Beton, Monotonie, Gewalt
„Alle Hunde sterben“ erzählt vom Alltag im türkischen Hochhaus
Neun Geschichten, neun Traumata: Autorin Cemile Sahin führt in ihrem Episodenroman ins Herz staatlicher Gewalt in der Türkei.
LENA BAUMANN
Wenn man Literatur mit den Mitteln der Architektur beschriebe, dann wäre diese Erzählung reiner Brutalismus – gebaut aus einer klaren, simplen Sprache, lakonischen Sätzen. Diese errichten in ihrer Abfolge eine massive Betonwand, an der sich gleißendes Licht in Schlagschatten bricht. Von diesem harten Bruch erzählt Cemile Sahin in „Alle Hunde sterben“: von der Grausamkeit und Einseitigkeit staatlicher Gewalt.
Der Ort: ein Hochhaus im Westen der Türkei, in das sich Menschen aus dem Osten des Landes geflüchtet haben, „und der Süden gehört zum Osten“. Im Süden liegt Kurdistan, doch wird das Gebiet nie benannt, der Ort bleibt im Ungefähren, könnte überall sein.
In neun Episoden berichten Menschen von traumatischen Erfahrungen, die sie und ihre Familien zerstört haben. Necla lebt nackt in einer Hundehütte. Murat trägt die Knochen seiner toten Mutter mit sich herum. Heydar wartet mit einer Pistole vor dem Fenster, um den Polizisten zu töten, der seinen Sohn erschossen hat. Nurten backt kiloweise Brot, während sie auf ihre Söhne wartet.
„In diesem Land bist du entweder Held oder Verräter“, und Verräter sind jene, die nicht zur Polizei, „den Spitzeln“, den Soldaten gehören. Sahin schildert die Maßnahmen eines Polizeistaates, der seine Apparate darauf trimmt, einen Nationalstolz mit brutalsten Mitteln der Einschüchterung und Schikane zu zementieren. Es entsteht eine Realität, in der jeder jeden verdächtigt. Zuflucht findet niemand.
Sahin, die 1990 in Wiesbaden geboren wurde, studierte Bildende Kunst in London und Berlin, schrieb eine Kolumne für die taz und gewann für ihren 2019 veröffentlichten Roman „Taxi“ die Döblin-Medaille. Schon dieser Roman glich thematisch einer Inszenierung – eine Mutter schreibt ein Drehbuch für die Wiederkehr ihres verschollenen Sohnes und bezahlt einen ehemaligen Soldaten dafür, dessen Rolle zu spielen – und das filmische, der Bühne zugewandte Erzählen findet sich auch in „Alle Hunde sterben“. Es ist, als säße man vor einen Bildschirm und würde gerne wegschauen. Doch beim Lesen geht das nicht . „Wir sehen ein Hochhaus im Westen der Türkei (…) Wir stehen im Treppenhaus. Es ist dunkel. Über den linken Bildrand betreten Uniformierte das Hochhaus.“
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/beton...s/26823968.html
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