Michael Köhlmeier: Frankie
Das Böse: Woher es kommt, wohin es strebt und warum es überhaupt existiert - das sind Fragen, die Michael Köhlmeier lange schon interessieren. Auch sein neuer Roman behandelt dieses Thema.
von Alexander Solloch
Wäre unser Leben so eingerichtet, wie wir es uns wünschen - friedlich, harmonisch, glückseligmachend -, dann gäbe es keine Romane, auch keine (und das wäre ein ziemliches Unglück) von Michael Köhlmeier. "Als Autor hat man Sympathie für das Böse, weil das ja poetisch mehr hergibt", sagt er. Also konfrontiert uns der Erzähler aus Vorarlberg mit einer bösen Geschichte.
Ich-Erzähler Frank, ein gewitzter 14-Jähriger, dem (bis dahin) kein Erwachsener was vormacht, fährt mit seiner Mutter von Wien nach Krems in Niederösterreich, um dort ihren Vater, seinen Opa, abzuholen - abzuholen aus dem Gefängnis, in dem dieser 18 Jahre lang saß. Schon die erste Begegnung zeigt an: Das ist kein Großvater, von dem kopftätschelnde Liebenswürdigkeit zu erwarten wäre.
"Was bist du für einer?", fragte er.
Darauf allerdings kann niemand antworten. Denn was soll man darauf antworten? Sogar wenn man erst vierzehn ist, wäre die Liste zu lang.
Darum sagte ich: "Ich weiß nicht, was du meinst, Opa."
"Ich glaube, ich kann es nicht leiden, wenn du Opa zu mir sagst", sagte er.
"Weil wir verwandt sind, uns aber nicht kennen?", fragte ich.
Ich sah ihn an, zum ersten Mal, und er mich auch. Mitten in unsere Gesichter hinein schauten wir, das meine ich. "Ein Schlauer, ha?", sagte er.
Ja, ein Schlauer, das ist Frank. Weitgehend vaterlos ist er aufgewachsen, lebt mit seiner Mutter in scheinbar unverbrüchlicher Harmonie, und: in großer Freiheit und Selbständigkeit schon wegen des Berufs der Mutter, die als Schneiderin in der Wiener Volksoper oft auch abends weg ist. Aber Frank kommt klar, ihm braucht keiner zu erzählen, was er zu tun und zu lassen hat; ein Kleiner, der mehr weiß als die Großen, weil ihm der Kopf noch nicht so vollgestopft ist mit Überflüssigem.
Michael Köhlmeier schreibt gern über solche Heranwachsenden: "Ich habe das Pendant dazu in der Literatur in der Figur des Huckleberry Finn gefunden, der von allen verlassen ist und dennoch ein unglaublich selbstbestimmtes Leben führen kann. Die Faszination dafür hat mich nie losgelassen, und in Wirklichkeit würde ich immer wieder nur diese Geschichte schreiben wollen. Dieses Kind, das allein gelassen ist: Das ist, glaube ich, der Kern, um den alle meine Literatur kreist."
Und nun steht da plötzlich der unbekannte Großvater, der nicht "Opa" genannt werden will, vor Frank, der keinesfalls "Frankie" genannt werden will, was den Großvater freilich nicht hindert. Der Junge hat Angst vor dem unbekannten Alten. Aber er ist auch fasziniert vom großen Geheimnis des langjährigen Sträflings: Was genau hat er verbrochen und - warum?
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