falsche fuffziger
hinein in die enge
nach
kriegsgeflüster in den wänden
psst
das Kind
gelernt in der enge
nach
kriegsgeflüster in den händen
psst
da sind
hinaus in die enge
nach
kriegsgeflüster in den lenden
psst
ein kind
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Großartig, Lotte. Ich bin deutlich zu jung, um die 50er Jahre miterlebt zu haben, aber diese Enge, weggedrückte Bedrückung, das Schweigen sind durch dein starkes Gedicht fast - greifbar, erfahrbar. Solche Dinge treiben mich um: Wie konnten sie weitermachen, was haben sie sich gesagt? Wir waren alles Opfer? Oh, ja: DAS WIRTSCHAFTSWUNDER. Flucht in Konsum und Spießigkeit, in jetzt plötzlich heile Welt, die nicht heil sein konnte und auch nicht heil sein DURFTE.
Die Kinder von damals, meine Mutter, mein toter Vater, ich habe es manchmal mit jeder Faser gespürt, was die Schwere und Enge dieser Zeit (trotz aller angeblicher, aufgesetzter „Hurra, wir leben noch!“ –Attitüde) aus ihnen gemacht hat: hilflose, ratlose Menschen.
Deine tollen Zeilen sind wie Backsteine.
LG, Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Die Kinder müssen oft ausbaden, was sie nicht wissen dürfen. Und die Eltern haben zu allen Zeiten immer nichts gemacht und gewusst.
Und das Gedicht ist ganz, ganz stark, Lotte!
Sirius
Reset the World!
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Es war eine seltsame Zeit, Jörn. Das Ungesagte lauerte überall.
Oma wurde zum Schweigen ermahnt, "Nicht vor den Kindern!" , dass sie uns nicht mit den alten Ängsten belastete. Sie, die zwei Kriege durchlitten hat, die jahrelang gebangt hat, dass sie ihren Mann holen kämen, der seine Arbeit bei Siemens verloren hatte, weil er nicht in die Partei eintreten wollte (ausgerechnet die Nonnen vom Bischöflichen Mädchengymnasium gaben ihm, dem Atheisten, Arbeit). Die sich Sorgen um ihre Kinder machte, die von den Lehrern drangsaliert wurden, weil sie nicht in im Deutschen Jungvolk und der HJ dienten. Sie sollte Vergangenes verschweigen ebenso, wie meine Eltern es verschwiegen. Das war ein Schweigen aus Liebe.
Nachkriegsbauten. Fünfzig Quadratmeter für drei bis acht Personen. Bewohner zusammengewürfelt. Ausgebombte, junge Familien, Veteranen... Lebten, als hätten sie keine Vergangenheit. Schauten uns schweigend zu, wenn wir arglos "Deutschland erklärt den Krieg gegen..." spielten. In der Schule, die Lehrer, seit Jahrzehnten im Dienst... Sprachlos. Der Krieg fand auch im Geschichtsunterricht nicht statt. Das war ein Schweigen aus Scham.
Religion hatte wieder die Oberhand gewonnen. Es gab nur katholische und evangelische Schulen. Religiöse Rundumversorgung incl. der peniblen Kontrolle des Besuchs des sonntäglichen Gottesdienstes. Verklemmt bis in die Haarspitzen ließen es sich die Pfaffen aber nicht nehmen, die Siebenjährige bei der Beichte nach dem Vorhandensein unkeuscher Gedanken zu fragen. Die Siebenjährige wusste gar nicht nicht was unkeusch bedeutet und hat auch auf diese Frage keine Antwort bekommen. Das war ein Schweigen aus religiöser Selbstgerechtigkeit.
Ich hör jetzt auf, sonst wird noch ein Roman draus und danke euch zwei beiden fürs Lesen und Verstehen!
Liebe Lottegrüße
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morgen lächelt sie zurück.
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Herrje, Lotte, das ist packend! Hab Gänsehaut. Meine Schwiegereltern haben manchmal etwas durchblicken lassen, aber nur sehr wenig. Man merkte ihnen an, dass ihnen beigebracht wurde, eher zu schweigen.
Leogrüße
Schreiben macht schön.
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Jeder hatte seinen Grund zu schweigen, Leo. Der räumlichen und der, durch das Verschweigen beförderten gedanklichen Enge zu entfliehen, gab es nur einen Weg: Bücher!
Herzlichen Dank an dich!
Liebe Lottegrüße
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Zitat von scrabblix
Es war eine seltsame Zeit, Jörn. Das Ungesagte lauerte überall.
Oma wurde zum Schweigen ermahnt, "Nicht vor den Kindern!" , dass sie uns nicht mit den alten Ängsten belastete. Sie, die zwei Kriege durchlitten hat, die jahrelang gebangt hat, dass sie ihren Mann holen kämen, der seine Arbeit bei Siemens verloren hatte, weil er nicht in die Partei eintreten wollte (ausgerechnet die Nonnen vom Bischöflichen Mädchengymnasium gaben ihm, dem Atheisten, Arbeit). Die sich Sorgen um ihre Kinder machte, die von den Lehrern drangsaliert wurden, weil sie nicht in im Deutschen Jungvolk und der HJ dienten. Sie sollte Vergangenes verschweigen ebenso, wie meine Eltern es verschwiegen. Das war ein Schweigen aus Liebe.
Nachkriegsbauten. Fünfzig Quadratmeter für drei bis acht Personen. Bewohner zusammengewürfelt. Ausgebombte, junge Familien, Veteranen... Lebten, als hätten sie keine Vergangenheit. Schauten uns schweigend zu, wenn wir arglos "Deutschland erklärt den Krieg gegen..." spielten. In der Schule, die Lehrer, seit Jahrzehnten im Dienst... Sprachlos. Der Krieg fand auch im Geschichtsunterricht nicht statt. Das war ein Schweigen aus Scham.
Religion hatte wieder die Oberhand gewonnen. Es gab nur katholische und evangelische Schulen. Religiöse Rundumversorgung incl. der peniblen Kontrolle des Besuchs des sonntäglichen Gottesdienstes. Verklemmt bis in die Haarspitzen ließen es sich die Pfaffen aber nicht nehmen, die Siebenjährige bei der Beichte nach dem Vorhandensein unkeuscher Gedanken zu fragen. Die Siebenjährige wusste gar nicht nicht was unkeusch bedeutet und hat auch auf diese Frage keine Antwort bekommen. Das war ein Schweigen aus religiöser Selbstgerechtigkeit.
Ich hör jetzt auf, sonst wird noch ein Roman draus und danke euch zwei beiden fürs Lesen und Verstehen!
Liebe Lottegrüße
Liebe Lotte - das hier hast du sehr, sehr eindrucksvoll beschrieben.
Und ich hätte nichts dagegen, wenn es ein Roman werden würde.
Weil dein Text wirklich festhält. Und heutige "Sorgen" in den Schatten stellt.
Jonny
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Wahrscheinlich sitzt du gerade im Flieger, Jonny, während ich deinen Kommentar entdecke, für den ich dir herzlich danke.
Ob ich jemals einen Roman...? Wer weiß?
Eine schöne Zeit wünsche ich dir! Genieße sie!
Liebe Lottegrüße in die Ferne
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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