„Menschliche Dinge": Gewalt – nicht so gemeint
Karine Tuils Gerichtsroman „Menschliche Dinge" beschreibt die Folgen einer Vergewaltigung für Opfer und Täter in Paris.
Karine Tuils neuer Roman ist vom Fall Stanford inspiriert. Vor vier Jahren vergewaltigte ein Student der Eliteuniversität eine junge Frau. Die milde Strafe des Gerichts sorgte für Aufsehen, der Richter wollte die Zukunftsaussichten des Studenten nicht durch eine lange Haftstrafe beeinträchtigen. Dieser verteidigte sich damals damit, dass er es nicht so gemeint habe.
„Menschliche Dinge“ versetzt einen ähnlichen Fall nach Paris. Eine Vergewaltigung vor dem Hintergrund von #MeToo, der Geschlechterkrise, Terrorwarnungen und Klassendiskrepanz: Karine Tuils Roman „Menschliche Dinge“ strotzt vor Aktualität, hat sich aber zu viel inhaltlichen Ballast aufgeladen. Von einer fast soziologischen Analyse der Lebensrealität einer wohlhabenden Familie verengt sich das Buch zum Gerichtsroman.
Die ersten Kapitel drehen sich um das Pariser Power-Paar Claire und Jean Farel, sie Publizistin, er TV-Moderator. Als die Fassade bröckelt, trennt sich das Paar und Claire zieht zu ihrem neuen Liebhaber. Dessen Tochter Mila wird ihr emotional verkümmerter Sohn Alexandre eines Abends ausführen und vergewaltigen.
Im Prozess erscheint auch Alexandre als Opfer – das seines Vaters, der ihn in der Kindheit unter Leistungsdruck gesetzt und geschlagen hat. Doch Alexandre hat gelernt, Verantwortung und Schuld von sich zu schieben. Den Rest erledigen ausgezeichnete Anwälte. Karine Tuil lässt sich als Kommentar zum aktuellen Geschlechter-Arrangement lesen: Hinter der zur Schau gestellten Frauenfreundlichkeit lauern misogyne Vorstellungen. SOM
Karine Tuil: „Menschliche Dinge“, üb. von M. Ueberle-Pfaff, Claasen, 384 Seiten, 22,90 Euro
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