Annahmen über die Stadt
In der Stadt leben Menschen.
In der Stadt leben Hunde.
Jedoch. Mehr Menschen als Hunde.
Angenommen. Wer weiß.
In der Stadt schlagen Herzen.
Hier geht nachts so einiges.
Den Bach runter,
und dann hinten links, sagen die Ratten.
In den verschiedenen Teilen der Stadt sieht man das
große Ganze.
Schlamassel.
Manchmal kommen die Falschen unter die Räder.
The streets are paved with gold. Hier, wie anderswo.
In der Stadt leben Freunde deiner Eltern. Die sagen,
komm doch mal vorbei.
Die kennen dich noch von so klein auf.
(Die Geste, die sie dazu machen ist absurd. So klein warst
du noch nie.)
Väter und Mütter trennen sich in dieser Stadt und
Väter gehen mit ihren Geliebten chic essen, weil Geliebte
das so mögen. Mütter schneiden währenddessen die Köpfe
der Väter aus den Fotoalben. Kinder beobachten diese
Vorgänge und entscheiden sich gegen Familien.
In der Stadt leben Menschen, ohne andere Menschen
zu kennen. Jeder sieht aus wie der erste.
In dieser Stadt wartet man auf Jesus.
In dieser Stadt wartet man auf Busse.
Und die Bahn. Wie immer die Bahn.
In dieser Stadt lebt einer, der aussieht wie einer, den
ich kenne.
In dieser Stadt war Goethe schon mal.
Goethe fand’s öde.
In dieser Stadt schlafen ein paar, während die anderen
wachen.
In dieser Stadt gibt es für jeden einen Nächsten.
Du bist mein Nächster. In dieser Stadt.
In dieser Stadt schlagen Pulse. Und Rechte auf Linke ein.
Und Lampen schwanken an Seilen quer über den Straßen.
In dieser Stadt hat man auf Sand gebaut.
Hier hat man gegraben und sich gefunden.
In dieser Stadt stand man und schaute. Den Zügen mit
den Juden hinterher.
Den schönen Mädchen mit den kurzen Röcken auf die
langen Beine.
In dieser Stadt sprechen die Frauen anders mit den
Frauen, als die Männer mit den Frauen.
Hier sind Briefkästen keine Orte der Sünde.
Hier kam man heim und wurde nach den Jahren nicht
wiedererkannt. Man hätte auch fortbleiben können.
Von hier geht man fort.
In dieser Stadt gibt es Straßen, die im Kreis verlaufen.
Hier gibt es Menschen, die auf Leitern steigen, um
Sternschnuppen nachzusehen.
Nora-Eugenie Gomringer
Aus: Sag doch mal was zur Nacht.
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