Helene Hegemann: Bungalow
Weiße Lilien sprießen aus dem Kopf. Die blaue Blume wächst auf den zerdampften Gedärmen der Straßenköter. Helene Hegemann spuckt in ihrem Roman Bungalow auf die Gräber der Romantik. Sie sympathisiert nicht mit nervenkranken Weltflüchtigen, sondern schlüpft in die Haut der letzten Überlebenden eines atomaren Endspiels. Wölfisch gebärden sich diese, nicht wie winselnde, vor Selbstmitleid triefende Hunde; einsam sind sie, gefährlich und brutal. Den Tod im Nacken, leisten sie sich Liebesschwüre, dunkel, schwarzromantisch, die Zähne fletschend. Maria, die brillante russischstämmige Protagonistin, ließe sich lieber von Wölfen zerfleischen, als Georg, dem charmanten Loser, untreu zu werden. Ein stimmiger Schwur in Zeiten, in denen „Homo homini lupus“ zum Leitspruch wird und Rettung nur noch im verzweifelt-sinnlichen Animalischen, im „genussreichen Leid“ gefunden werden kann.
Dem apokalyptischen Bohemien-Paar Georg und Maria ist Charlie, eine pubertäre Unterschichtgöre von überbordender Fantasie, verfallen. Von ihrem Balkon in der Hochhaussiedlung blickt sie hinunter zu Hummerscheren knackenden Bungalowbewohnern. Die Sehnsucht treibt sie bei Eiseskälte in deren Vorgarten und lässt sie sich mit der ganzen Urgewalt ihres jugendlichen Körpers gegen die bodentiefen Fenster der privilegierten Nachbarn werfen.
Irgendwann wird aus diesem wuchtigen Entree eine Amour fou, die sich „zu einer Art mystisch-hysterischem Rausch entwickelte, den man nicht mehr Gefühl nennen konnte, eher Synthese aus Abgründen“. Jahre später, nach dem großen Knall, erinnert sich Charlie an die Zeit, bevor sich der Himmel gelb verfärbte und Hautausschläge auf den Leibern der Überlebenden wucherten. Das Bild, das Hegemann von diesem Fin de Siècle zeichnet, ist freilich alles andere als sentimental. Die Menschheit lässt sich von Pitbulls flankieren, schreit wieder „Heil Hitler“ und ist überhaupt nichts anderes als „ein von gelben Mehlwürmern besiedelter Scheißhaufen“, der unter einem eklatanten „Zivilcourage-Dilemma“ leidet. Charlie wächst heran zu einem brutalen Gefühlsmutanten, der sich des omnipräsenten Unheils nur durch die Vergötterung des Wölfischen zu erwehren weiß.
Was bleibt einem Kind auch anderes übrig, das sich „auf grobsinnlichste Art“ befriedigt wie „ein Zootier, das ein Stück Fleisch durch seine Futterklappe geschoben kriegt“? Dass Hegemann den Topos des Animalischen mit dem derzeit beliebten Ennui koppelt, schadet dem Roman mitnichten. Die Figuren gebärden sich schließlich wie Raubtiere, die sich aus ihrer Lethargie nur durch Zerstörung zu retten vermögen. Ein Krieg steht vor der Tür, der die kaputte Menschheit endlich erlöst: „Die Leute wollen Krieg. In einer Extremsituation vergisst du dein persönliches Leid und bist wieder handlungsfähig.“
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