EINE GARTEN-ERZÄHLUNG
Brennende Liebe
Anfang und Ende und wieder Anfang: Für ihn ist der Garten das Paradies auf Erden, für sie die Hölle aus Langeweile. Sie lieben sich – und dafür muss man manchmal lügen. Eine Erzählung in zwölf Gartenmonaten.
Januar
Dieses Jahr muss es sich entscheiden. Ich stehe halb in der Terrassentür und beobachte, wie er durch den gefrorenen Schnee stapft, ein bisschen grüner Rasen schaut hervor, aber sonst herrscht trübes Graubraun. Der Garten schläft, und ich hoffe, dass er nie mehr erwacht. Mit irgendetwas scheint er nicht zufrieden. Er beugt sich über ein paar Staudenreste und schüttelt den Kopf, spricht mit dem Flieder, der Forsythie. Ich hasse es, wenn er da draußen mit ihnen spricht, manchmal auch im Traum, so in einem flüsternden Ton, in dem er vor dreißig Jahren mit mir gesprochen hat.
Februar
Es ist seit Wochen konstant grau und regnerisch, bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Im Garten gibt es nichts zu tun, trotzdem dreht er dreimal täglich bei Wind und Wetter seine Runden, kramt ewig lange in Schuppen zwei, wo die Gartengeräte sind, erneuert das Vorhängeschloss, prüft die Bestände an Samen und Dünger. Es ist wie immer alles reichlich da, was ihn nicht davon abhält, abends im Bett jede Menge Pläne zu schmieden und in einem halben Dutzend Gartenkatalogen zu blättern. Er zählt mir auf, was er dieses Jahr alles neu pflanzen oder säen will: Kartoffelrose und Indianernessel, Sonnenhut und Nachtkerze, Wolfsmilch und Wiesenraute. Es hört sich an, als würde er irgendwelche verschollenen Märchen erzählen.
März
Die Narzissen und die Leberblümchen blühen, es wird merklich grüner und auch wärmer. Er ist jetzt rund um die Uhr im Garten, pflanzt und sät, holt die neue Erde aus den Komposthaufen. In stundenlanger Arbeit schippt er verrottete Gartenabfälle des letzten Jahres durch ein Sieb und pfeift dazu. Er hat jetzt immer schmutzige Hände, unter den Nägeln dunkle Ränder, von denen er behauptet, dass er sie nicht wegbekommt. Seit Wochen zum ersten Mal hat er mich gestern mit diesen Händen angefasst. Es hat mich nicht gestört, im Gegenteil, ich habe seine Hände immer gemocht. Er durchwühlte mich, als würde er etwas suchen, er schnüffelte und schnupperte, so dass ich mich schon fühlte wie eine seiner stummen Göttinnen. Meine kleine Elfenblume, sagte er, aber ich glaube nicht, dass er mich gemeint hat.
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