Alexander Schimmelbusch: „Hochdeutschland“
Alexander Schimmelbuschs Roman „Hochdeutschland“ verquirlt alle Anliegen, die dem liberalen Bildungsbürgertum gut reingehen
Deutschland ist die Ordnung verloren gegangen, so wie der Welt. Nichts ist mehr, wie es mal war. Nichts, wie es sein sollte. In Alexander Schimmelbuschs Roman Hochdeutschland sind sogar die Banker keine einfachen Neoliberalen, sondern pragmatische Opportunisten, intellektuelle Avantgardisten, clevere Populisten oder alles zusammen. Schimmelbusch macht keine Gefangenen. Nach sieben Seiten hat er bereits eine lange Liste gesellschaftlicher Schlagworte gebracht: von Apple bis Auschwitz. Hier will jemand zeigen, wie drastisch und gesellschaftstheoretisch er denkt. In jedem Absatz ein Marker. Das macht das Buch zwar nicht uninteressant, aber anstrengend.
Die Handlung ist kaum mehr als der Rahmen für die Meditationen des Protagonisten. Victor erscheint als typischer moderner Banker. Reich, umweltbewusst – er fährt einen Elektro-Porsche –, geschieden und abgebrüht. Er macht sich viel aus sich und nicht viel aus seinen Mitmenschen. Nur für die Tochter hegt er so etwas wie warme Gefühle. Aber in seinem Inneren nagen Zweifel am Geschäftsmodell der Gesellschaft, die ihn reich gemacht hat. Schimmelbusch lässt seinen Protagonisten durchaus scharfsinnig die Sozialisation der Finanzbranche darlegen: Wie die Junior-Banker absurde Arbeitszeiten und -belastungen im ersten Berufsjahrzehnt ertragen müssen – nicht, weil es nötig wäre, sondern nützlich ist. Es bricht sie moralisch, entfremdet sie von Freunden und Familie. Es ist dieses Exerzitium, das den Korpsgeist schärft und schließlich 30-Jährige dazu bringt, ihre Millionengehälter für gerechtfertigt zu halten. Victor stellt sich aber vor allem eine der zentralen politischen Fragen unsere Zeit, die zwar auf der Hand liegt, in der Gesellschaft aber kaum gestellt wird: Warum gibt es keine Neuordnung des Reichtums? Er spürt, dass sich der Wind im Lande gedreht hat– weg vom Neoliberalismus, aber nicht nach links. Der Nationalstaat kommt zurück, die fröhlichen Lügen über die Kraft des Marktes glaubt niemand mehr. Auch nicht der Politik, der Victor jetzt die Verstaatlichungen erfolgreich schmackhaft macht. Er verkauft Spitzenpolitikern Staatsintervention und serviert ihnen die passende Geschichte dazu.
Schließlich schreibt er, aufgelockert von ein paar Gläsern Wein, einen „Pitch“ dessen Adressat kein Investor oder Politiker, sondern die Bevölkerung ist. Genauer gesagt: das Volk. Denn Victor entwirft eine politische Utopie, die die Widersprüche unserer Zeit aufnimmt, deren melancholischer Drift nach einer guten alten Zeit, nach Heimat, nach Identität in einer globalisierten Welt und nach neuer Stärke nachkommt.
Eine Art nationalliberal-sozialer Kommunitarismus: Wertschätzung auch für die kleinen Leute, Leistung muss sich lohnen, Zusammenhalt zählen. Der obszöne Reichtum soll gedeckelt, die Chance zum Aufstieg wieder ermöglicht werden. Dafür müsse sich Deutschland aber dem globalen Wettbewerb stellen – als demokratisch-imperiale Macht nach außen und innen. Eine neue Deutschland AG, die keine Klassen, sondern nur noch einen Mittelstand kennt. Dieser ist ein bisschen humanistisch, würde Flüchtlinge aufnehmen, aber die europäischen Grenzen dichtmachten. Vor allem ökonomisch nützliche Migranten würde man willkommen heißen, illegale abschieben. Alle die, die sich nicht an die Regeln der Normalgesellschaft halten, werden hart sanktioniert – gewürzt natürlich mit einer starken Prise anti-arabischen Ressentiments. Im Roman wird dieses Manifest zur Grundlage einer Bewegung, die die politische Macht erobert. Victor entwirft ein Manifest einer neuen Allparteienpartei, einer Melange aus CSU, FDP und Grünen, in der zwar alles überdreht ist, aber trotzdem gespenstisch möglich erscheint. Das erklärt den Erfolg des Buches, das im März 2018 erschienen ist und nun schon in der 5. Auflage vorliegt.
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