ALLE, AUSSER MIR:
Die Realität in der Kaffeetasse
Der neue Roman „Alle, außer mir“ von Francesca Melandri fragt nach Identität und Verdrängung, nach Familie und Kolonialismus. Ein grandioses Drama, das gänzlich auf Bewältigung verzichtet.
Blut ist ja ein ganz besonderer Saft. Dicker als Wasser, selbst wenn manch einer gelegentlich beides schwitzt. So Attilio Profeti, als seine sechzehnjährige Tochter Ilaria ihn fragt, ob er eine Geliebte habe. Die Antwort: „Eigentlich seid ihr zu viert.“ Neben den beiden Brüdern Emilio und Federico gebe es da noch den kleinen Attilio, und ob sie nicht der Mutter alles sagen könne. In Italien wird gerade das Scheidungsgesetz eingeführt, danach funktioniert die Patchworkfamilie bestens, die erste Runde endet mit einem Happy End.
Rund fünfundzwanzig Jahre später sitzt dann ein junger Äthiopier vor Ilarias Tür und behauptet, eigentlich seien sie zu fünft gewesen, nur sei Profetis ältester Sohn, eben sein Vater, bereits gestorben. Ilarias erster Gedanke: mal eine neue Masche. Der zweite: O nein, nicht „das Ganze noch einmal“.
Der Originaltitel des 2017 erschienenen Romans lautet „Sangue giusto“. Zum „gerechten Blut“ wird das der italienischen Gefallenen aus dem Ersten Weltkrieg stilisiert, als „richtiges“ jenes bezeichnet, das über die Staatsbürgerschaft entscheidet; „ungerechtes“ fließt nach dem Wüten des Derg, der äthiopischen Militärdiktatur, in den siebziger Jahren durch die Straßen von Addis Abeba. Nicht nur in unserer Sprache ist all das kaum in zwei Wörtern zu vermitteln: Der niederländische Titel lautet „De lange weg naar Rome“, der deutsche greift auf Profetis Mantra zurück: Alle müssen sterben? – „Alle, außer mir.“
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http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bu...r-15689854.html
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