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RE: Neulich im Park

#1 von Karl Ludwig , 01.02.2016 09:56

Ich kannte mal ein Mädchen, das Probleme mit der Selbstfindung und dem Entfalten hatte. Das ist bei Mädchen völlig normal. Irgendwann erwischt es alle und sie fangen an, Symbiosen mit der kosmischen Harmonie anzustreben. Oder sie schaffen sich ein Pferd an.

‚Blödsinn!’ dachte ich. ‚Und selbst wenn, warum ist das Mädchen nur so zerzauselt?’

Ich sah ihr nach, wie sie durch unseren Stadtpark spazierte. Vorsichtig staksend bewegte sie ihre Füße, dennoch wirbelte sie enorm viel Staub und Blätter auf. Wo sie entlang ging hinterließ sie Wolken aus … Trübung, die kreiselnd aufstiegen und ihr hinterher zogen.

‚Blödsinn’, dachte ich erneut.

Wie ein alter, schmutziger Mann folgte ich der Kleinen. Ein Schweif von Blättern wollte es mir gleich tun. Verblüfft nahm ich zur Kenntnis, dass um sie herum zwar die helle Aufregung herrschte, sie selber jedoch davon völlig unbeeindruckt blieb. Bis auf die blonden Haare. Die schienen eigenes Leben zu besitzen und umgaben ihr Gesicht mit einer Korona aus protosubstanzigen Federn. Das Mädchen sah aus wie eine wandelnde, medusakeske Sonnenblume. Der Staub und die Blätter hatten wohl Hemmungen, sie zu berühren. In einer kleinen Wolke aus aufgeschrecktem Laub blieb sie selber wie unantastbar.

Plötzlich drehte sie sich um und versperrte mir den Weg. Sie stemmte die Arme in die Hüften, baute sich auf und blickte mir herausfordernd in die Augen: „Du bist doch kein Sittenstrolch? Oder? Warum folgst du mir? Außerdem kenne ich dich. Du bist ein Alter Ego von Opa Pscht und sollst doch recht ehrenwert sein. Etwa gelogen?“

„Gott bewahre. Wie alt bist du? Unter 30? Viel zu alt für mich. Aber mir ist aufgefallen, dass du umgeben bist von seltsamen Phänomenen. Ich meine die Tatsache, dass du sauber bleibst, obwohl wir in einer Staubwolke stehen, die zumindest mich so langsam mit Patina überzieht. Und die Wipfel, die sich im Wind wiegen, obwohl gar kein Wind weht, und das kreisrunde Loch in den Wolken, welches scheinbar ständig über dir schwebt.“

Die Kleine seufzte auf: „Du bist der Erste, dem das auffällt.“

„Wie heißt du denn?“

„Doris.“

„Wie sollte das denn nicht auffallen? Da läuft ein kleiner, autonomer Wirbelwind herum, der Meteorologen in den Wahnsinn treiben würde, und das soll man übersehen?“

„Die meisten Menschen nehmen nicht wahr, was ihnen Erklärungsnotstand verursachen könnte. Sie sind umgeben von Wundern die sie beharrlich ignorieren.“

Nun seufzte ich auch. „Ich weiß! Was ich hingegen nicht weiß, ist, was mit dir los ist. Bist du in einen Teilchenbeschleuniger gefallen oder was, oder wie?“

Doris lächelte sanft. „Nicht ganz so etwas Dramatisches. Ich habe nur zum falschen Zeitpunkt meditiert, mein Ich geöffnet.“

Wir setzten uns auf eine Parkbank. „Erzähl.“

„Ich murmelte ein Mantra, das die Identität auflöst und zum selben Zeitpunkt fand die Namensgebung für einen Hurrikan statt. Rate mal, welchen Namen die Wissenschaftler diesem Sturm in der Karibik gaben. Tja. Und so sprang etwas vom Hurrikan auf mich über. Morphische Resonanz oder so. Dabei herrscht hier noch relative Windstille. Ich glaube, ich personifiziere nur partizipitativ vom Auge des Hurrikans. Bloß ein kleines Wunder.“

„Wird das noch schlimmer?“

„Keine Ahnung. Aber da es eh keiner bemerkt, nicht ansteckend ist und auch gewisse Vorteile mit sich bringt, sollten sich keine weiteren Probleme ergeben. Möchtest du ein Eis? Guck mal, was ich kann.“

Sie holte einen Geldschein hervor, deutete auf die Eisdiele am Rand vom Stadtpark, ein kleiner Strudel aus Luft löste sich von ihren Fingern, schnappte sich das Geld und zog davon. Er verschwand im Laden und kehrte nach einer kurzen Weile mit zwei Bechern und dem Wechselgeld zurück.

„Toll!“ Vor meinem geistigen Auge öffneten sich Tresorräume und dicke Geldbündel flogen mir entgegen. Sie muss wohl etwas von meiner Vision abbekommen haben.

„Nein. So etwas mache ich nicht.“

„Äh, natürlich nicht.“

„Der Sturm in der Karibik lässt bald nach.“

„Oh.“

Und tatsächlich. Als ich das Mädchen am nächsten Tag wieder traf, war der Spuk vorüber. Sie setzte sich kurz zu mir und erzählte von dem Pferd, welches sie sich anschaffen wolle.

Schade…


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RE: Neulich im Park

#2 von Sirius , 01.02.2016 13:01

Amüsant und originell. Ich treffe auch nur Mädchen mit Pferd.

Sirius


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RE: Neulich im Park

#3 von Karl Ludwig , 28.02.2016 06:14

Diesmal lasse ich mich aber nicht irritieren. Das ist ein ein völlig normales Kind, welches da in der Nase bohrend vor mir steht.

Vielleicht zehn Jahre alt? Rechte Socke blau, linke rot? Etwas Pipi Langstrumpfkeskes? Ich zwinkerte mit den Augen. Keine Reaktion, nur der Zeigefinger erforscht weiterhin die Geheimnisse der Nasalität.

Ich stecke mir auch einen Finger in die Nase und lege einen triumphierenden Blick auf. Immer noch kein Echo. Nur der Blick … ja, irgendwie stechend. Eindringlich. Die buntschillernden Augen mustern mich mit einer Intensität, die schlagartig durstig macht.

Als ich aufstehe, meinem dringlichsten Verlangen nachzukommen, tritt das Blag einen Schritt vor und schubst mich mit unerwarteter Kraft zurück auf meine Lieblingsbank. Ich bin so verblüfft, dass keine der nun im Prinzip fälligen Ohrfeigen zur Ausführung gelangt.

„Hör zu!“ Das Kind setzt sich neben mich. „Ich bin ein anthropomorphes Analogon der Zukunft! Möchtest Du irgend etwas über mich erfahren?“

„Wenn da viel Feuerwasser enthalten ist, gerne. Ansonsten solltest du schnell dein Ritalin, oder was auch immer, schlucken.“

„Blödmann! Es ist mein Ernst. Ich bin das unbeschriebene Blatt, auf das du deine Träume malst. Ich bin immer unterwegs, aber heute behalte ich mal meinen Namen. Nicht jetzt, nicht gestern – sondern bald bis demnächst. Ich könnte dir sagen, wann du stirbst.“

„Das kriege ich schon mit und auch auch ohne Orakel gebacken, wenn es so weit ist.“

„Feigling. Nun, ich bin es gewohnt nicht ernst genommen zu werden. Man weiß um mich, doch man tut wenig dafür. Tja, vermutlich Schicksal oder so.“

Ich zucke mit den Schultern. Dem Schicksal, das wusste ich aus eigener Erfahrung, kann man nicht trauen. Wenn man meint es in die Enge getrieben zu haben, stellt es sich als etwas ganz anderes heraus. Und sobald man glaubt es festgenagelt zu haben, schlendert es mit dem Hammer fort. Misstrauisch blicke ich mich um. „Das Schicksal treibt sich hier aber nicht auch noch herum?“

Das Kind greift in die Luft und hält plötzlich eine Stoppuhr in der Hand. „Nimm mich ernst! Pass auf. In genau 26 Sekunden ab jetzt (klick) wird hier eine rückwärts fliegende Ente vorbei kommen.“

Fasziniert blicke ich auf die Stoppuhr. Ein goldener Faden verbindet sie mit dem Handgelenk von dem Kind. Sie tickt nicht, sondern läutet leise die Sekunden ein. Eine verwirrte Ente fliegt rückwärts dicht an uns vorbei und landet ungeschickt. Sie überschlägt sich zwei mal und watschelt empört schnatternd davon.

„Also gut. Ich will Dir mal unter Vorbehalt glauben. Andererseits, hm, gastiert hier nicht zur Zeit ein Zirkus im Ort?“

„Hör endlich zu. Ich bin beauftragt worden, die Botschaft vom universellen Frieden und der kosmischen Harmonie zu bringen.“

„Ja?“

Das Kind beugt sich vor und spricht nun verstohlen aus den Mundwinkeln: „Hast du überhaupt eine Ahnung, warum ich diese Botschaft verbreiten soll, ausgerechnet auch noch an dich?“

„Nun, äh, …, ja, also die verschränkten Quanten … und, äh …, vielleicht, Liebe ist die Antwort?“

„Ich weiß es auch nicht.“


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