
Ich mein, dein Karma betrifft mich persönlich ja doch auch nur sehr peripher- aber trotzdem: Ich freu mich!
Grüß mir die kleine Hübsche.


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RE: Die Lust am Fabulieren

#5 von Sirius , 22.03.2017 20:37

Ich würde dich auch verlegen, aber wahrscheinlich nicht wiederfinden.
Die Schaben und Karl-Ludwig als Schabengott werden überleben, das tröstet ja.
Eine wunderbar amüsante Geschichte, Karl-Ludwig, ganz großartig!

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RE: Die Lust am Fabulieren

#6 von Eris_Ado , 22.03.2017 22:16

Das wäre möglicherweise etwas für dich:
http://www.dsfo.de/fo/viewtopic.php?p=1123378
Wie zukunftsträchtig dieses Modell ist, ist zweifelhaft.

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RE: Die Lust am Fabulieren

#7 von Karl Ludwig , 23.03.2017 06:53

Danke Eris_Ado (und alle anderen, klar), aber ich gehöre tatsächlich jener Gattung Spinner an, welche in der musischen Begabung, die sie geschenkt bekamen, etwas sehen, was man nicht kommerzialisieren darf, soll, will. Ein völlig blauäugiger Standpunkt, ich weiß. Deshalb behalte ich diesen auch lieber bei und sonne mich in dem erhabenen Gefühl, nicht korrumpierbar zu sein, also ein edelster Mensch. Nicht dem Gott 'Erfolg' huldigend und so. Bescheiden, selbstgenügsam etcpp ...

Was BESSERES!

Meine Texte sind Freeware. Ihr Zweck für mich hat sich nach Hinschrift erledigt. Klar, es freut mich, wenn jemand sie für lesenswert erachtet, bin mir aber fast sicher, dass ich kein einziges Wort mehr schreiben könnte, wenn man mir Geld dafür böte.


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RE: Die Lust am Fabulieren

#8 von Karl Ludwig , 03.05.2017 11:09

Nachtrag zur Küchenschabe

Konkret entsprang diese ja nur meiner Fantasie, was sie unglaublich glaubwürdig machte. Statt dessen öffne ich den Kühlschrank und finde Hunderte tote Ameisen in einer angebrochenen Dose Pfirsiche.

Macht nix! Ich wasche das Obst sauber und verzehre es. Vermutlich kamen die Tierchen über die Treppe, nein, doch nicht; ich erkenne da keine Ameisenstraße im Staub, also müssen sie ganz klar durch irgendwelche Öffnungen im Altbau gekrabbelt sein. Oder doch eher eine Königin, die hier nach dem letzten Hochzeitsflug Asyl fand? Jedenfalls ist der Kühlschrank nicht ganz dicht, - eigentlich doch ein ganz netter Zug.

Ich müsste die Ameisen in der Küche ja ausrotten. Aber sie sind so klein und verwirrt. Sie lassen eingeweichte Sultaninen links liegen, robben aber mehrere Meter bis zum Mülleimer um dort in einer alten Dose Mandarinen Seppuko zu begehen. Sie ignorieren die offene Zuckerschachtel, versammeln sich aber erwartungsvoll um ein noch verschlossenes Glas Kirschen. Ganz klar. Das sind Wildameisen, die auf Fruchtzucker stehen, denn anderen Zucker gibt es in der Natur wohl eher selten. Der Preis der Spezialisierung. Fleisch mögen sie auch nicht.

Sie können auf einen Stammbaum von über 150 Mio Jahren zurückblicken. Und? Hilft es ihnen, sich in meiner Küche zurecht zu finden? Ich schlage bei Wiki nach, Hm. Nektarien und Honigtau soll den meisten Ameisenarten gut bekommen. Aber wie melkt man eine Saftdrüse bei gewissen Pflanzen oder zapft gar Läuse an. Und wo überhaupt steckt die Königin. Ich könnte ihr einen Vorschlag machen, den sie nicht ablehnen würde. Don Karlos Luigi liest sich durch alle Artikel, die sich mit Kerbtieren, insbesonders Ameisen beschäftigen, und erfährt Faszinierendes: Die größte Ameisenkolonie ist fast 6.000 Kilometer lang. Die Biomasse aller Ameisen auf der Erde übersteigt die aller nicht-humanen Wirbeltiere bei weitem.

Ich als humanes Wirbeltier will gar nicht erst versuchen da mitzuhalten. Ich kann meinen Stammbaum auch bloß bis ins 17'te Jahrhundert zurückverfolgen, der Rest der Menschheit ist nur geringfügig älter, höchsten eine Mio. Jahre.

Inzwischen habe ich mich an die Tiere gewöhnt. Ich kann mir ja kein kostenintensives Haustier leisten und meine Bekannte meint, ich solle ruhig erst mal klein anfangen und üben, bevor ich es wieder bei ihr versuche.


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RE: Die Lust am Fabulieren

#9 von kama tanha , 03.05.2017 17:36

Haha, das ist gut!! Da lacht es sich sogar in thailands kloster. Nach zwei wochen rede ich nun wieder. Gelacht hab ich auch zwischendurch. Nicht so, als ich einen Geko im kühlschrank fand!! Und der war so bleich vor kälte dass ich in meinem schweigen schreien musste. Wirklich, das stimmt alles.


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RE: Die Lust am Fabulieren

#10 von Sirius , 03.05.2017 22:04

Ich kann meinen Stammbaum immerhin bis zu meiner Mutter zurückverfolgen.
Und ein Wiki für Ameisen wäre auch nicht schlecht. Die Königin wird ja wohl lesen können, sie konnten ja auch „Pfirsiche aus Bulgarien“ lesen.
Ich verkehre nicht in diesen hohen Kreisen und wenn es so weiter geht, ist meine Liebste auch bald nur noch meine Bekannte. Dann muss ich Silberfische züchten, Ameisen kann ich mir nicht leisten, den Fruchtzucker brauche ich selber.
Oder ich kaufe kama einen indischen Gecko ab. Mit Stammbaum ins 17. Jahrhundert.
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RE: Die Lust am Fabulieren

#11 von scrabblix , 03.05.2017 22:09

Dass dir die Lust am Fabulieren lange erhalten bleibt, Karlchen und sich Ameisen und Schaben weiterhin in deiner statt in meiner Küche tummeln,

wünscht
Lotte


Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.

 
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