Alle wollen Reiche besteuern – außer Christian Lindner
Sogar die sogenannten Wirtschaftsweisen – Gralshüter des Neoliberalismus – empfehlen der Bundesregierung höhere Steuern für Reiche. Doch der Finanzminister mauert.
Wenn die üblichen Verdächtigen wie Gewerkschaften oder Sozialverbände höhere Steuern für Reiche fordern, hält sich der Nachrichtenwert üblicherweise in Grenzen. Doch diese Woche sprach sich eine Institution für eine höhere Steuerlast für Spitzenverdiener aus, von der man dies üblicherweise nicht erwartet: Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage der Bundesregierung, die sogenannten »Wirtschaftsweisen«, empfehlen in ihrem neuen Jahresgutachten die temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder die Einführung eines Energiesolidaritätszuschlags.
Bei SPD und Grünen wäre die Bereitschaft dazu sicher vorhanden – doch die FDP bleibt stur. Finanzminister Lindner pocht auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die Steuererhöhungen ausschließt. Doch einige Sozialdemokraten und Grüne wollen deutlich weiter gehen. Erst kürzlich forderten grüne Spitzenpolitiker eine Vermögensabgabe. SPD-Chefin Saskia Esken befürwortet eine solche Abgabe ebenfalls, und der Debattenkonvent der SPD – eigentlich schon fast ein kleiner Parteitag – zog mit. Kanzler Scholz und Vizekanzler Habeck halten sich bedeckt. Einzig Finanzminister Lindner bleibt seiner Rolle als Bodyguard der Reichen treu: Schutz für Vermögende und Spitzenverdiener hat für ihn oberste Priorität.
Der Sachverständigenrat widerspricht dem Dogma des Finanzministers in einem weiteren Punkt: Er fordert den Aufschub von Lindners Lieblingsprojekt – dem Inflationsausgleichsgesetz. Nominell betrachtet entlastet es Gutverdienerinnen am stärksten – allerdings nur um ein paar hundert Euro, was die Betroffenen kaum spüren dürften. Wichtiger ist, dass das Vorhaben die Einkommensteuer betrifft. Sie hat zumindest den potenziellen Vorteil, dass Entlastungen hier so fein justiert werden könnten, dass die absolute Steuerbelastung ab einer bestimmten Grenze wieder zunimmt, ja sogar eine Steuererhöhung eintritt. So könnten sich große Spielräume für die Minderbelastung von Geringverdienerinnen auftun – wenn die Ausgestaltung stimmt.
Lindners neuster Vorschlag zum Inflationsausgleich soll im Haushaltsjahr 2023 rund 15 Milliarden und 2024 rund 25 Milliarden Euro kosten, doch davon entfällt der Großteil auf Gutverdiener und nicht auf die Kassiererin in Teilzeit. Zum Vergleich: Die Energiepreispauschale von 300 Euro kostete weniger als 8 Milliarden, half aber vor allem Haushalten mit kleinen und mittleren Einkommen. Wenn die unsinnige Schuldenbremse beibehalten werden soll, sind solche Maßnahmen offensichtlich sinnvoller als ein Inflationsausgleich.
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