„Die Welt gegenüber“: Andeutungen von Leben
In „Die Welt gegenüber“ lässt Eva Schmidt ihre Protagonisten einen melancholischen Blick auf das Leben der anderen werfen. Sie zeigt dabei eine Welt ohne Halt.
Nur ein einziges Mal, gleich im ersten Satz der Erzählung „Die Nacht“, kommt das Wort „wir“ vor. Danach spricht die namenlose Ich-Erzählerin nur von sich und ihrer Sicht der Dinge. Von ihren Blicken, die nachts von ihrem Urlaubsquartier in Brighton auf die erleuchteten Dachgeschoßfenster des Hauses gegenüber zielen: „Es waren nicht viel mehr als Andeutungen von Leben, kleine Ausschnitte von Alltäglichem, zusammengesetzt aus kurzen Auftritten und spärlichen Gesten mir vollkommen fremder Menschen, die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen.“ Der Blick aus und in Fenster durchzieht den neuen Erzählband „Die Welt gegenüber“ von Eva Schmidt, die 1985 ihr literarisches Debüt feierte.
Schon im Vorgängerband der gebürtigen Vorarlbergerin, dem Episodenroman „Ein langes Jahr“ (Shortlist des Deutschen Buchpreises 2016), erkunden einsame Herzen die Nachbarschaft aus solch sicherer Distanz. Ihre Teilhabe an der Außenwelt ist gehemmt, als Beistand in der Isolation bleiben oft nur der Hund, die Zigarette und der Alkohol. Das gilt auch für die Protagonisten aus „Die Welt gegenüber“: Es sind Menschen am Beginn oder am Ende eines Scheidewegs, vereinsamt durch Trennung, Krankheit oder Pensionierung, manchmal das Ganze im Kombipack.
Sie blicken voll Melancholie auf sich selbst und all die anderen, „die ihre Jugend, oft aber auch ihr ganzes Leben darauf verwendeten, auf etwas zu hoffen, das die Grenzen ihres Wesens, die Barrieren, die sie selber schufen, überstieg“. Solche Gedanken spinnt die schlaflose Brighton-Urlauberin. Was bekommt sie in den Fenstern gegenüber zu sehen? Ein junges Paar, dessen Bewegungen, Gesten und Kleidung sich im Grunde zu einem Bild des Glücks fügen, die Beobachterin aber dennoch traurig stimmen. Indem sie Selbst- und Fremdwahrnehmung verschränkt, erweitert sie das Gesehene zu einem Bild von „Einsamkeit, von gegenseitigem Ungenügen“. Diese Andeutung einer Biografie lässt vieles offen – und der Fantasie des Lesers großen Raum.
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