Wie junge, aus dem Nest gefallene Vögel
Immer neue Anläufe zu Verbindlichkeit: In "Normale Menschen", dem neuen Roman der 1991 geborenen irischen Bestseller-Autorin Sally Rooney, ist Normalität für zwei Liebende das Allerschwierigste.
Sie ist die Tochter einer Anwältin. Er ist der Sohn einer Putzfrau. Seine Mutter arbeitet für ihre Mutter. Sie besuchen dieselbe Oberschule in einem Provinzstädtchen im äußersten Westen von Irland. Beide sind begabt und erfolgreich. Sie fangen eine Beziehung an, die sie vor ihren Mitschülern und Mitschülerinnen, die sonst sehr viel voneinander wissen, geheim halten. Denn die soziale Hierarchie erscheint im Binnenraum der Schule umgedreht: Er, der Junge Connell, ist ein Star, gut aussehend, umgänglich, intelligent, ein guter Fußballspieler; sie, das Mädchen Marianne, erscheint unansehnlich - jedenfalls macht sie nichts aus sich -, verschlossen, sie ist eine Außenseiterin, die in den Pausen für sich bleibt und "Auf dem Weg zu Swann" liest, den ersten Band von Marcel Prousts Riesenzyklus. Eine "hässliche Loserin" nennt sie sich später im Rückblick auf diese Zeit. Marianne ist von Anfang an von den beiden die interessantere Figur.
Das Geheimnis macht ihre Sexualität aufregender als die sonstigen im Pausenhof beredeten Versuche der jungen Liebesanfänger. "Ihr Geheimnis wog angenehm schwer in ihrem Körper", heißt es von Marianne, "und drückte auf ihre Beckenknochen, wenn sie sich bewegte." Connell geht es ähnlich: "Er trug das Geheimnis wie etwas Großes und Heißes mit sich herum, wie ein überfülltes Tablett mit Heißgetränken."
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