Erinnerung an die Marie A
An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen golden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.
Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei.
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst Du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern
Und doch, gewiss, ich weiß schon, was du meinst.
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nur mehr: ich küsste es dereinst.
Und auch der Kuss, ich hätt ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke dagewesen wär
Die weiß ich noch und wird ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.
Bertolt Brecht
Das Manuskript des Gedichts findet sich in Bertolt Brechts Notizbuch aus dem Jahre 1920, überschrieben als "Sentimentales Lied Nr. 1004"
Die Schülerin Maria Rosa Amann (1901–1988), in der Literatur häufig geschrieben „Marie Rose Aman“, die Brecht im Frühsommer 1916 in einer Eisdiele kennenlernte, soll die Realfigur hinter der geheimnisvollen Marie A. gewesen sein.
Reset the World!
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Schön, dass du dieses wunderbare Gedicht immer mal wieder hervorholst Sirius. Ich liebe es.
Lieben Gruß, Leo
Schreiben macht schön.
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Ich auch! Ich auch! ... So schön und so wohltuend, anders als sein machmal anstrengendes episches Theater.
Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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