Die neue Working Class - Wenn Arbeit in die Armut führt
Was haben eine Supermarktverkäuferin, ein Lieferbote und eine Friseurin gemeinsam? Sie sind unentbehrlich in unserer Gesellschaft - aber ihr Lohn ist gering. Das wurde durch die Pandemie deutlich sichtbar. Was die sogenannte Working Class in ihren Jobs verdient, reicht gerade zum Leben. Spätestens im Alter rutschen die Beschäftigten in die Altersarmut.
Sie verkaufen, sie schneiden Haare, sie pflegen: Die sogenannte Working Class hat zu Beginn der Pandemie viel Beachtung bekommen, denn ihre Arbeit ist lebensnotwendig für unsere Gesellschaft. “Danke, dass Sie da sind für Ihre Mitbürger und buchstäblich den Laden am Laufen halten”, sagte Angela Merkel im März 2020, während große Teile des Landes daheimsaßen. Als Anerkennung für ihre Stand-by-Funktion in einer ungewissen und lebensgefährlichen Situation, schenkten wir diesen Menschen Applaus und Dankesworte - und dabei blieb es.
Die großen Krisengewinner wie Edeka, Rewe oder Kaufland winden sich in den laufenden Tarifrunden mit Verdi. Den Forderungen ihrer Beschäftigten und der Gewerkschaft nach 4,5 Prozent mehr Lohn und 45 Euro mehr für Auszubildende wollen sie nicht nachkommen - und das, obwohl die Umsätze im Einzelhandel im Corona-Jahr besonders stark waren: mit knapp sieben Prozent mehr ein Rekord seit der Zählung im Jahr 1994. Daher streiken viele Beschäftigte aus dem Einzel- und Großhandel seit mehreren Wochen.
“Wir haben wirklich, Entschuldigung, unseren Arsch hingehalten in der Corona-Pandemie. Wir waren ohne Masken am Anfang, wir hatten kein Desinfektionsmittel, wir hatten keinen Schutz bei den Kassen, die Kunden – nicht alle, wir haben wirklich sehr nette Kunden – aber es gibt wirklich immer wieder Menschen: Eine Kollegin ist bespuckt worden, wir sind angegriffen worden, Kolleginnen sind mit dem Einkaufswagen über den Haufen gerannt worden. Einfach, weil Ware nicht da oder ausverkauft war. Ich habe schon gesagt, mein nächstes Leben, da geh ich als Tierpflegerin, weil die Leute natürlich immer aggressiver werden, die hatten ja nichts mehr zu tun. Die Leute haben froh sein können, dass wir da waren und alles so schnell wie möglich aufgefüllt haben. Manche haben für drei gearbeitet, damit das alles passt. Es ist auf unserem Rücken ausgetragen worden,” sagt Marion Loritz aus Nürnberg. Sie ist seit drei Jahrzehnten im Einzelhandel tätig - und hat trotzdem ihren Humor bewahrt:
“Wenn‘s nach dem Einkommen geht, dann müsste ich wahrscheinlich bis 85 arbeiten, oder am besten wäre, wir machen eine extra Abteilung auf mit Särgen, damit man die Mitarbeiter vom Arbeitsplatz direkt in den Sarg auf einem Fließband rausbefördern können”, sagt Loritz.
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