Geil und gierig auf die Welt. Die Literatur braucht grosse Gefühle
Es gibt viele Gründe, Schriftsteller zu werden. Manche schreiben aus Angst, andere aus Wut. Aus Zufriedenheit oder Gelassenheit hat noch kaum jemand gute Bücher geschrieben.
Auf die Frage, weshalb er schreibe, antwortete ein amerikanischer Autor, dessen Namen ich vergessen habe: «Aus Geilheit, Gier und Eitelkeit.» Ich habe diese Aussage, die ich vor langer Zeit irgendwo gelesen habe, bisher immer als selbstironisch verstanden: Der Autor gibt zu, nicht aus hehren literarischen Motiven zu schreiben, was auch immer diese wären, oder weil er die Welt mit seinen Texten besser machen will oder der reinen Ästhetik huldigt, sondern weil er sich nur erhofft, durch seinen literarischen Erfolg seine Geilheit, Gier und Eitelkeit zu befriedigen.
Aber vielleicht hat er es auch ganz anders gemeint: Literatur nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Produkt der Geilheit und der Gier auf die Welt, der Eitelkeit, sich sein Leben lang mit sich selbst zu beschäftigen, sich selbst zu reflektieren. Denn Schreiben heisst ja, die Welt und sich selbst zu fressen und zu verdauen, die Welt und sich selbst zu beherrschen und zu manipulieren. Schriftstellerinnen und Schriftsteller sind in ihren Werken die schlimmsten Diktatoren, die über Leben und Tod entscheiden, als sei es nichts. Nur schon deshalb ist es vorzuziehen, dass sie ihre Phantasien im geschützten Raum der Fiktion ausleben.
Ich war als Kind aus Gründen, die hier nichts zur Sache tun, eine Zeitlang in Abklärung am Kinderpsychiatrischen Dienst des Kantonsspitals St. Gallen. Mit dreissig, kurz nachdem ich mein Psychologiestudium abgebrochen und mit der Arbeit an meinem ersten Roman «Agnes» begonnen hatte, fuhr ich nach St. Gallen, um meine damalige Akte einzusehen.
Dass der Psychiater mir als Dreizehnjährigem eine «recht lebendige Phantasie» und ein «reiches Innenleben» attestierte und berichtete, dass ich «Figuren erfinde», erstaunte mich nicht. Überrascht war ich jedoch, als ich las, ich sei «aggressiv geladen», manchmal jähzornig, neige zu «Affektdurchbrüchen» und komme mit meiner Aggressivität nicht ganz zurecht.
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