Georg Diez: Die letzte Freiheit.
Vom Recht, sein Ende selbst zu bestimmen
Georg Diez hat ein Buch über Selbstmord und Sterbehilfe geschrieben. Es ist nicht frei von Anmaßung
Dieses Buch ist als Zumutung gedacht. Es geht um Tod, Selbstmord und Sterbehilfe, um Freiheit und um das gute Leben, um die ganz großen Themen also. Drei Tode sind es, um die der Autor, der Publizist und Journalist Georg Diez, seine Gedanken windet: 1.) der Selbstmord Wolfgang Herrndorfs, der sich im Sommer 2013 am Hohenzollernkanal erschoss. 2.) Der assistierte Suizid Fritz J. Raddatz’, der sich in einem Schweizer Hotel in den Tod begleiten ließ. Und 3.) der am Ende nicht stattfindende Tod des Freundes Max, den er auf eine Wanderung durch die Toskana begleitet. Und dann treten – als Randfiguren gewissermaßen – noch eine Reihe Literaten und Intellektueller auf, die sich zu dem Thema geäußert haben oder sich selbst entleibt haben.
Das Buch ist Zitate-Reigen und Gedankenskizzenbuch. Vieles bleibt im Vagen, Andeutungsschweren, Bedeutungsschwangeren, ohne dass klare Thesen herausgearbeitet werden. Ganz am Ende beschreibt Diez ein Mittagessen mit einem Kollegen. Als jener anmerkt, der Text lese sich, als ob jemand, der sich gegen begleiteten Suizid stelle, sich auch gegen die Freiheit stelle, fragt sich Diez, ob er das wohl gemeint habe.
Das ist das Problem: Nicht einmal Diez kann genau sagen, was er meint. Das liegt daran, dass er seine Begriffe nicht klärt, dass er sich auch nicht recht entscheiden kann, ob er nun einen Essay schreiben will oder die Geschichte einer Freundschaftsepisode im Schatten eines Burn-outs. Die letzte Freiheit liest sich wie ein Brainstorming zu einem Themenkomplex, von dem der Autor noch nicht weiß, wie er ihn verarbeiten soll. Der Grundwiderspruch: Einerseits soll der Tod sein wie das ideale Leben, frei, selbstbestimmt und autonom. Andererseits aber soll jeder das Recht auf assistierten Suizid haben. Der aber ist schlecht aus dem idealen Leben abzuleiten – es ist ja gerade die Schwierigkeit, dass assistierter Suizid nur dann notwendig ist, wenn man nicht mehr frei, selbstbestimmt und autonom handeln kann, sondern auf Hilfe angewiesen ist. Zu regeln ist also gerade nicht, ob man sterben kann, wie man lebt („FREI!“, sagt der Klappentext, das müsste man auch noch mal diskutieren), sondern was eigentlich passiert, wenn man auf andere angewiesen ist.
Diez versucht einen anderen Zugang, indem er nicht darüber spricht, worüber sonst alle sprechen, wenn sie von Sterbehilfe und assistiertem Suizid sprechen: von Zimmern, die nach Urin riechen, von den Waschstraßen, die die Altenheime geworden sind. Seine Protagonisten wollen sich eben gerade nicht in die Pflegemaschine einspeisen und sich in einen anonymen Tod hineinverwalten lassen. Ihm geht es um die Tat, den letzten heroischen Akt; wer Hand an sich legt, entkommt ein letztes Mal den Zwängen, die eine Gesellschaft einem abverlangt, die nichts mehr mit einem anzufangen weiß.
Für Diez ist der Selbstmord ein Akt der Befreiung aus der Angst. Der eigene Tod, sagt er, sei also „der Ausgangspunkt für das Nachdenken darüber, wer man ist, wer man sein will, ganz ohne Furcht betrachtet – ein Sieg der Kultur über die Natur, der Zivilisation über die Biologie“. Das ist schon recht eigenwillig, denn der Tod ist ganz sicher nicht der Ausgangspunkt für das Nachdenken über sich selbst, dieses Nachdenken setzt ein irgendwie funktionsfähiges Gehirn voraus. Was er wohl meint, ist, dass man einen Begriff von der eigenen Endlichkeit haben muss, um frei zu sein. (Vielleicht klingt der Einwand nach Haarspalterei, aber das ganze Buch ist einfach ungenau.)
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https://www.freitag.de/autoren/frederic-...e-heroische-akt
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