Wieder Angst vor Deutschland
Diese Kolumne über die Gefahr der neuen Rechten hatte Sibylle Berg schon vor dem Attentat in Halle verfasst. Jetzt hat sie sie um einen Appell an die Regierung ergänzt: Bekämpfen Sie Rechtsradikale! Oder treten Sie zurück!
Am Montag hatte ich, wie meistens, meinen Kolumnentext in die Redaktion geschickt. Am Donnerstag, einen Tag nachdem ein Nazi in Halle Amok gelaufen ist, schreibe ich dieses PS dazu:
Werte Regierung, im Rahmen des Gesetzes: Bekämpfen und verfolgen und ächten Sie Rechtsradikale! Wenn Sie das nicht wollen oder können, treten Sie einfach zurück! Herzlich, Ihre Frau Berg.
So, und nun zu dem Text, der so seltsam verfrüht entstanden ist:
Während die Welt sich neu sortiert - unschlüssig, ob es in Richtung Aussterben oder Überleben gehen soll - versuchen Faschisten weltweit, das Vakuum zu nutzen, das durch zu schnelle, kollidierende Entwicklungen entstanden ist. Inmitten dieser Zeit starb Marko Feingold, mit 106 Jahren. Und wieder war es einer weniger, der die Nazi-Morde überlebt hat.
Jeder Jude, Sinti, Roma, jeder Überlebende der Nazis, der verschwindet, lässt meine Angst wachsen. Davor, dass bald keiner mehr da sein wird, der nur durch seine Anwesenheit in unserer Welt Zeugnis ablegt. In der Zeit, in der Unfassbares wieder möglich ist, wo Politiker*innen im Deutschen Bundestag einer KZ-Überlebenden den Respekt verweigern, Judenhasser*innen durch die Straßen pöbeln, Angehörige von Parteien in ehemaligen KZ Witze machen, den Massenmord infrage stellen, im Netz wieder Mordfantasien und Gewaltaufrufe gegen Minderheiten zu lesen sind.
Die Menschen in der Welt haben Angst vor Deutschland
Wie wird es werden, wenn keiner mehr an die Verbrechen erinnert, wenn sie wieder lauter brüllen und die Verbrechen ihrer Vorfahren legitimieren, ignorieren oder leugnen, wenn sie von importierten Judenhassern lallen, und keiner ihnen den guten alten Spruch entgegenlebt: "Deutsche müssen bei manchen Themen einfach den Mund halten." Das gebieten das Wissen und die Scham. Die verschwindet. Zusammen mit dem Moment, in dem Deutsche kurzfristig stolz auf ihr Land sein konnten, so albern das auch ist. Noch vor einiger Zeit war Deutschland vorbildlich in der Aufarbeitung der Nazivergangenheit, ein Land, in dem sich Minderheiten hoffentlich einigermassen sicher fühlten.
Weiterlesen:
https://www.spiegel.de/kultur/gesellscha...-a-1290934.html
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