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RE: Das gegniggelte Ende einer wunderbaren Männerfreundschaft

#1 von Karl Ludwig , 22.08.2018 14:13

Mein bester, weil einziger, nun aber einstiger Freund und ich stammen aus gutem Hause und sind deswegen entsprechend zivilisiert. Wir können locker Schopenhauer und Kant zitieren, kennen den Unterschied zwischen Serviette und Mundtuch, wissen ein Fischmesser zu bedienen, lassen andere ausreden, können Krawatten auf mehrere Arten knüpfen, und ich habe sogar noch goldene Manschettenknöpfe von damals. Wir haben gelernt, dass immer derjenige im Unrecht ist, welcher zu brüllen anfängt, und sind beide der Meinung, dass Picasso weit überschätzt wird, aber Karajan ein Genie gewesen sein muss. Außerdem nähern wir uns, ganz gegen die innerste Überzeugung, dem siebten Jahrzehnt. Unterm Strich also nur zwei alte Männer, die ihre Felle davon schwimmen sehen und es nicht wahrhaben wollen.

Wir sind höflich, zurückhaltend und selbstverständlich räumen wir jeder Dame sofort einen Sitzplatz frei, nicht unbedingt den eigenen, schließlich sind wir ja auch ziemlich alt und müssen selber sitzen. Aber wir würden uns so lange ungedämpft über die freche und unkultivierte Jugend von heute auslassen, bist die jungen Leute davon laufen müssten, denn die Jugend ist unbelehrbar, respektlos und laut, und all das, was Sokrates schon seinerzeit am Nachwuchs bemängelte.

'Vornehm geht die Welt zu Grunde' ist unser Lebensmotto. Stil zeigen, nicht in der Nase bohren, an die Vernunft glauben, auf's Cholesterin achten oder auch nicht, je nach Konfession, herzlich aber falsch lachen, halt all das tun und lassen, was uns so wohltuend von den Barbaren unterscheidet …

Also gingen wir an meinem Geburtstag gemeinsam Essen, bzw. Dinieren. Unsere Frauen hatten wir beim Gymnastikkurs abgeliefert und nun saßen zwei ältere, gut gekleidete Gentlemänner in einem Edelrestaurant mit 'fast' Krawattenzwang, und ließen sich bedienen: Wein, noch mehr Wein, keine Makrelen, etwas Salat ohne Negerküsse, Kaviar mit Toastbrot, Butter und Zitrone, Champagner, Roastbeef mit Steinpilzen an Spiegel aus Lachscreme und Zwiebelamaretto, flambiert …

… und zum Abschluss zwei, drei … mehrere Kognaks. Die Welt war ein angenehmer, friedlicher, liebenswerter Ort und unser Tischgespräch von hohem intellektuellen Niveau. Die, sich bei solchen Gelegenheiten anbietende halbherzige Suche nach einer Weltenformel, welche sowohl diese stringente Anarchie im subatomaren Bereich mit den Phänomenen der Meta-Kosmologie verknüpft, als auch mit mehr Dimensionen, denn sinnvoll, erwies sich zwar als erfolglos, doch wir fühlten uns angenehm wohl bei dabei, mit Begriffen zu hantieren, wie z.B.: Intergalaktisches Multiversum, Doppelspaltexperiment, Zeitdilatation …

… und zu überlegen, ob man in diesem Falle nicht besser von 'mundtieren' statt hantieren sprechen sollte.

Gerührt erinnerten wir uns bei Pralinen, Kaffee und Kuchen an gemeinsame Erlebnisse, an all die Abenteuer, Siege, Länder und Frauen. Als wir aber mit Tränen in den Augen anfingen Schillers Ode an die Freude: 'Wer das große Glück gefunden, eines Freundes Freund zu sein …' zu singen, rief der Geschäftsführer ein Taxi und der Kellner legte die Rechnung nicht bloß auf den Tisch, sondern servierte sie gekonnt wie einen zweiten Nachtisch auf dem Silberteller.

„Lass mal gut sein.“, meinte ich behaglich lächelnd, als mein, damaliger bester Freund Anstalten traf, danach zu greifen. „Du bist natürlich eingeladen, ich kenne schließlich meinen Knigge.“

Statt eines Kommentars will dieser Kulturflüchtling verschmitzt grinsend den Teller über den Tisch an sich ziehen, doch ich bin schneller. Der Silberteller verharrt in der Tischmitte und wird leicht oval gezogen.

„Auf gar keinen Fall. Meine Mutter hat viel Aufwand in meine Erziehung gesteckt. In unserem Knigge von 1893 steht es so: Du hast Geburtstag. Und also zahle ich!“

„Nicht doch der Herr. Mein Knigge ist von 1920 und da steht es genau anders rum drin. Ich könnte mir nie verzeihen, meinen besten Freund an meinem Geburtstag die Restaurantrechnung bezahlen zu lassen. Jetzt lass schon los. Das ist der letzte Wunsch eines rapide gealterten Mannes, zumindest für heute.“

Zwei gute Erziehungen treffen sich auf einer schmalen Wortbrücke und hoffen, dass die andere zuerst Platz macht. Wir starren uns über die Folgen von davon hinweg lächelnd in die Augen. Dieser, mein geliebter Bruder im Herzen, lässt doch tatsächlich immer noch nicht los? Beugt sich keineswegs der Macht von Vernunft, Bildung und Stil? Der soll (verhohlen gedachtes: Verdammt noch mal) endlich loslassen! Leichte Tritte gegen sein Schienbein verleihen dieser Bitte nach anständigem Benimm diskreten Nachdruck.

Als Reaktion zerrt er nun nur noch heftiger. Dann lässt er plötzlich los und schnappt sich blitzschnell und triumphierend die Rechnung vom Teller, während ich mit diesem in den Händen und dem Stuhl umkippe.

Der Taxifahrer, der Geschäftsführer, zwei Kellner und diverse Gäste bilden einen richtigen Pulk, versammeln sich um unseren Tisch und einige von ihnen sind sich tatsächlich nicht zu schade, auf den Sieg meines besten Bekannten Wetten abzuschließen. Das könnte denen so passen. Ich springe auf, hechte über, eher durch den Tisch, der dabei leider zu Bruch geht, und lande einen gekonnten Kinnhaken. Dann nehme ich dem leicht glasig Blickenden die Rechnung aus den schlaffen Fingern, wende mich dem Kellner zu, greife nach meiner Brieftasche und werde von hinten mit einigen hemmungslosund gekonnten Karatehieben kurzfristig außer Gefecht gesetzt. Mein inzwischen hier bekannter Bekannter trifft Anstalten die Rechnung zu begleichen! Das kann, darf und werde ich nicht zulassen! Meine Mutter würde mich verleugnen. Benommen schüttel ich den Kopf, zücke nun endgültig eine, in aller, über Jahre hinweg gewachsener Freundschaft, semiautomatische Zwille mit Metallkrampen und gebe einen Warnschuss ab, in putativer Notwehr, schätze ich mal.

Alles erstarrt! Niemand rührt sich! Wer die Waffe hat, hat das Recht! Ich lade vernehmlich klickend drohend durch. In übertriebener Gemächlichkeit stehe ich nun auf, und puste dabei die Hochleistungs-Fletsche so an, wie Steve Mc. Queen seinen Revolverlauf nach dem Schuss. Dann leere ich meine Brieftasche und lasse die Scheine auf den Trümmerhaufen fallen.

Seit diesem Vorfall kennen mein bester Freund und ich uns nicht mehr.


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RE: Das gegniggelte Ende einer wunderbaren Männerfreundschaft

#2 von Jonny , 22.08.2018 19:43

Deine Geschichte habe ich jetzt in einem Zug durchgeschmökert, Karle.
Leider ist die Pointe etwas dramatisch, aber durch aus gelungen - wie dein ganzer Text.
Ich habe irgendwie darauf gehofft, dass ihr beide es schafft die Zeche zu prellen und mit der Frau des Wirtes
durchbrennt. Und gemeinsam weiter um die Häuse zieht.
Aber deine Zwille hat mein Wunschdenken ausgelöscht.
Alles in allen - ich habe wieder sehr gern an deiner Geschichte teilgenommen, Karle!

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RE: Das gegniggelte Ende einer wunderbaren Männerfreundschaft

#3 von Sirius , 22.08.2018 20:28

Das ist schon sehr grotesk, aber nicht weniger amüsant.
Ich dachte immer, dass man diese Dinge vorher klärt durch die Erwähnung „Ich lade dich zum Essen ein“, aber in besseren Kreisen reisst man sich natürlich darum, die Rechnung begleichen zu können.
Die Damen waren sicher ganz begeistert, dass die hohen Herren sie zum Gymnastikkurs gefahren haben. Alte Schule halt.

Ich hatte wieder eine Filmszene von Loriot vor Augen, das wäre in der Tat ein toller Scetch gewesen – und dann noch mit Action-Elementen.

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RE: Das gegniggelte Ende einer wunderbaren Männerfreundschaft

#4 von Karl Ludwig , 23.08.2018 06:59

Danke. Und natürlich reden wir in unseren Kreisen nicht über Geld. Aber ich sollte mich bei meinem ehemaligen besten Freund entschuldigen. Er ist zwei Wochen älter und somit hatte er Recht! Man widersspricht nämlich nicht den Älteren.

Übrigens ist die Geschichte nur ausgedacht, wie Ihr vermutlich vermutet. In Wirklichkeit redet man in meinen Kreisen deswegen nicht über Geld, weil Pleite. Und ich würde NIEMALS auf eigene Kosten so viel Geld für Essen ausgeben, sondern mir davon alle Zutaten für 20 % einkaufen und 80 % in Schnorchelkraut investieren. Dann würde ich mit hochgelegten Füssen, ungestört von Kellnern, Gästen, Benimmregeln, Anzug, geputzten Fingernägeln und so, mit mehr Genuss spachteln als unter Beobachtung möglich. Ohne Rauchverbot, welches ich weidlich auszunutzen wissen werde.

Doch wenn das Leben perfekt wäre, würden ja die Götter neidisch.


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