Hernan Diaz: Treue
Hernan Diaz’ fabelhaft raffinierter Roman „Treue“ dreht sich um Geld und Geschichte, Fakten und Fiktionen sowie die unterdrückte Macht der Frauen.
Hernan Diaz treibt in seinem Roman „Treue“ ein Spiel mit Leser und Leserin. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem aufregenden Gedankenabenteuer belohnt. „Treue“ handelt von einem New Yorker Finanzkapitalisten, der in den 1920er Jahren der Börse immer einen Schritt voraus war und den großen Crash von 1929 nicht nur ahnte, sondern mit befeuerte. Und von seiner Frau. Börsenromane gibt es immer wieder einmal. Hernan Diaz zeigt klar, dass es bei Literatur nicht aufs Thema ankommt: Die große Wirkung dieses Romans besteht darin, welche Mittel der Autor wählt, in der Anlage des Ganzen und im Detail.
Das Buch besteht eigentlich aus vier Büchern. Das erste ist das konventionellste, ein Roman von Harold Vanner (so steht es da), dessen zentrale Helden das scheue Finanzgenie Benjamin Rask und seine sehr viel jüngere Ehefrau Helen sind. „Verpflichtungen“ heißt dieser Teil, er widmet sich zunächst parallel dem Anwachsen seines Reichtums und ihrem Aufwachsen in einer anstrengenden Familie in Europa.
Mit dem Zusammentreffen der beiden zeigen sich ihre Unterschiede in Geschmack und Interessen. Sein Wirtschaftsspürsinn und ihr mäzenatischer Einsatz für Musik und Kunst ergänzen sich. „Die Geschwindigkeit, mit der Benjamin sein Vermögen vermehrte, und die Weisheit, mit der Helen es verteilte, betrachtete man als öffentliche Bescheinigung der engen Bande zwischen ihnen.“ Die gebremste Leidenschaft füreinander hindert ihn später nicht daran, sich für ihre bestmögliche medizinische Versorgung einzusetzen, als sie schwer psychisch erkrankt.
Der nächste Teil des Buches heißt „Mein Leben“, angeblich verfasst von einem Andrew Bevel. Und obwohl das zunächst bieder bis eitel daherkommt, beginnt es nun spannender zu werden. Einiges von dem, was dieser Bevel über sich sagt, glaubt man aus dem ersten Teil von Benjamin Rask zu kennen. Es ist allein die Perspektive des Geldmenschen, etwa so: „Der feine Herr von heute ist der Emporkömmling von gestern. Doch hinter diesem Wechselspiel steht eine konstante Gegenwart: der Financier.“ Auf seitenlang flüssig erzählte Passagen folgen Stichworte wie „Weitere Beispiele seiner Geschäftstüchtigkeit. Seinen Pioniergeist veranschaulichen.“ – als wäre das Buch nicht fertig. Oder: „Kurzer Absatz über Mildred, Freuden der Häuslichkeit.“ Mildred ist Andrew Bevels Frau. Ganze Kapitel sind von Stichworten bevölkert, bevor es erzählend weitergeht. Durchaus historisch interessant übrigens, etwa wenn der Zuwachs an Automobilen in den USA von rund 8000 zum Anfang des 20. Jahrhunderts auf fast 30 Millionen im Jahr 1929 benannt wird. Die am meisten wachsende amerikanische Branche jener Zeit war, wir ahnen es, „die der Finanzen“.
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https://www.fr.de/kultur/literatur/herna...n-91717372.html
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