Wer glaubt noch
Wer glaubt noch,
dass uns drüben Korallenbäume erwarten,
und Vögel, die das Geheimnis singen
und ab und zu die beinernen Schnäbel
ins rosa gefärbte Wasser tauchen,
und dass man uns abholen wird
zu Gerüchen
nach aufgebrochenen Mandelkernen
und weißen Wurzeln seltener Pflanzen?
Ach, der Tod wird nach Pfeffer
und Majoran riechen,
weil er vorher im Laden beim Krämer saß,
der am silbrigen Schwanz
eines Salzherings erstickte.
Hertha Kräftner (unvollendetes Gedicht, denn Hertha Kräftner (1928-1951) wählte vorher den Freitod)
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Hertha Kräftner .... ich musste gleich noch mehr von ihr lesen und über ihr kurzes Leben. Was für eine starke Sprache, was für eine eigene Sprache! Ich bin begeistert. ... Aber was für eine verlorene, einsame Seele.
Danke für dieses Türchen, wieder eins, das du aufgemacht hast, Sirius.
Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Es gibt noch mehr Gedichte von ihr, ich werde gelegentlich noch eins einstellen.
Am Abend vor ihren Tod am 13. November 1951 schrieb sie diesen Abschiedsbrief:
Abschiedsbrief an Wolfgang K. vom 12. 11.1951
Mein liebes Herz,
ich war gestern so traurig, weil ich wußte, daß es das letztemal sein würde. Ich wollte noch einmal glücklich sein und konnte nicht voraussehen, welche Grausamkeit in dieser Absicht lag. Denn ich war glücklich, irrsinnig glücklich mit Dir und wußte zur gleichen Zeit, daß ich es niemals wieder sein würde. Ich habe dich so oft angesehen, weil ich Dein Bild mit hinübernehmen wollte. Vielleicht kann man das: das sehr Geliebte in den Tod retten. Ich habe Dich geliebt wie nichts vorher, aber sie wollten mich nicht bei Dir bleiben lassen. Ich bin ganz verzweifelt darüber, ich habe mir wieder Veronal verschafft. Ich hätte so gerne mit Dir gelebt, aber allein war ich nicht stark genug, um trotz allem bei Dir zu bleiben, und Du wußtest nichts davon, und ich konnte darüber nicht mehr reden.
Verzeih mir, denk nicht böse an mich. Unsere Liebe stand unter dem Zeichen der Uhr. Denk an mich, wenn das Band aufspringt. Vielleicht verstehst Du, daß ich niemals so sehr bei Dir sein hätte können, wie ich es sein werde, wenn ich tot bin. Behalt die Geschenke aus meiner Kinderzeit und sag niemandem ein Wort. Alles wäre ganz einfach gewesen, wenn ich Dich nicht so geliebt hätte, so ausgeliefert, so ohne Rettung, ohne Maß.
Mein Süßes, mein Liebes, jetzt wein ich, weil Du mich verlierst, ich Dich aber behalte. Du verlierst mich, obgleich ich Dir niemals näher war als jetzt.
Das Café Rabel, Herr Franz, der Repressalienhändler. Kastanien. Das leere Haus am Kahlenberg. Der Samstagabend auf dem Gut. Dein Samtrock. Der Arc de triomphe. Kastanien. Der Heldenplatz. Das Haus in der Mariahilferstraße. Die Albertina. Der Bahndamm in Laxenburg. Kinderkleider am Kohlmarkt. Du. Ein ganzes Leben in sieben Wochen. Ich liebe Dich, ich liebe Dich, mein Zärtliches, mein Schmales. Zweifärbiges Haar, schiefstirnig, spitzes Lächeln. Wolfgang, Wolfgang. Ich werde langsam verrückt.
Verzeih mir, vergiß mich nicht. Ich liebe Dich.
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Aus: Hertha Kräftner Kühle Sterne
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