Mary Ruefles Prosaband "Mein Privatbesitz"
Wie leicht die Traurigkeit sein kann
Gelber Schal und Schrumpfköpfe: Mit "Mein Privatbesitz" ist erstmals ein Prosaband der großartigen US-Lyrikerin Mary Ruefle auf Deutsch erschienen.
MICHAEL BRAUN
Ein gelber Seidenschal fungiert in der Kurzprosa der US-amerikanischen Dichterin Mary Ruefle als magisches Objekt. Dieser Schal stammte ursprünglich aus einer Geschichte von Albert Camus, in der ihn eine Dame, eine unauffällige Nebenfigur, über ihren Kopf hält.
In einem Akt kühner Transformation hat Ruefle diesen Schal als zentrales Motiv für ihre Prosaminiaturen adoptiert. Er weht schwerelos durch ihre verwinkelten Erzählungen und bringt die Figuren und Motive der Handlung wie ein Phantasie-Generator in Bewegung.
Es gehört zur großen Prosakunst Ruefles, ihre Figuren nicht in ein konventionelles Handlungsgerüst einzubetten, sondern fast in jedem Satz ihre Geschichten in eine neue Richtung zu verzweigen, ausgehend von skurrilen kleinen Entdeckungen in der Alltagswelt, in der sich ihre Heldinnen befinden.
Die 1952 geborene und in Bennington/Vermont lebende Autorin hat in den USA bereits elf Gedichtbände und zwei Prosabände publiziert und in ihrer Heimat schon zahlreiche Auszeichnungen erhalten.
In Deutschland wurde sie erst kürzlich durch ein Dossier in der Literaturzeitschrift „Schreibheft“ (Nr. 97) bekannt, das eine Auswahl aus ihrer eminenten poetischen Überraschungs-Kunst vorstellte.
Etliche der 41 Prosastücke ihres Bandes „Mein Privatbesitz“ (Aus dem Englischen von Esther Kinsky. Bibliothek Suhrkamp, Berlin 2022. 127 Seiten, 18 €.), der im amerikanischen Original 2016 erschien, kann man mit gutem Recht auch als Prosagedichte lesen, denn beispielsweise die an verschiedenen Stellen platzierten Variationen über die elf Farben der „Traurigkeit“ sind in einem stark elliptischen, assoziativ flackernden Stil verfasst, der Farben, Bilder und Gegenstände in surrealer Manier verknüpft.
Die „Traurigkeiten“, die hier erörtert werden, arbeiten in den seltensten Fällen mit den traditionellen Ingredienzen der Melancholie, sondern lassen stets Elemente von Komik und Heiterkeit aufblitzen. Und obwohl viele dieser Kurzerzählungen, Meditationen und Mikro-Romane auch die letzten Dinge und das Thema der Vergänglichkeit einkreisen, findet Ruefle stets einen Weg, um ihrem Stoff die Schwere zu nehmen und die da und dort markierte Erfahrung von Daseinsfinsternis mit dezidiert lässigen erzählerischen Interventionen zu konterkarieren.
Weiterlesen:
https://www.tagesspiegel.de/kultur/mary-...n/28018748.html
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