Michael Ebert: Nicht von dieser Welt
Der Journalist Michael Ebert, Chefredakteur des Süddeutsche Zeitung Magazins, nimmt in seinem literarischen Debüt seine Leserinnen und Leser mit in die Vergangenheit: ins Jahr 1991, in eine süddeutsche Kleinstadt.
von Katja Eßbach
Der Tod hat in Mischas Leben einen festen Platz. Vor einem Jahr hat sich der Vater des 13-Jährigen das Leben genommen, seitdem lebt Mischa an einem Ort, an dem Sterben zum Alltag gehört: in einem Krankenhaus. Seine Mutter arbeitet auf der Intensivstation, das Geld ist knapp und die Personalwohnung des Krankenhauses die Rettung. Mischa ist ein Einzelgänger, ein Träumer, ein bisschen sonderbar:
Wenn es draußen warm genug war, wie heute, saß ich auf einer kleinen weißen Steinmauer, die das Einfahrtstor des Notarztwagens mit dem Hauptgebäude verband, trank Topstar-Cola von Aldi aus Plastikflaschen, hatte meinen Atlas vor mir aufgeschlagen und wartete auf das nächste Unglück.
Dass Mischa auch einen direkten Draht zu den Toten hat, wird er erst später feststellen. Vorher tritt Sola in sein Leben. Eigentlich erwartet Mischa einen französischen Austauschschüler, aber dann steigt Sola aus dem Bus:
Sie war schon 17 und das einzige schwarze Mädchen der Gegend. Ganz sicher war sie auch das erste Mädchen, das mich küsste: Jedes Mal, wenn wir uns sahen, küsste sie mich zur Begrüßung, wenn auch nur auf die Wangen, aber dafür dreimal, zum Abschied ebenso. Andere küsste sie auch zweimal, manche viermal, ich kam nie hinter das System.
Sola ist als Ersatz des französischen Gastbruders gekommen und fasziniert Mischa sofort. Sola ist klug und selbstbewusst, sie zitiert beiläufig Rocksänger und Philosophen. Das kommt allerdings etwas gewollt rüber, diese seltsame nerdige Überklugheit ist eine erzählerische Krücke, die ein bisschen nervig und überflüssig ist.
Es stellt sich heraus, dass Sola mit einem Plan nach Deutschland gekommen ist. Dazu müssen sie und Mischa in den Osten, nach Halberstadt. Dort soll in einem Stollen ein Vermögen lagern:
"108 Milliarden Ostmark? Woher weißt du davon? Und wie sollen wir an das Geld rankommen, es ist doch bestimmt bewacht wie in einer Bank." "Nicht mehr. Nicht mehr so richtig jedenfalls. Weil die Armee vom Osten, die das Geld bewacht hat, gibt’s ja auch nicht mehr so richtig."
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