Karine Tuil: Die Gierigen
Karine Tuils „Die Gierigen“ handelt von Liebe, Lügen und Verrat. Und als Leser stellt man heikle Fragen an sich selbst
Man könnte sagen, dass hier die Geschichte einer amourösen Dreiecksbeziehung erzählt wird. Ebenso könnte man sagen, dass Die Gierigen, das mittlerweile neunte Werk der französischen Autorin Karine Tuil, ein Gesellschaftsroman ist, der die klassischen Fragen nach Identität und Erfolg in zeitgenössischen Variationen auslotet. Vielleicht sollte man sich mit einer Etikettierung des Texts aber auch gar nicht so eindeutig festlegen, denn genau wie in den Leben der Protagonisten sind auch hier solche Zuschreibungen eher Einschränkung als Erklärung.
Alles beginnt Mitte der 80er Jahre an der juristischen Fakultät in Paris. Dort treffen Samir, Samuel und Nina aufeinander. Samir ist der Sohn tunesischer Migranten, aufgewachsen in den ärmlichen Verhältnissen der Banlieue; Samuel das Kind eines jüdischstämmigen Intellektuellenpaars. (So jedenfalls glaubt er, bis er achtzehn ist.) Dazwischen die extravagante Nina, der ihre Schönheit und der Effekt, den diese auf Männer haben kann, schon immer selbst ein wenig unheimlich waren.
Nina und Samuel führen bereits eine Beziehung miteinander, als sie Samir kennenlernen. Zunächst ist das Paar auf rein platonische Art sehr angetan von Samir. Dann jedoch kommen Samuels Eltern, mit denen er seit seinem 18. Geburtstag kaum mehr ein Wort geredet hat, bei einem Autounfall ums Leben. Am ersten Tag seiner Volljährigkeit hatten sie ihrem orthodox erzogenen Sohn eröffnet, dass er adoptiert worden war und seine leibliche Mutter eine polnische Bauerstochter sei.
Nach jenem ersten Bruch wirft ihn nun der zweite, der tödliche Unfall der Adoptiveltern, vollends aus der Bahn. In diesem Zustand bricht er auf, um ihre sterblichen Überreste nach Israel zu überführen. Bevor er Paris verlässt, bittet er Samir aber darum, sich während seiner Abwesenheit um Nina zu kümmern. Es kommt, wie es schon so oft gekommen ist, im Theater des Zwischenmenschlichen: Die beiden Zurückgebliebenen beginnen eine Affäre – zunächst eher als Übersprungshandlung, dann aber tritt echte Leidenschaft hinzu.
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