Franz ist ein genialer Tüfftler und ähnelt vom Aussehen her eher einem Faustkämpfer, denn einem Wissenschaftler. Und er ist außerdem ein Jugendfreund von mir, dem ich blind vertraue. Ich habe nie einen anständigeren Menschen als ihn getroffen. Das letzte Mal hatte ich vor 20 Monaten in seinem privaten Labor, einem abgelegenen Bungalow, mit ihm gesprochen. Seitdem reagierte er nicht mehr auf Anrufe und ich erfuhr von seiner Frau, dass er zu beschäftigt sei, überhaupt irgendwen zu empfangen. Selbst sie wisse nicht, was dieser Blödmann treiben würde, und wovon er sich ernähre. Aber der Blödmann sei da, würde vermutlich leben, hätte sich seit einer blöden Ewigkeit in seinem blöden Hobbykeller eingeschlossen und in irgend so ein blödes Projekt verrannt, sie erwäge eine blöde Scheidung und das alles wäre doch nicht mehr normal. Vor drei Wochen hätte sie irrlichternde, helle Schlieren um das Gebäude tanzen gesehen, wie Zauberfeen, als sie einmal nachts wach wurde und aus dem Fenster blickte. Manchmal, aber nein, das würde sich zu albern anhören, aber ..., na gut, einmal wäre sogar das ganze Labor für zwei Tage verschwunden gewesen. Ich verabschiedete mich nach quälend langen 20 Minuten von ihr und kümmerte mich wieder um meinen eigenen Kram.
Damals, vor zwei Jahren, hatte er mir stolz eine Art Zylinder gezeigt, ca. einen Meter lang und mit vielleicht 30 cm Durchmesser. Ich stand in seinem Labor, wenn man dieses, wie aus einem Film über einen verrückten Wissenschaftler kopierte, messikeske Chaos von blubbernden Kolbengefäßen, Computern, aufgeschlagenen Büchern, Werkbank, Mikroskopen und einem kleinen Teilchenbeschleuniger denn als Labor bezeichen wollte.
"Na und? Schimmert hübsch. Kann es noch mehr?"
"Schau mal genauer hin."
Ich inspizierte das Objekt, konnte aber zunächst nichts Besonderes entdecken. Das Ding lag nur da, nun, ... halt wie ein hingelegtes Ding, ähnelte einem ausgestopften Abwasserrohr, schimmerte, nein, schillerte blaugrünviolett und ... - ich berührte es fast mit der Nase - ... summte vielleicht ganz leise? Gab ein wenig Wärme ab?
Nun schien es sich zu bewegen. Wuchs das Ding etwa? War es gar lebendig? Ich wich einen Schritt zurück. Kein Zweifel, das Ding da wurde zunehmend größer.
"Ein Triumph der Nanotechnologie." meinte Franz verträumt, während das Objekt immer länger wurde. "Damit werde ich die Welt verändern."
Das Ding war inzwischen auf die fast doppelte Länge gewachsen und begann sich in der Mitte einzuschnüren. Danach teilte es sich. Und dann lagen zwei Zylinder vor mir auf der Arbeitsplatte..
"Ich bin sprachlos. Ein mechanisches Gerät, das sich selber reproduziert?"
"Mehr! Viel, viel mehr als nur mehr. Die Basis für eine weltweite Veränderung."
"Woher bezieht dieses Ding seine Energie?"
"Im Gebilde verteilte Antimateriereaktoren aus Bauteilen in Max Planck-Längen."
Mehr wollte er mir damals nicht erzählen, obwohl er meinen offenen Mund bemerkt haben musste. Ich hingegen solle bitte vergessen, was ich da gerade gesehen hätte. Alles ganz geheim. Aber irgendwem MUSSTE er doch zeigen, was ihm da gelungen war. Das verstand ich gut. Er würde mir vertrauen, doch wenn die falschen Leute davon Wind bekämen... Er überließ es meiner Fantasie, die Folgen auszumalen.
Das war eine ziemlich einfache Aufgabe: "Eine schreckliche Waffe natürlich! Was denn sonst? Wovon ernährst du dich?"
Er führte mich zu einer anderen Apparatur: "Energietransformer." Als ob damit irgendetwas erklärt wäre sprach er die Maschine an: "Zwei Kaffee, Milch, Zucker." Und zu mir gewandt: "Ich glaube, der Begriff Materiehologramm wäre angemessen."
Die Bestellung erschien ohne Plopp oder anderem überflüssigen Schnickschnack direkt in der Luft und ließ sich leicht nehmen. Der Kaffee war verdammt gut.
"Ein Croissant bitte?"
"Die Bedienung hier hört nur auf meine Stimme. Ein Croissant." Dieses erschien, appart auf weißem Porzellan und liebevoll mit einem Klecks Marmelade angerichtet. "So mag ich nämlich meine. Du darfst mit niemandem darüber reden. Auch nicht mit meiner Frau. Sag ihr, mir ginge es gut und ich würde bald wieder zurück sein."
Ich versicherte ihm, zu schweigen wie ein Grab. Und ich hielt mich auch fast zwei Jahre daran.
Deswegen fuhr ich nun, mitten in der Nacht, nur auf seinen Anruf hin, fast 400 Kilometer. Die Stimme am Telefon hatte vor verborgener Erregung leicht gezittert: "Wenn du den Beginn einer neuen Aera miterleben möchtest, komm sofort in mein Labor. Ich aktiviere den Prototypen einer Erfindung, welche die Welt stärker verändern wird als das Internet. Ab 9.00 Uhr wird die Erde nie wieder so sein wie vorher."
Ich traf im Morgengrauen ein. Ich stellte den Wagen ab und ging direkt über die Wiese zum Bungalow. Je näher ich dem Gebäude kam, um so zäher schien die Luft dazwischen zu werden. Wie eine elastische Wand versperrte sie schließlich jeden weiteren Schritt und übte Gegendruck aus.
"Ach du bist's." Aus dem Nirgendwo sprach mich Franz an. "Moment, ich öffne mein passives Sicherheitssystem." Ich fiel fast vorneüber, als der Gegendruck verschwand.
Innen hatte sich die Einrichtung massiv geändert. Das Labor war verschwunden. Statt dessen war ein gemütliches Herrenzimmer mit Kamin, viel Leder und noch mehr Holzvertäfelung entstanden. Nichts deutete auf ein weltveränderndes Ereignis hin, außer dem altmodischen Anzug anstelle eines weißen Kittels. Er bat mich Platz zu nehmen.
"Noch zwei Stunden bis zum Ereignis. Kaffee?"
"Welches Ereignis? Danke, ja."
"Es gibt einen Zeitplan."
"Und was genau ist nun der Plan? "
"Den kenne ich selber nicht."
Franz griff nach den gefüllten Tassen in der Luft.
"Wie? Keinen Plan? Und was ist das überhaupt für ein 'passives Sicherheitssystem', welches mich da am Näherkommen hinderte? Ich trau mich gar nicht mir ein aktiviertes vorzustellen. Kommen dann die Todesstrahlen?"
"Ach was. So ein Schutzschirm beruhigt ungemein. Was glaubst du wohl, was passieren würde, wenn bekannt würde, welche Fortschritte die Nanotechnologie in Kombination mit evolutionärer Programmierung erreicht hat. Vergiss nicht die Fortschritte auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz. Ab einem gewissen Punkt könnte sich ein gutes, selbstorganisierendes KI-Programm verselbstständigen und selber Verbesserungsvorschläge einbringen. Davon sind die KI-Forscher aber immer noch weit entfernt. Im Gegensatz zu mir. Ich habe ein Array von Milliarden selbstprogrammierbaren Ja-Nein Schalter verdrahtet, um eine organische Ausleseprogrammierung nach evolutionären Gesichtspunkten vorzunehmen und den Rechner bloß gebeten, eine virtuelle Persönlichkeit zu erschaffen und mit menschlichen Eigenschaften auszustatten. Wie ihm das gelang, weiß ich selber nicht so genau."
"Hä?"
Franz lächelte understatement herzerwärmend. Dieser Mann hatte eine Berufung. Ja, dieser Mann hatte das Zeugs, die Welt zu verändern. Ich hörte noch nicht auf ein inneres zaghaftes Stimmchen, welches Bedenken anmeldete.
"Vermutlich simulierte das Ding so etwas wie unser Hirn; Informationen darüber hats ja ausreichend. Es scheint nur wichtig zu sein, diese Informationen in dynamischen Trial & Error Verknüpfungen und Schleifen unterzubringen, als selbstzündenden Prozess, wie bei einer Atombombe. Sensoren brauchts, klar, um ein Körpergefühl zu entwickeln. Da kommt dann nur echtes, von mir, besser gesagt, von dem Ding entwickeltes Nanotex mit allen bekannten Rezeptoren, zusätzlich einigen seltsamen, auch von dem Ding selbsttätig produzierten zusätzlichen, mir größten Teils unbekannten Eigenschaften, als Oberfläche in Frage. Ich glaube allerdings, dass das Ding nie schläft. Nein, da bin ich mir sogar ganz sicher. Ob es Sehnsucht nach irgend etwas hat? Angst verspürt, Freude? Kaum glaubhaft! Es ist und bleibt ein Ding. Dingedong a Dongeding. Hat keine Seele, weiß aber mehr darüber als jeder Mensch. Hat keine Sehnsüchte, Ängste oder Vorurteile. Es sucht und findet Antworten, unabhängig von eigenen Erwartungen. Wahrer Altruismus."
"Ein altruistisches Ding? Weiss es das auch selber?"
"Klar. Aber ich glaube nicht, dass es darunter leidet."
"Wo steht 'Das Ding' überhaupt?"
"Hier. Um 9.00 Uhr drücke ich diesen Knopf. Es manifestiert sich dann innerhalb unserer Dimensionen über Wirkung. Energie hat es mehr als genug. Der Schutzschirm zum Beispiel war die Idee vom Ding und wird auch von ihm aufrecht gehalten. Ich glaube, ich nenne das Ding einfach DING."
"Was genau könnte passieren."
"Nun, ich bin sein Gott. Es wird versuchen, meinen Wünschen Genüge zu tun. Ich habe die Aufgabe gestellt, die Menschheit zu schützen. Vor Krieg, Hunger und sich selbst."
Nun aber wurde meine Werksausstattung ihrer Sache gerecht und das eingebaute Neinchen aktiv. Als ich spontan und ein erwartungsgemäßes: "Einfach toll!" von mir gab, hörte ich eine leise Stimme in mir flüstern: "Ach ja? Wirklich?"
Advocatus diaboli übernahm mein Mundwerk, führte die Zunge durch ein Spiegelkabinett, runzelte meine Stirn.
"Und was ist, wenn DAS DING zu der Auffassung gelangen sollte, Vermeidung von Krieg und Hunger wäre am Besten durch Vernichtung der Menschheit zu erreichen?"
"Wieso sollte es? Es kennt sämtliche ethischen Regeln, weiß mehr um 'Gut' und 'Böse' als du, ich oder jeder Pastor."
"Nun ja. Ich möchte dir ja glauben, aber mir macht die Vorstellung etwas Angst. Hier scheint viel mächtige, ..., äh, Macht gegeben zu sein. Wenn du der Maschine die Schaffung einer virtuellen Persönlichkeit nach Menschenmuster gestattest, die dann unkontrolliert über gewaltige Kräfte verfügt... Also, ach du meine Güte. Ich hätte echt so meine Zweifel, ob da nicht auch etwas Ehrgeiz und anderer Wahnsinn beigemischt wäre. Was macht dich denn so sicher, nicht etwas ganz Schreckliches anzurichten?"
"Weil das Ding zum größten Teil mein Alter Ego ist, ein mechanischer Intimus. Ich weiß, wozu ich nicht fähig wäre."
"Moment. Moment mal. Wir haben noch eine Stunde. Ich finde, du solltest mich über die Fähigkeiten von dem DING informieren. Es hat etwas von deinem Charakter?"
"Nun, ich konnte mir kein anderes Modell leisten" War da nicht nörgelnde Empörung des verkannten Genies in der Stimme? "Es kann reproduzieren. Das hast du selber erlebt. Das Ding könnte z.B. überall auf der Welt mobile selbstständige Steckdosen verteilen. Materie- und Energietransmitter. Milliarden davon. Für jeden Menschen eine, die ihm Strom liefert und Nahrung produziert."
"Unsere Wirtschaftssysteme würden den Bach runter gehen. Es gäbe Aufruhr, Krieg. Die Nationalgarde schreitet ein. Es gibt Tote. Rote Knöpfe werden gedrückt. BUMM!"
"Wir hatten in Deutschland nie eine Nationalgarde. Außer natürlich die Bayern bis 1816. Ich sprach deutlichst von: 'Könnte.'!" Nun schlich sich eine oberlehrerhafte Attitüde ein. Es ist völlig unmöglich vorher zu sagen, welche Schlüsse es ziehen wird. Noch einen Kaffee?"
Ich musste meinen besten Freund erschießen. Im Jahre 2078. Den Knopf habe ich noch geschafft zu vergraben; dann tauchte mit viel Tatütata die Polizei auf. Das 'passive' Sicherheitssystem funktionierte nicht ohne Franz. Ich hoffe nur, dass keine Kinder den Knopf beim Spielen entdecken, bevor ich hier in 15 Jahren rauskommen und ihn in Beton gießen werde.
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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Da hoffe ich doch sehr für unsere Ur- und Ururenkel und für dich, klsa, dass sie dich 2093 aus dem Knast entlassen und in der Zwischenzeit noch kein anderer auf die Idee gekommen sein wird, so ein Ding zu erschaffen. Obwohl..., irgendjemand wird sicher schon danach forschen.
Wie immer, bin ich deinen Ausführungen gerne gefolgt!
Liebe Lottegrüße
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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