Cemile Sahins „ Alle Hunde sterben“ ist dicht, hart und schnell
Am Anfang klingt es wie eine Bildbeschreibung: „Über den linken Bildrand betreten Uniformierte das Hochhaus.“ Mit dieser dunklen Vorahnung beginnt eine Geschichte in neun Episoden mit ebenso vielen Erzähler:innen. Gleich die Fragen: Was ist das für ein Hochhaus in der Türkei, wer sind die Uniformierten, überhaupt: ein Bildrand? Ist dieses Buch mehr das Skript für einen Film, eine Serie oder ein Video? Die Autorin Cemile Sahin, 1990 in Wiesbaden geboren, hat ihre Kindheit teilweise in Dersim, Kurdistan, verbracht, und sie schreibt nicht nur Romane. Nach dem Abitur studierte Sahin Kunst in London, dann in Berlin, wo sie jetzt auch lebt und arbeitet. In ihren künstlerischen Arbeiten treffen Bild und Wort oft aufeinander. Bestimmt liegt es also daran, dass ihre Texte ein bisschen so wirken, als wären sie eigentlich noch etwas anderes, als würden sie den Leser:innen abverlangen, sich dazu gleich noch das Bewegtbild vorzustellen.
So ähnlich verhielt es sich schon mit ihrem Debütroman Taxi aus dem Jahr 2019. Der wurde von den Feuilletons begeistert aufgenommen und beinahe durchweg mit dem Drehbuch für eine Serie verglichen. Aber, daran kann gar kein Zweifel bestehen: Das Buch ist ein Roman, der in seiner Akribie an die detailversessene Prosa des französischen Nouveau Roman erinnert. Es ist ein Roman über eine Serie, deren Drehbuch von einer Mutter geschrieben wurde, die ihren Sohn im Krieg verloren hat, dann einen jungen Mann entführt, ihm die Nase bricht, damit er ihrem Sohn Polat ähnlicher sieht, und ihn schließlich in ihrer Serie mitspielen lässt. Denn sie weigert sich, den Tod ihres Sohnes zu akzeptieren. Mehr Kontext gibt es nicht, die Handlung lässt sich nicht genau verorten, es könnte um einen Krieg im östlichen Mittelmeerraum gehen, auf dem Balkan, oder genauso gut mitten in Europa. Das ist auch nicht so wichtig. In ihrer Abstraktheit erzählt Sahin von Vertreibung, Flucht und Gewalt. Sie konzentriert sich dabei auf den unheimlichen Reiz von Doppelgängern und spielt mit den Erwartungen, die man an die Gattungen Filmserie und Roman hat. „Dicht, hart und schnell“ beschrieb man ihre Prosa, und wenn das bedeutet, dass die Sätze kurz, distanziert und im Präsens abgefasst sind, die Leser:innen nicht schonen, wenn Gewaltakte geschildert werden, dann stimmt das.
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