Zum Geheimnis erklärt

Zum Geheimnis erklärt
Und verborgen mit gigantischenm Fleiß:
Der allgemeinen, wachsenden, unaufhaltbaren
Ganz einzigartigen
Haarausfall.

Günter Kunert

Inmitten aller Vergänglichkeit

Einmal wichtig gewesen zu sein,
für jemanden, der einem selber
so wichtig war, dass man glaubte,
alles vorher sei unwichtig gewesen,
und nichts könnte nachher wichtiger werden
als dieses eine Mal –
es bleibt und wird zu erfülltem Leben.

Auch wenn man es längst vergessen wähnt.

Christine Busta

Kein Diebstahl

Ein Herz, geraubt in Liebesglut,
ist laut Gesetz kein Diebesgut.
Es gilt, mit ihm im Glück zu leben.
Man braucht es nicht zurückzugeben.

Günter Nehm

Gebirgsrand

Denn was täte ich,
wenn die Jäger nicht wären, meine Träume,
die am Morgen
auf der Rückseite der Gebirge
niedersteigen, im Schatten.

Ilse Aichinger

Sprachlicher Rückstand

Immer noch
sagen wir dem
was am Morgen geschieht

die Sonne geht auf

obwohl seit Kopernikus klar ist
die Sonne bleibt stehn
und
die Welt geht unter

Franz Hohler

Vorgang

ins eigene Fleisch
sich schreiben
die Wunde
mit Worten heilen

Tina Stroheker

Gartenarbeit

Dem Birnbaum Mut zureden.
Gras wachsen lassen, wo es wächst.

Thomas Rosenlöcher

Leberreim

Die Leber ist vom Hecht und nicht von einem Rochen:
Das Glück gibt manchem Fleisch, dem andern leere Knochen.
Doch werden beide satt, und was noch ärger ist,
ist, der es nicht verdient, dass der das beste frisst.

Georg Greflinger

April

So hinkt der März vorüber
an verblichenen Girlanden,
an vertrauten Ruinen,
die schon die Väter
nicht verstanden.

(weegee)

Großartig, weegee! Und jetzt ist der April am Hinken..

Sirius

Drei Wörter

Gehen, Fliehen, Nirgendsbleiben
sind drei Wörter, leicht zu schreiben.
Aber wen es trifft,
trägt schwer an solcher Schrift.

Rudolf Otto Wiemer

Ich möcht ein Leuchtturm sein
In Nacht und Wind,
Für Dorsch und Stint,
Für jedes Boot.
Und bin doch selbst
Nur ein Schiff in Not.

(W. Borchert)

Schluszstück

Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachendes Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.

Rainer Maria Rilke

Abschied

Da war ein letzter Kuss am Kai –
vorbei.

Stromabwärts und dem Meere zu
fährst du.

Ein rotes und ein grünes Licht
entfernen sich...

Wolfgang Borchert

Ich trage dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.
Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt
das Herz sich nicht draus tot.
Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre
Blut im Munde.

Gottfried Benn