Trost der Nacht

Weiche Hände hat die Nacht
und sie reicht sie mir ins Bette;
fürchtend, dass ich Tränen hätte,
streicht sie meine Augen sacht.

Dann verlässt sie das Gemach,
rauschen hör ich, sanft und seiden,
und den Dornenweg der Leiden
zieht sie mit der Schleppe nach.

Ludwig Jacobowski

Angst und Zweifel

Zweifle nicht
an dem
der dir sagt
er hat Angst

aber hab Angst
vor dem
der dir sagt
er kennt keinen Zweifel

Erich Fried

An meine Laute

Im leisen und im lauten Spiel
Ertöne süß mein Lautenspiel,
Und muss ich um was Liebes leiden,
Verkläre du mein Liebesleiden

Und lass dein holdes Saitenklingen
Wie Gold nach allen Seiten klingen,
Dass niemand ahnt beim Liederklang,
Wie nur aus Schmerz mein Lied erklang.

Heinrich Seidel

Spuren im Sand

Ging da ein Weißer,
ein Schwarzer,
ein Roter?
Der Sand sagt:
Ein Mensch.

Hans Baumann

Es fürchtet sich der Witz vor der Pointe:
Was mach ich bloß, wenn wieder keiner lacht?
Wird auch bald kein Arsch mehr an mich denken,
und ich war nur ein Witz für eine Nacht.

Die Sterne

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Gib Obacht

Gib Obacht, wenn von Norden her
Novemberwinde prusten,
sonst liegst du unter Decken schwer
und fieberst und musst husten.

James Krüss

Ach, ich glaub, ich liebe dich,
bist du auch sehr fern von mich.
Dass man sich liebt, nur das ist wichtig,
ist die Grammatik auch nicht richtig.

Ingo Insterburg

Ferner Dichter

Fern der Heimat
hier wie dort
ganz bei sich
allein im Wort.

Andreas Greve

Der Baum, der reden konnte

Dass er ein Baum war,
spürte er nicht.
Sie sägten ihn entzwei,
der Bagger konnte wenden.
Aus seinen Stümpfen zwingt er Blatt um Blatt,
stammelnd,
auf Fragen gibt er Antwort.

Christa Reinig

Vierzeiler

Im Burgenland, im Burgenland
sind viele Laster unbekannt.
Nur Wollust, Völlerei und Neid
die kennt man dort seit einger Zeit.

F.W. Bernstein

Zäh

Mühsames Klauben von Worten
Welt-Schmerz gerinnt zum Klischee,
trauriger – sogar beim Reimen:
zähestes Seelen-Gelee.

Andreas Greve

Das Ei

Es fiel einmal ein Kuckucksei
Vom Baum herab und ging entzwei.

Im Ei da war ein Krokodil,
Am ersten Tag wars im April.

Joachim Ringelnatz

Wiegenlied

Heute
liegt dein Herz wie ein Stein
auf meinem Atem.
Ich möchte
deine Traurigkeit weinen
in dieser Nacht,
mein Liebling.

Irmgard Jobst

Großstadt

Wenn der letzte Baum
und der letzte Halm
in deinen gierigen Händen sind,
bleiben uns nur noch die Wolken
im Wind.

Hilde Peyr-Hörwarth

Ferner Dichter

Fern der Heimat
hier wie dort
ganz bei sich
allein im Wort.

Andreas Greve