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Ein Fest der Besinnung

#1 von Karl Ludwig , 15.12.2019 08:52

Tagsüber lasse ich im Hintergrund leise ein Radio laufen, damit ich nicht ständig über meine eigenen Gedanken stolpere. Somit bleibe ich auch halbwegs über diese ganze Global-Idiotie auf dem Laufenden, – die Bilder dazu erspare ich mir.

Eigene Gedanken. Auch wieder so ein Begriff, der einen in den Wahnsinn treiben kann, wenn man mal darüber nachdenkt.

Also kurz zu dazu: Ich wusste gar nicht, dass ich masochistisch veranlagt bin. Weil, meine Gedanken hören sich nämlich ungefähr so an: Fast 70 Jahre alt, peinliche Vergangenheit, Gegenwart und Restzukunft, kein besonderes Talent (von Musik habe ich so viel Ahnung, wie eine Flunder vom Bergsteigen, meine Schreibe – na-ja, echte Literatur sieht m.E. anders aus), durchschnittliche Intelligenz, aber sehr begabt darin Irritationen bei den Anderen auszulösen, hypersensibel (Weichei), immer etwas Unaufgeräumtheit hinterlassend, kein Konzentrationsvermögen, keine Geduld, kein Geld, zunehmend alterskränkelnd, Null Perspektive, egomanisch, verletzend durch blödsinnig direkte Art (vorlautes Maul!) … Nix! Da ist einfach viel Nix, dort, wo andere ein wenig stolz auf sich sein dürfen.

Solche Gedanken machen aus einem unbekümmerten Kerlchen mit sonnigen Gemüth auf Dauer einen suizidgefährdeten Negativling. So einer will ich natürlich nicht sein, und würde ja meine eigenen Gedanken auch heute gerne mit Lala und Blah-blah unterdrücken, aber ich trau mich nicht.

Nicht nur dass ich mir seit Wochen drei mal täglich Last Chrismas anhören muss, nein, für heute hat man mir ein spezielles Weihnachtslieder-programm angedroht.

Das bedeutet für mich: Die Selbstkasteiung geht weiter. Dabei wollte ich doch nur Liebe, Verständnis und viel Luxus ohne eigene Einbringung.

Kann ich was für meinen Charakter? Für meine Gedanken? Sogar für die, welche ich gar nicht habe? Macht der hormonelle Rückbau unter Umständen miesepetrig? Ist die deprimierende Erkenntnis, ein kleines Scheißerchen zu sein, der Preis für Weis- und Wahrheit? Nur, – wo laufen sie denn?

Die Hoffnung fehlt.


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RE: Ein Fest der Besinnung

#2 von Sirius , 16.12.2019 18:47

Wie war denn das gestrige Weihnachtslieder-Programm? Hast du alles gesund überstanden oder bist du zu den Meuchelmördern konvertiert?
Die Selbstgeißelung hast du ja schon öfter gemacht und ich denke, das Schreiben darüber befreit dich auch ein wenig von diesen Dingen, die du dir selbst ankreidest.
Ich denke nur, dass man die Dinge „ohne eigene Einbringung“ irgendwie nicht so erhält, aber das hast du wohl auch schon gemerkt.
So ernst auch das Thema ist, habe ich deinen Text auch wieder als sehr unterhaltsam empfunden.

Sirius


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RE: Ein Fest der Besinnung

#3 von weegee , 16.12.2019 21:29

Zitat von Karl Ludwig im Beitrag #1
Fast 70 Jahre alt, peinliche Vergangenheit, Gegenwart und Restzukunft, kein besonderes Talent (von Musik habe ich so viel Ahnung, wie eine Flunder vom Bergsteigen, meine Schreibe – na-ja, echte Literatur sieht m.E. anders aus), durchschnittliche Intelligenz, aber sehr begabt darin Irritationen bei den Anderen auszulösen, hypersensibel (Weichei), immer etwas Unaufgeräumtheit hinterlassend, kein Konzentrationsvermögen, keine Geduld, kein Geld, zunehmend alterskränkelnd, Null Perspektive, egomanisch, verletzend durch blödsinnig direkte Art (vorlautes Maul!) … Nix!


Ein ganz normaler Mensch also. So war ich schon mit 20. Bild dir bloß nichts ein.

Jörn


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RE: Ein Fest der Besinnung

#4 von Karl Ludwig , 17.12.2019 17:43

Ich weiß. Aber das nutzt wenig, wenn man selber betroffen ist. Und ein 20-jähriger kann sich nicht vorstellen, wie es ist alt zu werden. Jeden Tag etwas mehr. Jaul!!!

Bestimmt ist es auch die beste Art in seiner Jugend damit umzugehen. Ich jedenfalls fand damals alte Menschen nur doof. Dieses ständige Hier und da und ach und so, - einfach nur peinlich.


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RE: Ein Fest der Besinnung

#5 von weegee , 18.12.2019 09:06

Und wie die gerochen haben, die alten Menschen! Nach feuchten Klamotten und Danzig unter Beschuss. So wie Günter Grass kurz vor seinem Tod. Ehrlich! Ich stand neben dem auf der Buchmesse in Frankfurt kurz vor seiner Auffahrt in den Dichterhimmel.

LG, Jörn


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